
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
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
Man sah am Ende Bilder, die der FC Bayern München selten produziert: Jubel, Umarmungen, geballte Fäuste – aber vor dem eigenen Tor, bei der nächsten verteidigten Leverkusener Großchance. Knie, Stutzen, Bayerntrikots voller Gras und Dreck - Zeugnisse des großen Kampfs, der Leidenschaft, der engagierten Defensivarbeit. Und glückliche Gesichter der Münchner um Manuel Neuer, den Kapitän, Konrad Laimer, den wie schon in Glasgow unter der Woche erneut bärenstarken Dayot Upamecano – obwohl doch ein torloses 0:0 auf der Anzeigetafel der BayArena stand.
Es war ein Unentschieden des Tabellenführers beim Tabellenzweiten, das am Ende zwei Interpretationen zuließ – je nachdem, für welche Seite man die Daumen drückte. Lothar Matthäus sprach als TV-Experte von einem Spiel, das der FC Bayern „mit 0:0 gewonnen“ hatte. Der Vorsprung von acht Punkten zwölf Spieltage vor Schluss, er bleibt damit schließlich dank des bayerischen Abwehrbollwerks erhalten. Und dann gab es da noch die andere Perspektive, wie die von Leverkusens Granit Xhaka. Der Mittelfeldspieler meinte: „Wir sind der gefühlte Verlierer. Wir haben eine super Leistung gebracht, wir hatten so viele Chancen. Wenn man gegen so eine Top-Mannschaft seine Chancen nicht macht, ist das sehr bitter. Wir hätten heute als Sieger vom Platz gehen müssen.“

Tatsächlich hatte Bayer 04 gleich mehrfach die Chancen zur Führung besessen, traf in der ersten Hälfte zweimal die Torlatte des FC Bayern. Später klärte Hiroki Ito in seinem ersten Pflichtspiel von Beginn an per Kopf auf der Münchner Torlinie. Und in der Schlussphase reagierte erst Manuel Neuer stark, der Nachschuss landete um Haaresbreite im Toraus. Doch es war nicht allein das Glück, das den FC Bayern beim heiß erwarteten Gipfeltreffen in Leverkusen am Ende über die Zeit rettete. Nein, es war vielmehr die Mentalität, der Wille, der Widerstand, der es irgendwie erzwang, dass kein Treffer für Bayer 04 mehr hatte fallen können. „Wir gehen mit einem Punkt nach Hause, der vielleicht glücklich ist“, erklärte Neuer, „aber in der Vergangenheit war es auch mal umgekehrt.“
Das Momentum drehte bald
So lag der Taktstock für den Spielrhythmus diesmal nur in der allerersten Phase des Spiels in den Händen des FC Bayern. Wie gewohnt hatten die Gäste viel Ballbesitz und die Dominanz, aber lediglich in der Anfangsviertelstunde des Spitzenspiels. Dann drehte das Momentum zunehmend, weil Bayer sehr aggressiv und gefühlt über das gesamte Spielfeld mit sehr hohem Aufwand Mann-gegen-Mann verteidigte. „Sie haben sich heute das erste Mal getraut, gegen uns zu pressen“, hatte Thomas Müller erstaunt festgestellt: „Und man muss zugestehen, dass diese Taktik aufgegangen ist.“
Der FC Bayern suchte ab sofort nach Zugriff, fand sich im ungewohnten Rückwärtsgang wieder und musste vor allem verteidigen. Nach eigenen Ballverlusten lief Leverkusen postwendend frech und mutig hoch an und erkämpfte so das Spielgerät häufig gleich wieder zurück. „Der Plan ist eigentlich immer, dass wir Fußballspielen und dass wir vorne pressen. Das ist heute nicht gelungen“, sagte Aleksandar Pavlović: „Es war durchs Pressing schwer für uns, hinten kontrolliert rauszukommen.“
Und so ging es bald vorrangig darum, zu verhindern, dass die sehr frischen Leverkusener Beine nach einer Woche ohne Pflichtspiel, den FC Bayern, dem kräftemäßig noch das emotionale 2:1 bei Celtic vom Mittwoch anzumerken war, nicht folgenschwer überrannten. „Wir haben gefightet, haben uns den Punkt erkämpft. Das war das Maximum, was heute drin war gegen eine richtig gute Leverkusener Mannschaft“, freute sich Christoph Freund, der Sportdirektor. „Die Tugenden, die heute gefragt waren, die haben wir auf den Platz gebracht.“
Spezialtraining für die Defensive
Diese Tugenden, verriet Thomas Müller, hatte Cheftrainer Vincent Kompany zuletzt sogar auf den Trainingsplan genommen: „Wir haben viel dran gearbeitet, dass wir in den Strafräumen, wo die Tore fallen, besser arbeiten. Wir haben das Box-Defending trainiert. Und wenn man was Positives heute rausziehen will, haben wir da viel geblockt und als Team viel verteidigt.“ In der Tat: Immer wieder flogen Joshua Kimmich, Dayot Upamecano, Minjae Kim oder sogar Offensivkünstler Michael Olise in die wütenden Schussversuche der Leverkusener. Harry Kane arbeitete weit bis in die eigene Hälfte mit nach hinten. Alle Außenstürmer waren in der Defensivarbeit gebunden – kurzum: Jeder kämpfte für jeden um jeden Zentimeter Rasen. Mit dem Erfolg, am Ende des Abends zwar nur wenig nach vorn kreiert, aber hinten die viel wichtigere Null gehalten zu haben. „In dieser Belastungsperiode ist das auf jeden Fall ein positives Ergebnis für uns“, schloss Thomas Müller: Wenn wie heute das Momentum nicht auf deiner Seite ist, dann musst du vor allem dagegenhalten - und das haben wir gut gemacht.“

Ein Sonderlob sammelte sich in dieser Defensivschlacht erneut Dayot Upamecano ein. Bei ihm wunderte man sich nach Spielschluss fast ein wenig, dass er keinerlei Ölschmierer am Trikot hatte, so hart hatte der französische Nationalverteidiger im Maschinenraum des Fußballs zuvor geschuftet: „Er befindet sich auf einem richtig guten Weg, ist eine Führungspersönlichkeit geworden. Er spielt richtig stark und konstant auf einem hohen Level“, meinte Christoph Freund. „Seine Wichtigkeit wird immer größer. Das freut mich auch für ihn, weil er ja auch immer mal wieder in der Kritik war. Unsere Spielweise kommt ihm sehr entgegen, das sieht man auch. Er fühlt sich sehr wohl.“
Vincent Kompany stellte auch mit Blick auf das Rückspiel in den Playoffs der Champions League am Dienstag in der Allianz Arena gegen Celtic Glasgow den Teamgeist heraus: „Die Mannschaft hat eine große Mentalität im Verteidigen gezeigt“, lobte der Cheftrainer. „Bayer hat heute viel richtig gemacht. Aber wir haben die Mentalität gezeigt, die Schüsse zu blocken, Flanken zu verteidigen und als Team nach hinten zu arbeiten, mit Harry, Jamal und allen, die sonst Tore schießen.“
Und so ging es am Ende, als das Flutlicht in Leverkusen am späten Samstagabend abgeschaltet wurde, mit einem ungewohnten Gefühl für den FC Bayern nach Hause: Es war ein 0:0, das sich tatsächlich ein wenig so anfühlte, als hätte man gewonnen.
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