Am Anfang war Frauenfußball Zirkus, später fragte der Playboy an: Simone Laudehr wurde früh in ihrer Karriere zum Abziehbild einer Zukunft, die bis heute nicht eingetreten ist. „Säbener 51“ traf eine der spannendsten Frauen des deutschen Fußballs bei ihrem Nebenjob im FC Bayern Museum. (Bilder: Amelie Niederbuchner)
Synonym für Frauenfußball
Den Waschbrettbauch hat sie noch immer, genau wie vor 13 Jahren. Simone Laudehr, 33, tastet prüfend ihre Muskulatur unter dem Pulli ab, zufrieden stellt sie fest: „Keine Röllchen. Da hab‘ ich ja auch gar nicht die Gene dafür.“ Es ist Fluch und Segen, etwas klischeehaft und vielleicht sogar chauvinistisch, sie auf ihren Waschbrettbauch anzusprechen. Aber es gibt nun mal Momente in einem Leben, vor allem im Leben eines Leistungssportlers, in denen sich alles verdichtet, in die alles reingepackt wird. Simone Laudehrs Sixpack ist bis heute ein Synonym für viele Fragen: Wie entwickelt sich der Frauenfußball? Wie attraktiv ist der Frauenfußball? Und, nicht zuletzt ganz bildlich gesprochen: Wie fit ist er?
Laudehr hat nicht die Gene für Speckröllchen, sie hat generell keine Gene zum Rumsitzen. In dieser Saison tanzt sie beim FC Bayern auf drei Hochzeiten: Sie steht auf dem Platz, recherchiert für das FC Bayern Museum und schnuppert im Analyseteam des Campus rein. Die Gene, sich nie zurückzulehnen, hat sie von ihrer Mutter, einer Leichtathletin. So wurde sie, vor Jahren schon, zur Frau für alle Fälle im deutschen Fußball. Laudehr sitzt an einem Konferenztisch in der Allianz Arena und erinnert sich, wie sie 2003 als 17-Jährige beim FC Bayern Anlauf in die weite Welt genommen hat. Ihr Traum war, mal neben der großen Birgit Prinz in der Nationalelf zu spielen. Als sie erstmals vom DFB nominiert wurde, „bin ich um mein Leben gerannt – ich wollte bloß keinen Ärger bekommen. Ich war ein Mäuschen.“
Laudehr bekam keinen Ärger. Im Gegenteil. Sie lief so um ihr Leben, dass sich ihr Traum erfüllte. Nach ihrem ersten DFB-Lehrgang dachte sie noch, wow, was für ein Tempo, für den folgenden wurde sie dann auch nicht nominiert. Doch sie gab nie auf, und plötzlich stand sie neben Birgit Prinz sogar im WM-Finale 2007 in Shanghai gegen Brasilien. An diesem Tag schrieb sie Geschichte.
„Alles entlädt sich in einem einzigen Moment“
Sie habe „alles auf der Speicherkarte“, sagt sie am Konferenztisch 13 Jahre später: Sie riecht den Rasen, sie erinnert sich, wie ihr die zur Schau gestellte gute Laune der Brasilianerinnen vor dem Anpfiff auf die Nerven gegangen ist. Birgit Prinz trifft zum 1:0, Nadine Angerer hält einen Elfmeter. Die Gegnerinnen spielen eklig, sie zerren an den Trikots, doch als Renate Lingor in der 86. Minute eine Ecke tritt, verschafft sich Laudehr mit einem Ausfallschritt eine Hundertstelsekunde Vorsprung und köpft zum 2:0 ein. „Meine Gegnerin war einen Tick größer als ich, dieser minimale Vorsprung war entscheidend.“ Die Geschichte könnte hier enden. Die von Laudehr beginnt im Moment nach diesem Tor aber erst so richtig.
Gedacht hat sie sich gar nichts dabei, sagt Laudehr, man könne sich diese Glücksgefühle kaum vorstellen: „Die Fans denken immer, wir haben ein geiles Leben, und ja, das haben wir. Aber da ist auch dieser Druck, von außen, in dir selbst – und dann entlädt sich alles in einem einzigen Moment.“ Hätte sie die Eckfahne zu packen gekriegt, hätte sie die zerstört, „oder sonst was umgenietet“. Doch sie zog ihr Trikot hoch, bis zum Sport-BH – und plötzlich wurde der Jubel größer als das Tor, wurde die Fußballerin zum Model, ungewollt. „Ich hätte das Trikot gleich ganz ausziehen können, das wäre auch schon wurscht gewesen.“
Über Nacht ikonisiert
Das Bild von ihrem Waschbrettbauch ging um die Welt, Laudehr wurde über Nacht ikonisiert. 2007 wähnte sich nicht zuletzt der deutsche Frauenfußball in den Startlöchern: Raus aus dem belächelten Nischendasein, vier Jahre später war bereits die WM in Deutschland verabredet. Laudehr wurde ein Abziehbild für die Zukunft, wie bestellt: ein schönes, erfrischendes Postermotiv. Ihr persönlich hätte es gereicht, wenn alle so wie ihr Vater reagiert hätten. Der sagte über das Foto damals bloß, dass sie offensichtlich wohl sehr sauber trainiert hätte.
