Im September wird das Gerd-Müller-Denkmal vor der Allianz Arena enthüllt. Wir haben die Entstehung immer wieder begleitet, zuletzt auch in der Gießerei. Ein Werkstattbesuch mit Feuer und Wasser, Spannung und Vorfreude auf das erste Münchner Denkmal für einen Bayern-Spieler.
Eine Herzensangelegenheit
„Er ist da!“ Die Worte dringen brummend aus Karel Fron nach draußen. Mit schnellen Schritten drängt er durch die Gruppe Zuschauer nach vorne. „Lasst mich schauen!“ Zuvor hat er unruhig verfolgt, was im Hinterhof der Kunst- und Glockengießerei Anton Gugg passiert. Wie mit Axt und Spitzhacke auf eine quaderförmige, brusthohe Gussform eingeschlagen wurde. Wie das Schamottegestein staubend in großen Brocken abfiel, bis nur noch der Kern übrig war. Wie ein gezielter Wasserstrahl aus dem Hochdruckreiniger freilegte, was sich in diesem Kern verbirgt. Das Gestein flog in Tausenden kleinen Bröckchen durch den Hof und landete auf Kleidung, Haaren und Gesichtern der Zuschauer. Dann tauchte dunkles Metall auf.
Als Erstes das Bayern-Wappen, dann Nase, Augen, Wangen, Mund … Am Ende blickte man unverkennbar in das Gesicht von Gerd Müller. Jetzt also der Auftritt von Karel Fron. Er sieht sich die freigelegte Bronze aus der Nähe an – dann brodelt es wieder aus ihm nach außen: „Wow! Perfekt!“ Er klatscht sich mit den Mitarbeitern der Gießerei ab. Alle sind in den Hof gekommen. „Bin ich froh! Puh!“, sagt Fron und atmet tief durch. „Jetzt kann nicht mehr viel schieflaufen.“ Es ist kein Tag wie jeder andere in der traditionsreichen Gießerei in Straubing. Ende Juni hat sich eine kleine Abordnung der Kurt Landauer Stiftung auf den Weg nach Niederbayern gemacht, um dabei zu sein, wenn der Kopf des Gerd-Müller-Denkmals das Licht der Welt erblickt. Fron spricht von einem „Schöpfungsakt“ und klingt aufgekratzt.
Er pendelt irgendwo zwischen Vorfreude und Ungewissheit, fast wie ein werdender Vater. Ob alles gut gehen wird? Seit gut eineinhalb Jahren hat er im Auftrag der Stiftung an einem Denkmal für den legendären „Bomber“ gearbeitet. Er hat gelesen, Fotos studiert, Ideen entwickelt, Skizzen und Modelle angefertigt und schließlich das Denkmal in Ton modelliert. Gerd Müller wurde zu einem Teil seines Lebens. „Ich bin zwar ein Mann, aber ich glaube, ich kann sagen, ich war wie schwanger – und jetzt ist das Kind da. Gerd ist da!“ Es ist ein heißer Junivormittag, doch in der Halle der Gießerei ist es sogar noch heißer. Seit zwei Stunden wurde Bronze auf 1.200 Grad erhitzt, jetzt ist sie flüssig und wartet auf ihren Einsatz. Noch bevor Gerd Müllers bronzener Kopf ausgeschlagen wird, steht nämlich der Guss des letzten Teils des Denkmals auf dem Programm. Die Figur ist zu groß, um sie in einem Stück anzufertigen.
Stattdessen wurde sie in zwölf Einzelteile zerlegt: Füße, Beine, Hände, Arme, Kopf … Jetzt wird das letzte Stück gegossen. Die Form aus Schamotte steht schon bereit. „Gerd Müller“ und „Unterteil“ hat jemand mit dem Finger ober und unterhalb des Eingusslochs in den Gesteinsblock gekritzelt. Es wird still in der Halle, wo sonst immer jemand hämmert, flext oder schleift. Alle Arbeiten sind zum Erliegen gekommen, damit der Guss ungestört über die Bühne gehen kann. Zwei Männer mit silbernen Ganzkörperschürzen, dicken Handschuhen und verspiegeltem Visier vor dem Gesicht machen sich routiniert und mit sicheren Handgriffen ans Werk.
Mit langen Metallstäben manövrieren sie das in Rot und Orange glühende Gefäß mit der flüssigen Bronze über die Form. Sie kippen es, und die Bronze fließt zielsicher in die Form. Es knistert und blubbert, kleine weiße Rauchschwaden steigen auf. Der ganze Vorgang dauert nur ein paar Minuten, dann ist alles erledigt. Karel Fron klatscht in die Hände. „Prima!“, ruft er. Johann Gugg, der Firmenchef, gibt eine Runde Apfelschnaps aus. Ein Ritual. Fron tropft ein paar Spritzer aus seinem Stamperl auf die Form. „Gerd, ich taufe dich“, sagt er und stößt mit den anderen an. „Ich glaube, das wird gut.“
Vom Modell zum Denkmal
Fron trägt ein blaues T-Shirt mit dem Logo der Gießerei, in den letzten Wochen ist er quasi zum festen Mitarbeiter geworden. Jeden Tag hat er von früh bis spät am Denkmal gearbeitet. Der Weg vom Tonmodell zum Bronzedenkmal hat unzählige Arbeitsschritte. Noch in seinem Atelier in München wurde vom lebensgroßen Tonmodell per 3D-Scan und Druck ein Kunststoffmodell in 1,5facher Größe erstellt. Daraus entstand in der Gießerei ein Wachsmodell, an dem Fron noch viel nacharbeiten musste. „Wie ein abgewaschenes Stück Seife“ sei das Modell aus dem 3D-Drucker gekommen, erzählt Fron, alle Kanten waren weg. Also modellierte Fron in Wachs alles nach, was viel Zeit und Nerven kostete. Allein am Gesicht hat er noch einmal vier Wochen gearbeitet. Jetzt kann er darüber lachen, er deutet auf sein schloweißes Haupthaar: „Vorher hatte ich schwarze Haare!“ Als er endlich fertig war, übernahm die Gießerei die nächsten Schritte.
