
Es war 21:56 Uhr am Freitagabend, als Harry Kane das nächste Kapitel ins große Geschichtsbuch der Fußball-Bundesliga schrieb. Luis Díaz hatte ein sehenswertes Tänzchen in den Bremer Strafraum hingelegt und mit einem doppelten Übersteiger abgeschlossen, der Torschuss des Kolumbianers aber war noch abgeblockt worden. Von dort sprang der Fußball zu demjenigen, den der Ball am allerliebsten hat: Harry Kane. Der schickte ihn trocken, satt, humorlos über die Werder-Torlinie zum 3:0 an diesem insgesamt recht unaufgeregten Wiesn-Abend in München. Es war das 100. Pflichtspieltor des Engländers für den FC Bayern im gerade einmal 104. Pflichtspiel - kein anderer Spieler aus den fünf großen Ligen Europas benötigte in diesem Jahrtausend so wenige Pflichtspiele bis zu diesem beeindruckenden Meilenstein. „100 Tore in 104 Spielen für Bayern München – das ist sogar für mich verrückt, um ehrlich zu sein“, verriet Kane später: „Es ist eine Ehre, 100 Tore für diesen großartigen Club zu erreichen. Glückwunsch auch an alle Mitarbeiter, die Mitspieler, alle, die mir geholfen haben, dahin zu kommen, wo ich bin. 100 Tore so schnell – darauf bin ich wirklich stolz. Aber wie ich immer sage: Es geht weiter, auf die nächsten 100. Und hoffentlich so schnell wie möglich.“
Auch Trainer Kompany war beeindruckt

Auch der Cheftrainer huldigte dem Torjäger: „Wer so viele Tore schießt und gleichzeitig so viel für die Mannschaft arbeitet, hat einen riesigen Stellenwert“, so Vincent Kompany: „Das ist nicht nur den Ball reinzuschießen. Für einen Trainer ist es unglaublich, so einen Vollprofi zu haben, der Woche für Woche besessen davon ist, zu treffen und zu performen – und mit nichts zufrieden ist außer Toren. Dieses Gesamtpaket macht ihn gerade so wertvoll.“ Zwei Treffer steuerte der 32-Jährige dem 4:0 (2:0)-Heimsieg über den SV Werder Bremen am Ende bei – 15 Punkte und die Tordifferenz von 22:3 sind die beste Bilanz aus den ersten fünf Spielen einer Bundesligasaison insgesamt.
FC Bayern bis ins Detail auf Werder vorbereitet
Werder erwies sich vor 75.000 Zuschauern in der Allianz Arena phasenweise als überraschend harmloser Kontrahent, wurde wie ein Fahrgast in der Wilden Maus auf der Theresienwiese von der ersten Minute an durchgerüttelt und durchgeschüttelt. Allein Rekordmann Kane hätte in der ersten halben Stunde auf 3:0 oder gar 4:0 stellen können – wäre nicht Bremens Bester, Schlussmann Karl Hein, immer wieder in höchster Not zur Stelle gewesen. Dabei war der Nationaltorhüter Estlands, eine Leihgabe vom FC Arsenal, erst kurzfristig in die Startelf der Gäste gerutscht. „Es war sicher ein ganz besonderer Tag für mich und meine Familie. Leider fühlt es sich nicht gut an, weil wir verloren haben“, meinte der 23-Jährige hinterher, vorerst aber hielt er mit seinen Paraden Bremen lange Zeit in einem sehr einseitigen Spiel, während die Torschussstatistik in immer schwindelerregendere Höhen kletterte.
Es musste schon ein kleines Kuriosum herhalten, damit der Ball das erste Mal ins Gästetor flog: Michael Olises Hereingabe in den Strafraum wirkte nach einem abgewehrten Eckball, als hätte jemand einen Ball ins Gewühl des Paulaner Bierzelts gekickt. Von Jonathan Tahs Hacke flog er über Luis Díaz‘ Knie irgendwie hinein ins große Glück. 65:35 Prozent Ballbesitz hatten da die drückend überlegenen Bayern bereits herausgespielt. Die Mannschaft wirkte von ihrem Trainerteam akribisch und detailreich vorbereitet auf einen Gegner, der tief stand und mit langen, schnellen, flachen Pässen auf die einzige Spitze versuchte, den aufgerückten Favoriten mit Umschaltspiel zu überrumpeln. Es funktionierte aber nie.
„Ein guter Tag für Tom Bischof“
Jegliche Luft zum Atmen raubte der glänzend aufgelegte FCB seinem Gegner, bei dem im defensiven Mittelfeld erstmals in einem Bundesligaspiel Tom Bischof von Beginn an neben Leon Goretzka auflief und nicht nur fleißig Lücken half zu schließen, sondern immer wieder starke Impulse in die Offensive setzte. „Es war ein guter Tag heute für Tom Bischof mit seinem ersten Start. Wenn wir weiter erfolgreich bleiben wollen, müssen wir weiter auf alle setzen - sonst wird es nicht gehen“, meinte Kompany zu seiner Aufstellung. Joshua Kimmich war – gesundheitlich leicht angeschlagen – unter der Woche zunächst noch geschont worden, kam später aber noch zu seinem 300. Bundesligaeinsatz, genau wie Goretzka.