Nachdem ihr Bild aber um die Welt gegangen war, wollte alle Welt was von ihr: Interviewanfragen ohne Ende, sogar von MTV, damals das Leitprogramm der Popkultur. Es gab Heiratsanträge, Kinderwünsche, und, sie seufzt noch heute, Stalker, ganz schlimm. „Fußball“, sagt sie, „war plötzlich weit weg.“ Der Hype war krass, doch sie wollte es allen recht machen. Dabei hatte sie nach der Rückkehr aus China nur eine Woche Zeit, ehe die Grundausbildung der Bundeswehr startete. „Ich fiel in ein Loch.“ Erst in der folgenden Winterpause zeigt ihr ihre Familie, was ihr Weg ist. Sie fing sich wieder. Zur WM 2011 wurde ihr Shanghai-Motiv dann herausgekramt. Eine hübsche Titelzeile lautete: „Nabel der Welt“. Die wahren Helden haben Brüche in ihrer Vita, nicht wahr? „Oh Gott“, sagt Simone Laudehr bei so einem Satz heute nur – und lacht.
Auf einer Stufe mit Prinz und Angerer
Wie fühlt es sich an, eine der spannendsten Frauen des deutschen Fußballs zu sein? Boah, sagt Laudehr, sie sagt oft boah, wenn sie Zeit für eine Antwort benötigt. Wenn sie solche Fragen hört, klingen sie noch immer schräg. Aber ja, so langsam naht ihr Karriereende, da schielt man plötzlich öfter mal nach hinten als dass man nach vorne blickt. Vor ein paar Jahren hielt ein Mädchen eine Laudatio auf sie. „Sie sagte, ich hätte mit meiner Physis, meiner Fitness, meinem Spiel den Frauenfußball auf ein ganz neues Niveau gehoben.“ Dass sie jetzt in einer Reihe mit Birgit Prinz und Nadine Angerer und all den anderen steht, beginnt sie gerade erst zu realisieren.
Granaten wie Rapinoe holen
Vielleicht auch, weil die Heim-WM 2011 zum Rohrkrepierer wurde. Laudehr hatte sich aus ihrem Loch befreit, der deutsche Frauenfußball sollte aber erst fallen. Sie stand auf dem Platz, als das Viertelfinale gegen Japan 0:1 verloren ging. Es war ein vorweggenommenes Endspiel, sagt die 33-Jährige, „aber egal, hätten wir gewinnen müssen“. Zwei Jahre später feierte die DFB-Auswahl den EM-Sieg, 2016 in Rio de Janeiro Olympiagold. Doch irgendwie kam der deutsche Frauenfußball ins Schlingern. Und vielleicht braucht er heute mehr denn je eine neue Laudehr, dieses Bild einer deutschen Stehauffrau.
„Haust du die Dinger weg – oder heulst du rum? Ich habe mich immer fürs Weghauen entschieden.“
Sie klopft jetzt drei Mal auf den Tisch, auf Holz, sie hatte nie einen Kreuzbandriss. Tatsächlich aber musste sie auch ohne den Kobra-Biss unter den Verletzungen immer wieder in die Reha, wo sie markig geschunden wurde: „Willst du so zurück auf den Platz? Pack lieber noch zehn Klimmzüge drauf!“ Das Olympiagold erlebte sie zum Beispiel am Fernseher, im ersten Gruppenspiel hatte ihr eine Gegenspielerin aus Simbabwe gleich nach 14 Minuten die Außenbänder durchgetreten. „Jeder hat im Leben Steine in seinem Weg“, sagt sie, „man steht dann vor der Frage: Haust du die Dinger weg – oder heulst du rum? Ich habe mich immer fürs Weghauen entschieden.“
Im Nachhinein sieht das mit dem Steineweghauen leicht aus, sagt sie, „aber das war es als junge Spielerin nicht. Da stehst du plötzlich vor 60.000 Zuschauern im Stadion und fragst dich: Schaffe ich das alles?“ Inzwischen ist sie beim FC Bayern die Älteste im Team. Heute würde niemand mehr über einen Torjubel reden, bei dem ein Sport-BH zu sehen ist: „So geht doch inzwischen jede Frau ins Fitnessstudio.“ Stattdessen nutzen Spielerinnen wie die Amerikanerin Megan Rapinoe ihre Erfolge, um politisch Akzente zu setzen. „Die kuscht auch nicht, wenn Donald Trump kontert“, sagt Laudehr. „Solche Granaten sollte Bayern holen.“ Da kommt ihr Sportmarketingstudium durch, und die Fußballerin in ihr: An einer Rapinoe könnten sich junge Mädchen hochhangeln, so, wie sie es früher bei einer Prinz gemacht hat. Die Ankündigung von Präsident Herbert Hainer, die Frauen künftig stärker zu fördern, findet sie sehr gut.
