Charakteristisch für das, was in den nachfolgenden 90 Minuten wohl kommen würde, stand ja einmal mehr dieser Spielertunnel auf Schalke. Einem Zechengang ist dieser nachempfunden, mit dem Gefühl, schweißtreibend unter Tage zu schuften, Fußball zu arbeiten. Für Shakhtar Donetsk, den 15-fachen ukrainischen Meister, sind diese Emotionen fast genauso tief in der DNA verwurzelt wie bei Schalke 04. Dem Club, der von sich sagt, auf Kohle geboren worden zu sein. Für die Champions League-Heimspiele kommt Shakhtar – auf Deutsch: Schachtarbeiter – aus Kiew jedes Mal bis nach Gelsenkirchen angereist, 15 Stunden, mit Busfahrt nach Polen und Flug von dort nach Düsseldorf. Das allein ist schon ein Kraftakt.
Bayern trotzt den Verletzungen
Dass Donetsk dann das Tageslicht nicht besonders glücklich nach 90 Fußballminuten gegen den deutschen Rekordmeister wieder erreichte, als der türkische Unparteiische Umut Meler nach einem standesgemäßen 1:5 (1:2) abpfiff, daran war aber vor allem das elegante Hämmern und Klopfen des FC Bayern schuld. Neun Spieler hatten sich verletzungsbedingt bei Cheftrainer Vincent Kompany im Vorfeld für die Champions League-Schicht abgemeldet, neben Kapitän Manuel Neuer fehlte damit sowohl der Stammkeeper wie auch mit Kingsley Coman, Harry Kane und Serge Gnabry gleich mehr als die halbe Offensive. „Vincent und sein Trainerteam haben aus der schwierigen Situation mit den vielen Verletzten heute etwas Gutes gemacht“, sagte am späteren Abend der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen in seiner Rede beim Bankett in stilechtem Ambiente in der Schwarzkaue auf Zeche Ewald.
Trotz der personellen Engpässe startete der FC Bayern gewohnt druckvoll in die Begegnung auf Schalke, die sich angesichts der zahlreichen angereisten FC Bayern-Fans zumindest ein wenig wie ein halbes Heimspiel anfühlte. Das erste Tor machte aber der Gastgeber: Nach einem Ballverlust schaltete Shakhtar gegen die aufgerückte Viererkette der Münchner schnell, Oleksandr Zubkov schlug einen starken Pass in die Schnittstelle, und der Brasilianer Kevin ließ bei seinem Flachschuss Ersatzmann Daniel Peretz im FC Bayern-Tor keine Abwehrchance (5. Minute).
Kompany: „Wir sind ruhig geblieben“
„Nach dem ersten Tor sind wir ruhig geblieben“, lobte Vincent Kompany trotzdem seine Mannschaft, die von Routinier Thomas Müller als Kapitän angeführt wurde. „Am Anfang waren wir noch ein bisschen unsauber, waren nicht so aggressiv. Danach sind wir immer besser ins Spiel gekommen“, fand Konrad Laimer – und der Österreicher war es auch, der nur sechs Minuten später mit seinem ersten Champions League-Tor für den FCB den 1:1-Ausgleich markierte. Aus spitzem Winkel hämmerte er den Ball nach Vorarbeit von Michael Olise unter die Donetsker Torlatte – ein Tor wie das Treffen auf eine Erzader im Gestein.
„Das Gegentor hat uns kalt erwischt“, gestand später auch Thomas Müller. Aber: „Wir haben dann aber weiter gemacht und viele Momente im Pressing gehabt. Sie wollten von hinten rausspielen, haben dann aber auch einige Bälle verloren. So wie wir unser zweites Tor machen.“ Leroy Sané klaute da ein Zuspiel im Mittelfeld von Shakhtar-Spieler Marlon, Jamal Musiala brachte Müller geschickt ins Spiel, der etwas akrobatisch zum 2:1 einschieben konnte (43.). Noch vor der Halbzeit war es dem FC Bayern gelungen, die Partie zu seinen Gunsten zu drehen – und das nicht unverdient: 31:2 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum sprachen eine deutliche Sprache. Allerdings besaß der deutsche Rekordmeister auch das Glück des Tüchtigen. In einem weiteren blitzschnellen Konter zielte Donetsk‘ Jungstar Sudakov einen Querpass von Kevin aus nächster Nähe neben das Tor (44.).
