1963 wechselte Zlatko Čajkovski (1923-1998) als Meistertrainer zum Regionalligisten FC Bayern München. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert. Hier erinnern sich Funktionäre, Spieler und sein Sohn an den legendären Coach, der am 24. November 100 Jahre alt geworden wäre. Der Text erschien bereits vor fünf Jahren anlässlich Čajkovskis 95. Geburtstag im Mitgliedermagazin „51“.
Weggefährten über Zlatko „Tschik“ Čajkovski
Willi O. Hoffmann (†), Schatzmeister und späterer Präsident: „Im Frühjahr 1963 hatten wir mitbekommen, dass Tschik seinen Posten beim 1. FC Köln aufgeben und sich verändern wollte. Weil zu jener Zeit bereits viele Jugoslawen in München lebten, war Čajkovski zu Gesprächen bereit und so wurde ich von unserem damaligen Präsidenten Wilhelm Neudecker beauftragt, einen Vertrag auszuhandeln. Wir trafen uns an einem Sonntag im ersten Stock des ‚Hotel Stachus‘ in der Münchner Innenstadt – Tschik hatte seine Frau mitgebacht. Wir sprachen über sein Gehalt, eine Wohnung in Sendling und einen Dienstwagen. Es lief zunächst sehr gut.“
Zlatan Čajkovski (69), Tschiks Sohn und selbst Profifußballer: „Unsere Familie ist immer viel herumgekommen – Köln, München, später dann Hannover, Nürnberg und so weiter – deshalb war ich nie ein besonders guter Schüler…“ (lacht)
Willi O. Hoffmann: „Tschik war ein cleverer Geschäftsmann. Kurz bevor wir den Fünf-Jahres-Vertrag unterschreiben wollten, sagte er: ‚Wir müssen sprechen über Prämie für Aufstieg und Pokalsieg.‘ Gut, kein Problem. Tschik fuhr fort: ‚Was ist mit Prämie für Deutsche Meisterschaft?‘ Aha, der Mann ist optimistisch, dachte ich mir, und erkennt das Potenzial unserer Mannschaft. Tschik verhandelte weiter: ‚Was ist mit Prämie, wenn ich hole Europacup?‘ Nun rief ich Präsident Neudecker an, der antwortete: ‚Wenn er das schafft, dann bekommt er eine Million Mark!‘ Ich habe mich dann mit Tschik auf ein Zehntel der Summe geeinigt. Und der Vertrag wurde unterschrieben.“
Peter Kupferschmidt (81), spielte von 1956 bis 1971 für den FCB: „Tschik war der richtige Trainer zur richtigen Zeit. Die Mannschaft war damals eine Ansammlung von Freunden, die in der Jugend von Nachwuchstrainer Rudi Weiß geformt und bestens ausgebildet worden waren. Dass wir uns so gefunden haben, dass es so gepasst hat – das war einmalig!“
Franz Beckenbauer (78), spielte von 1958 bis 1977 beim FC Bayern: „Ich spielte noch in der Jugend, als er mich erstmals zum Training der Profis mitnahm. Man könnte sagen, er war einer der Ersten, der mein Talent erkannte.“
Sepp Maier (79), Torhüter von 1959 bis 1979: „Tschik war wie ein Vater für uns. Er konnte ernst sein und sauer werden. Mit dem Satz ‚Du gehen Schuhe putzen‘ hat er uns als Strafe zum Zeugwart geschickt. Aber wenig später war wieder gute Stimmung. Mit seinem Temperament hat er uns belebt.“
Werner Olk (85), Kapitän, von 1960 bis 1970 beim FCB: „Tschik war der Typ ‚Laissez-faire‘, er ließ uns laufen und schenkte uns das nötige Vertrauen – und war damit genau der Richtige für uns junge Burschen. Denn wir wollten uns ja austoben.“
Dieter „Mucki“ Brenninger (79), spielte von 1960 bis 1971 beim FCB: „Er hat uns geprägt – spielerisch und menschlich. Und ich habe Tschik sogar meinen Beinamen zu verdanken. Er verstand meinen alten Spitznamen „Wucki“ nicht und nannte mich immer „Mucki“. Heute sagen meine Enkel ,Mucki-Opa‘ zu mir.“
Sepp Maier: „Im Training hat er beim Abschlussspiel immer gerne selber mitgespielt – trotz seines kleinen Ranzens. ‚Ich stelle meine Mannschaft auf‘, hat er dann gesagt und sich die besten Spieler herausgesucht. Dann ließ er so lange spielen, bis er gewonnen hatte. Wir haben ihn dann immer gewinnen lassen, damit er das Training beendet. Im Idealfall schoss er auch noch das Siegtor.“
„Mucki“ Brenninger: „Als ehemaliger Weltklassespieler hat er uns sämtliche Tricks gezeigt. Ein echtes System gab es nicht. Seine Lieblingssprüche im Training waren: ,Immer gehen in die Strafraum‘ und ,Musst Du hinten zumachen‘“.
