




Die Geschichte von Inter Mailand ist geprägt von einem großen Namen und wechselhaften Erfolgen. Nachdem der Club sich 1908 von der AC Milan abgespalten hatte, musste Inter sportliche Durststrecken überstehen, dominierte aber auch immer wieder – bis hin zum historischen Triple 2010. Heute hat sich die Mannschaft unter Trainer Simone Inzaghi die Vormachtstellung nicht nur in der lombardischen Metropole, sondern in ganz Italien erkämpft. Inter spielt einen attraktiven, modernen Fußball und trifft im Viertelfinale der Champions League auf den FC Bayern.
Bayern-Gegner Inter Mailand im Porträt

Die Geburt war keine Stunde des Glücks, sondern eine voller Streit und Ärger: Im Ristorante Orologio nahe der Piazza del Duomo hatten sich im März 1908 Mitglieder der AC Milan in Rage geredet und beschlossen, sich vom nationalistischen Arbeiterverein abzuspalten. Bei Milan durften seit Gründung 1899 keine Ausländer spielen. Schwarz-Blau wurde zu den Vereinsfarben, das neue Logo malten die Abtrünnigen auf einen Bierdeckel: „Internazionale“ wurde zum Club der Intellektuellen, der Bürger, der Künstler, der Ausländer. Ihr erster Mannschaftskapitän war voller Symbolkraft nicht etwa ein Italiener, sondern ein Schweizer.
Heute noch versteht sich Internazionale als progressiver und weltbürgerlicher Verein. Aus Sicht der verhassten Milanisti bleibt Inter hingegen vielmehr ein auf ewig aus der Familie verstoßener Bruder. Was besonders wehtut: Internazionale besitzt seit vergangener Saison einen Meisterstern mehr als der Stadtrivale. Es ist eine Schmach – oder ein riesengroßes Glück. Je nachdem, welche Farben man in Mailand befragt.

Ein Derby della Madonnina entscheidet die Meisterschaft
Eine Geschichte, wie sie nur der Fußball schreiben kann, erzählen beide Seiten über den fünftletzten Spieltag der vergangenen Saison. Ausgerechnet beim Derby della Madonnina, benannt nach der Madonnenstatue auf dem Mailänder Dom, sicherte sich Inter mit einem 2:1 über die AC Milan den 20. Scudetto der Serie A. Es ist ein Meilenstein für die Nerazurri: Mit dem Meistertitel ist Inter zum ersten Mal seit Langem wieder vorbeigezogen an Milan (19 Titel). Seitdem prangt der zweite Meisterstern an Inters Trikot – einen erhält man in Italien für zehn Scudetti. Und sieben Spieltage vor Saisonende steht der Club auch heuer wieder an der Spitze der Serie A, vier Punkte vor Verfolger Napoli (das kann am heutigen Montagabend noch auf einen Zähler heranrücken), satte zwanzig vor Milan. Nun trifft er in der Champions League im Viertelfinale auf den FC Bayern.
Simone Inzaghi als Vater des Inter-Erfolgs
Experten erwarten ein ausgeglichenes Duell zwischen dem deutschen Rekordmeister und dem aktuellen Aushängeschild der lombardischen Metropole. Möglich gemacht hat diesen Wechsel der Vormachtstellung Simone Inzaghi, der Trainer. 2021 wurde er als Inter-Chefcoach installiert, Meistercoach Antonio Conte zog nach dem 19. Titel zügig weiter – weil die chinesischen Clubeigentümer beschlossen hatten, fortan weniger in den Kader investieren zu wollen.
So war es an Inzaghi und Sportchef Giuseppe Marotte, aus weniger mehr zu machen. Die halbe Startelf des historischen 2:1-Meistererfolges über Milan war ablösefrei oder für wenig Geld gekommen. Geformt wurde vor allem eine kompakte Defensive um die ehemaligen Münchner Benjamin Pavard und Torwart Yann Sommer, den Abwehrchef Francesco Acerbi sowie Linksverteidiger Federico Dimarco aus der eigenen Jugend. Im Mittelfeld bestimmen der Ex-Dortmunder Henrikh Mkhitaryan und Ex-Milan-Spieler Hakan Çalhanoğlu das Tempo, vorn trifft der aus Gladbach akquirierte Angreifer Marcus Thuram neben Weltmeister und Inter-Kapitän Lautaro Martínez. Der Argentinier erzielte in der Champions League in neun Partien bislang sechs Treffer. Herausgekommen ist aus dieser besonderen Komposition ein geradliniger, eleganter Inter-Fußball: Verteidiger rücken bei Ballbesitz mutig mit nach vorn, die Gegner werden durch taktische Kniffe und läuferische Stärke im Idealfall gar nicht erst ins Spielgeschehen hineingelassen.