Und so machte der FC Bayern in der zweiten Hälfte weiter – nach einer weiteren, kurzen Schrecksekunde: Valerij Bonda hatte sich in den Rücken der Bayern-Abwehr geschlichen und war bereits einschussbereit, hätte sich nicht noch Thomas Müller herangeschlichen und sein Bein zwischen Ball und Tor gedrückt. „Im Spiel war die Wahrnehmung, so dass der Ball kommt, verlängert wird und der Gegenspieler riecht es und will halt den Tap-in“, erklärte Müller später. „Aber ich halte die Flosse rein und irgendwie geht der Ball sogar drüber. An sich hatte ich den Ball schon drin gesehen und dann war er doch nicht drin.“
Und das war gut so: Wieder baute der FC Bayern gegen sehr tief stehende, tapfer verteidigende Ukrainer eine hohe Druckphase auf. Mit zunehmender Spielzeit machte das Verteidigen die Gastgeber müde – und eröffnete Fehler. Allerdings auch beim Unparteiischen: Als Musiala eine Kimmich-Ecke volley zum 3:1 neben den Pfosten drückte, wurde der Treffer zum Erstaunen aller wieder aberkannt. Mathys Tel hatte zwar Donetsk-Torwart Dmytro Riznyk berührt – aber weder gedrückt noch gehalten. Ein regulärer Treffer somit, der aber nicht zählte. Unbeirrt drückte der FC Bayern weiter, der eingewechselte Sacha Boey zog von der Strafraumgrenze aus ab und wurde vom tunesischen Shakhtar-Verteidiger Alaa Ghram getroffen: Strafstoß. Michael Olise verwandelte in Abwesenheit von Torjäger Harry Kane sicher zur 3:1-Vorentscheidung. „Wir haben den Matchplan weitergeführt und es wurde belohnt“, kommentierte der Torschütze später kurz und knapp.
Geschenk für ein Geburtstagskind
In der Folge bekam Daniel Peretz die Chance, sich mehrfach sehenswert auszuzeichnen, wie gegen Pedrinhos feinen Fernschuss, den der Keeper um den Pfosten lenkte (83.): „Ich freue mich, dass ich die Dinge im Spiel zeigen konnte, an denen ich jeden Tag arbeite“, sagte der Startelf-Debütant in der Champions League glücklich. Dann durfte Peretz mit seiner Mannschaft noch zweimal jubeln, als die Kräfte Shakhtars aufgebraucht waren: Erst erzielte Jamal Musiala überlegt das 4:1 (87.), dann umkurvte Michael Olise zum Schlusspunkt im Alleingang die halbe Donetsker Verteidigung, um zum 5:1 einzuschieben (90.+3). In der Nachspielzeit durfte sich auch noch Arijon Ibrahimović über sein Champions League-Debüt freuen. Der Offensivspieler feierte mit diesem besonderen Highlight in seinen 19. Geburtstag hinein und bekam auf dem Bankett ein Ständchen.
So waren, als die Schlusssirene ertönte und der Grubenaufzug den FC Bayern nach getaner Schicht zurück zur Oberfläche bugsierte, auch die Vorarbeiter glücklich: „Wir haben uns heute eine gute Ausgangslage erspielt und werden dann hoffentlich am Ende der Vorrunde unter den ersten Acht stehen“, meinte CEO Dreesen. „Das würde uns die Playoff-Spiele ersparen, was angesichts der Belastung wünschenswert wäre“, führte Sportvorstand Max Eberl aus. „Wir sind gewachsen in dem Spiel und immer besser geworden“, freute sich Cheftrainer Vincent Kompany. „Insgesamt war es eine stabile Leistung. Wir waren dominant, hatten viele Möglichkeiten. Es geht natürlich immer besser, aber wir sind auf einem guten Weg.“ Der Schacht, sollte das heißen, bietet für den FC Bayern noch einige Schätze.
Thomas Müller war einer der Matchwinner am Dienstagabend:
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