Franz Beckenbauer: „Damals waren junge Spieler noch nicht so geschult wie heute. Tschik hat uns ausgebildet und gleichzeitig erzogen, hat uns vieles vorgemacht – das Passspiel zum Beispiel.“
Peter Kupferschmidt: Der richtige Trainer zur richtigen Zeit
Zlatan Čajkovski: „Mein Vater war zu dieser Zeit eher Bayern-Trainer als Familienmensch. Das soll nicht böse klingen. Er war einfach nicht oft daheim und sehr mit seinen jungen Spielern beschäftigt. Es gab diese besondere Stimmung im Team. Einmal haben zum Beispiel alle mitgeholfen, unseren Garten in Solln herzurichten.“
Sepp Maier: „Die Spielersitzungen von Tschik haben nur zehn Minuten gedauert. ,Freude am Spiel haben‘, hat er uns immer aufgetragen.“
„Mucki“ Brenninger: „Die gute Stimmung im Team hat uns zum Erfolg getragen. Tschik konnte die Leute begeistern. Wenn wir mal nicht als Sieger vom Platz gegangen sind – wie beim Aufstiegsspiel 1964 gegen Neunkirchen – war er richtig sauer. Er sagte dann: ,Du mir gestohlen diese Prämie.‘“
Willi O. Hoffmann: „Ein Jahr später stiegen wir auf. Da mussten wir die erste Prämie zahlen.“
Zlatan Čajkovski: „Am meisten Wert hat er auf die Meinung meiner Mama gelegt. Sie hatte ein Auge für den Fußball, hat oft mal gefragt: ,Warum spielt der so schlecht?‘ oder ,Wieso stellst du den nicht auf?‘ Sie haben dann hitzig diskutiert.“
Werner Olk: „Neben dem Fußball war das Essen seine große Leidenschaft. Er liebte Essen – vor allem Fleisch. Einmal waren wir mit der Mannschaft bei der Familie Dassler von adidas in deren Bungalow in Herzogenaurach eingeladen, es gab ein ganzes Spanferkel. Als Tschik das sah, stürzte er sich fast auf den Schweinskopf und stellte klar: ‚Diese Kopf ist gut, den reserviere ich für mich.‘“
„Mucki“ Brenninger: „Wir hatten schon den Verdacht, dass unsere Testspielgegner nach kulinarischen Gesichtspunkten ausgesucht wurden.“
Werner Olk: „Egal, in welches Restaurant oder Hotel wir mit der Mannschaft kamen, Tschik ging immer als erstes in die Küche und ‚kontrollierte‘ das Essen. Manchmal packte er die Reste ein: ‚Das ist für meine Hunde.‘ Dann ging er zu seinem Auto und genehmigte sich noch einen kleinen Imbiss.“
Willi O. Hoffmann: „Manager Robert Schwan musste ihn vor einem Auswärtsspiel in Berlin mal davon überzeugen, dass Spanferkelessen keine ideale Spielvorbereitung ist.“
Werner Olk: „Einmal fuhren wir mit dem Zug zu einem Spiel nach Belgrad und mussten in Zagreb umsteigen. Tschik, Präsident Neudecker und ein paar andere wollten die halbe Stunde Wartezeit nutzen, um etwas zu essen. Das dauerte allerdings so lange, dass sie den Zug verpassten und vier, fünf Stunden auf den nächsten Zug warten mussten.“
„Mucki“ Brenninger: „Die Kultur unserer Reiseziele hat ihn weniger interessiert. Auf einer USA-Reise weigerte er sich sogar, mit uns Disneyland zu besuchen. Er hat sich in Los Angeles auf einer Bank schlafen gelegt – und als wir nach vier Stunden Gaudi zurückkamen, lag er da immer noch.“
Peter Kupferschmidt: „Durch unsere frühen Erfolge hat Tschik nicht streng sein müssen. Er hatte alles im Griff. Als wir 1967 im Hinspiel des Europapokal-Viertelfinals bei Rapid Wien 0:1 verloren, tüftelte Tschik am Rückspiel-Kader. Er wollte unseren Mittelfeldspieler Dieter Koulmann gerne spielen lassen. Allerdings galt der als Hallodri. Zwei Tage vor der Partie klingelte Tschik um 22.30 Uhr bei Familie Koulmann. Die Frau öffnete. ,Wo ist Kulle?‘ Ihre Antwort: ,Unterwegs.‘ Tschik setzte sich auf das Sofa und wartete. Leider wissen wir bis heute nicht, wann Koulmann nach Hause kam. Der Coach war auf der Couch eingeschlafen. Kulle hat aber gespielt – und eine Top-Partie gemacht.“
Franz Beckenbauer: „Er setzte auf junge Spieler – ohne die älteren zu vernachlässigen. Er fand eine gute Kombination aus Jugend und Erfahrung.“
Willi O. Hoffmann: „1966 und 1967 holten wir dann den DFB-Pokal und 1967 gewannen wir zur Krönung den Europapokal der Pokalsieger in Nürnberg gegen die Glasgow Rangers. In der nächsten Präsidiumssitzung rief Präsident Neuberger laut: ‚Welches Rindvieh hat eigentlich diesen Vertrag mit dem Trainer gemacht?‘“
Zlatan Čajkovski: „Ich habe ja auch in der Jugend für den FC Bayern gespielt – und später in der zweiten Liga. Für mich war der Name Čajkovski allerdings eher ein Hemmschuh – denn alle haben ihn mit etwas Großem verbunden. Während seiner Zeit als Nürnberg-Trainer durften ich und ein paar andere Jugendspieler ab und an bei meinem Vater mittrainieren. Als der Vorstand das verbieten wollte, hat er seinen Vertrag kurzerhand gekündigt. So war Papa. Dass er nicht noch länger beim FC Bayern geblieben ist, hat er später bereut. Hier war es am schönsten.“
Im November startete bei RTL+ die Serie „Gute Freunde – der Aufstieg des FC Bayern“ – ein Gespräch mit Paul Breitner und Schauspieler und Jan-David Bürger:
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