Dabei war Inter vor nicht allzu langer Zeit noch die Geburtsstätte des Catenaccio. Fast alle großen Triumphe des Klubs beruhten auf dieser disziplinierten Mauertaktik – egal ob Mitte der 80er, als Karl-Heinz Rummenigge für eine Rekordablöse nach Mailand wechselte, Ende der 80er Jahre unter dem späteren Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni oder in der jüngeren Zeit durch José Mourinho. Ästhetik war bei Inter nie ein Kriterium. Die Tifosi verziehen das immer dann, wenn der Catenaccio große Titel brachte. So war es auch beim „Inter dei Tedeschi“, dem „Inter der Deutschen“.
Brehme, Matthäus und Klinsmann
1988 kamen Andreas Brehme und Lothar Matthäus zu Inter, ein Jahr später auch noch Jürgen Klinsmann. Sie bildeten mit den italienischen Ikonen Walter Zenga, Nicola Berti und Giuseppe Bergomi eine fast schon popkulturelle Elf dieses Jahrzehnts. Unter „Trap“ fegte Inter regelrecht durch die Serie A: 58 Punkte, 26 Siege in 34 Spielen – nie wieder war eine Mannschaft besser zu einer Zeit, in der ein Sieg noch zwei Punkte brachte. Inter dominierte im Jahr des „Scudetto dei record“ die führende Spielklasse der Welt mit ikonischen Gegnern wie Diego Maradonas Neapel, Rudi Völlers und Thomas Häßlers Roma und natürlich dem ewigen Stadtrivalen mit den großen Niederländern Ruud Gullit, Frank Rijkaard und Marco van Basten.

In der Folge aber ging der Glanz rasch wieder verloren. Schuld daran waren Transfers, die nicht einschlugen oder wie Weltstar Ronaldo häufig verletzt fehlten. Darüber hinaus verlor sich Inter in zahlreichen Trainerwechseln. Erst in der Ära Zlatan Ibrahimovićs folgten wieder zwei Double aus Meistertitel und Pokalsieg. José Mourinho krempelte die Mannschaft letztlich entscheidend um, es kamen Samuel Eto’o oder der frühere Bayern-Verteidiger Lúcio, und Inter überholte erstmals wieder mit 18 zu 17 Meistertiteln die glanzvolle AC Milan. Als erste italienische Mannschaft gelang 2010 das „Triple“ – im Champions League-Finale bezwangen die Nerazurri in Madrid den FC Bayern mit 2:0. Es war der einzige, ganz große Sieg in insgesamt neun Aufeinandertreffen im Europapokal.
„Es werden zwei schwierige Spiele“
Das Inter der jungen Jahre hat mit dem historischen Inter also nicht mehr viel gemein. Die Mannschaft, ihr Fußball ist weniger ausrechenbar geworden und die Defensive zählt zu den besten der italienischen Liga und der Champions League. Vor zwei Jahren ging das Finale der Königsklasse nur knapp 0:1 gegen Manchester City verloren. Im Halbfinale wurde die AC Milan in beiden Spielen gedemütigt. Diesmal möchte Internazionale den Weg zum Titel unbedingt zu Ende bringen. Und ist vor dem Viertelfinale gewarnt: „Der FC Bayern besitzt eine großartige Mannschaft“, meinte Simone Inzaghi, der Coach. „Sie bestimmen ihre Liga und wir werden unser Bestes benötigen, um sie zu schlagen.“ Verteidiger Carlos Augusto sprach von einer „großartigen Mannschaft mit einer langen Geschichte. Es werden zwei schwierige Spiele, aber auch zwei wundervolle Spiele werden – in Deutschland und in Italien“. Am Ende wird eine weitere Stunde des Glücks stehen – die Frage bleibt nur, ob für den FC Bayern oder für die Nerazzuri.
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