Als fünf Minuten vor der Pause Marco Friedl per Grätsche für seinen bereits geschlagenen Keeper vor Harry Kane gerade noch klärte, schien die Begegnung zunächst noch wie verhext für den bis dahin glücklosen Torjäger. Kane erzwang dann sein Glück höchstpersönlich: Nach Ballannahme brachte ihn Werder-Kapitän Friedl im Strafraum zu Fall, den fälligen Elfmeter – den vierten bereits im fünften Ligaspiel dieser Saison - vollstreckte Kane, indem er den starken Hein in die falsche Ecke schickte. Auch hier durfte der Stürmer das Geschichtsbuch zücken: Damit verwandelte Kane alle seiner 18 Bundesliga-Elfmeter, das ist ausgebauter Rekord im Oberhaus – 18 verwandelte Strafstöße in Serie sind sogar ein neuer Bundesliga-Rekord. Allein drei davon verwandelte er gegen Werder Bremen.
Wie eine Dreiviertelstunde auf dem Teufelsrad
Die erste Hälfte, sie dürfte sich angefühlt haben für die armen Bremer wie eine Dreiviertelstunde auf dem wilden Teufelsrad: 2:13 Torschüsse, 1:20 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum – das Team aus dem hohen Norden taumelte regelrecht in die Kabine. Was folgte im zweiten Durchgang war um 21:56 Uhr Treffer Nummer zwei des Torjägers zur Vorentscheidung, zehn Tore an den ersten fünf Spieltagen einer Bundesliga-Saison waren obendrein vor Harry Kane nur 2023/24 Serhou Guirassy und 2019/20 Robert Lewandowski gelungen.

Die Partie, sie pendelte nun gemächlich aus wie die Schiffsschaukel um kurz vor 23 Uhr auf der Wiesn. Cheftrainer Vincent Kompany nutzte die Gelegenheit und die Überlegenheit, Wisdom Mike drei Tage verspätet ein besonderes Geschenk zu dessen 17. Geburtstag zu machen: Die Einwechslung war das Pflichtspieldebüt des Youngsters.
Wer traf, war aber jemand anderes: Konrad Laimer vollstreckte nach Bischof-Zuspiel zum 4:0-Endstand – auch dieser Treffer war etwas Besonderes, traf der Österreicher erstmals wieder seit Mitte April für den FC Bayern und beendete eine Durststrecke von 15 Pflichtspielen ohne Tor. Der Schlusspfiff erlöste dann vor allem einen arg gebeutelten SV Werder, dem angesichts von vier Gegentoren und 8:26 Schüssen der Schädel gehörig brummte. „Wir haben hoch verdient verloren“, bekannte Werder-Kapitän Marco Friedl zerknirscht. „Teilweise hatten wir Atemnot“, meinte gar Bremens Coach Horst Steffen: „Wenn wir Angriffe fahren wollten, war Bayern sofort im Gegenpressing da. Wir sind viel hinterhergelaufen und konnten nicht alles verteidigen.“
Bevor auch Vincent Kompany glücklich in die Münchner Nacht entschwand, nutzte er die Gelegenheit noch für eine letzte Ansage: „Wir können noch stärker werden, wenn alle fit sind“, so der Cheftrainer – wohlgemerkt nach dem achten Pflichtspielsieg aus acht Pflichtspielen in dieser Saison.
Hier geht es zu allen Stimmen zum Spiel gegen den SV Werder:
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