Aus dem Wachsmodell wurden zwölf Gussformen angefertigt. Mit Gusskanälen, Nägeln zur Stabilisierung und allem, was dazugehört. Die Formen wurden gebacken, das Wachs dabei ausgeschmolzen, sodass ein Hohlraum für die flüssige Bronze entstand. Ein Teil nach dem anderen wurde schließlich gegossen und erkaltet aus der Form geschlagen. „Es ist eine Lotterie. Vieles, vieles, vieles kann schieflaufen“, meint Fron, „aber es hat wunderbar geklappt.“ Auch für die Gießerei ist der bronzene Gerd Müller etwas Besonderes, allein schon wegen der Größe des Denkmals, meint Firmenchef Johann Gugg. Seit über 470 Jahren ist die Gießerei in der Hand seiner Familie, er ist die neunte Generation. Und auch das Denkmal ist ja eine Familienangelegenheit, von den Fans für die Fans und den Verein. Sogar die Finanzierung stemmen die Anhänger allein, mit Spenden der großen FCB-Familie aus aller Welt.
„Menschen brauchen Ideale, deswegen bauen wir für sie Denkmäler. Wenn man mal in einer schwierigen Situation steckt, kann man sagen: Denk mal an Gerd Müller! Er hat’s geschafft – und ich probier’s auch!”
Karel Fron, Künstler
Auch in der Gießerei arbeiten einige Bayern-Anhänger, sagt Gugg. Deswegen sei die Identifikation mit diesem Auftrag besonders groß. „Wenn sie mit ihren Kindern mal in die Allianz Arena fahren, kommen sie am Denkmal vorbei und können sagen: ‚Daran habe ich mitgearbeitet.‘“ Rund vier Meter hoch, samt Sockel, wird Gerd Müller vor der Arena stehen und zum Anziehungspunkt für alle Fans werden. „Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie er dort wirken wird“, sagt Georg Mooshofer von der Kurt Landauer Stiftung. Das Denkmal ist ein Dankeschön der Fans an die vielleicht größte Clublegende. „Es soll zum einen ein Denkmal sein, aber auch zum Nachdenken inspirieren“, meint Mooshofer. Mit seinen Toren habe Gerd Müller dem FC Bayern den Weg ganz nach oben gepflastert. „Dabei hat er es geschafft, Mensch zu bleiben. Das wird auch herausglitzern, wenn man das Denkmal anschaut.“
Denk mal an Gerd
Müllers Lebensweg sei ein Auf und Ab gewesen, „wie bei uns allen“, findet Fron. „Manchmal muss man einen Berg erklimmen. Das ist das, was das Leben ausmacht – und Gerd hat das gemeistert.“ Deswegen sei er ein Vorbild. „Menschen brauchen Ideale, deswegen bauen wir für sie Denkmäler. Wenn man mal in einer schwierigen Situation steckt, kann man sagen: Denk mal an Gerd Müller! Er hat’s geschafft – und ich probier’s auch! Ideale sind ein Motor, ein Enthusiasmus für die Zukunft.“ Es geht eben immer weiter. Bewegung sei auch immer ein zentraler Aspekt seiner Arbeiten gewesen, erzählt der Künstler. „Aber Bewegung in eine Statik zu bringen, ohne dass es theatralisch wirkt, das war eine Herausforderung“, erklärt Fron. „Das Denkmal sollte nicht ausdrücken: Ich bin der Größte! Sondern: Freude! Gerd soll Freude vermitteln, nicht nur für sich selbst, sondern für alle, die sich mit ihm freuen. Für die Fans. Das war seine größte Gabe.Ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffen würde, diese Freude zu modellieren.“ Doch Müllers Art zu jubeln mit den nach oben gestreckten Armen, habe es ihm leichter gemacht. „Das war pure Freude, und die habe ich versucht zu verwirklichen und zu verewigen.“
In der Werkstatt der Gießerei ist eine Hand von Gerd Müller in den Schraubstock gespannt. Man erkennt, wo Gusskanäle angesetzt waren, wo ein Nagel saß. Die kleinen Stümpfe müssen entfernt, die Löcher müssen zugeschweißt werden. Fron arbeitet mit Winkelschleifer, Hammer und einem kleinen Meißel. Auch künstlerisch gibt er hier dem Denkmal den letzten Schliff. Mit sogenannten Ziseliereisen arbeitet er Konturen nach und strukturiert die Oberfläche. „Die Figur lebt von einer gewissen Struktur, das macht sie lebendiger. Wie bei einem Baum die Rinde“, erklärt er. Es ist eine kleinteilige Handarbeit, für die er noch ein paar Wochen brauchen wird. Anschließend wird patiniert, um dem Denkmal ein einheitliches Erscheinungsbild zu geben. Nebenbei entsteht noch der Sockel, auf dem Gerd Müller vor der Arena stehen wird. Es gibt also noch viel zu tun. Doch jetzt, wo Gerd Müllers Kopf gelungen ist, ist Fron mehr denn je voller Energie und Tatendrang. Er grinst und sagt: „Bis zum Gäubodenfest müssen wir fertig sein. Dann machen sie die Gießerei hier zu.“
Dieser Artikel ist Teil der neuen September-Ausgabe des FC Bayern-Mitgliedermagazins „51“.
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