„Was Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und alle anderen aufgebaut haben, ist Wahnsinn.“
Dass Geschichte Vorbilder braucht, weiß Laudehr aus eigener Erfahrung – und aus ihrer Arbeit im FC Bayern Museum: „Was Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und alle anderen aufgebaut haben, ist Wahnsinn.“ Sie sei schon immer „ein Geschichtstyp“ gewesen, sagt sie. Bei Büchern ziehe sie historische Romane, einen Goethe oder Shakespeare jedem Thriller vor, „und ich durfte hier sogar ins Archiv – unglaublich, was da für Schätze liegen. Ich habe viel über den Verein gelernt.“ Auch über die FCB-Frauen Anfang der 70er. Heute könne man diese Pionierinnen gar nicht hoch genug wertschätzen: „Da kamen die Zuschauer nicht, um sie anzufeuern, für die war das wie Zirkus. Aber diese Frauen haben sich nicht beirren lassen.“
Laudehrs Vertrag läuft bis 2021, für die Zeit nach der Karriere ist sie breit aufgestellt: Abgeschlossenes Studium, Praxiserfahrung im Museum, sie hat die Trainerlizenz und Hochschul-Zertifikate in Spielanalyse sowie Scouting. Als Spielerin ging sie 2004 zu Duisburg, ehe sie 2016 über Frankfurt zurückehrte, weil damals München noch nicht die Möglichkeiten wie heute bot. In welcher Funktion auch immer: „Jetzt würde ich sehr gerne beim FC Bayern bleiben.“
„Kaiserin“ mit Augenzwinkern
Sie kommt auf 103 Länderspiele – wie Franz Beckenbauer. „Ich bin die Kaiserin“, sagt sie, mit Augenzwinkern, denn so wichtig nimmt sie sich nicht. Ihren jungen Kolleginnen würde sie wünschen, dass Frauenfußball präsenter wird, „dass sich Trauben von Mädchen auf der Straße um sie für ein Autogramm sammeln“. Aber dafür braucht es wohl wieder ein neues Waschbrettbauch-Ereignis.
Wobei: Auf die Macht der Bilder muss sich frau heute nicht mehr verlassen. Laudehr hatte einst sogar ein Angebot vom Playboy, für ein Cover-Shooting. Ist nicht so ihr Ding, meint sie, sie hat ja sogar zum Beispiel erst seit 2016 ein Instagram-Profil. Obwohl sie prinzipiell nichts gegen solche Aufnahmen habe, sagte sie ab: „Das sind ästethische Bilder, ich hab‘ zum Beispiel mal eine Surferin gesehen – wunderschön einfach, da kann man nichts dagegen sagen. Aber es sollte halt jeder für sich selber wissen.“ Man könne das machen, doch es sei nicht mehr nötig, um ein Ausrufezeichen für den Sport zu setzen.
Tragende Rolle im deutschen Frauenfußball
Zu Laudehrs Anfangszeit haben sie früher sogar noch Gesichtsausdrücke vor dem Spiegel geübt. Ein extra Coach erklärte ihnen, wie sie bei kniffligen Interview-Fragen ihre Mimik kontrollieren, wann sie lässig sein sollen und wann sie einen Spruch wagen können. Das war komisch, findet Laudehr, „aber als junge Spielerin hast du im Training die Tore hin und her getragen und die Klappe gehalten“. Heute hingegen würden die Alten die Tore schleppen, das sei eigentlich nicht in Ordnung, „das geht ja aufs Kreuz“, sagt sie und grinst. Sie weiß: Das nimmt ihr keiner ab. Ihr, die seit weit über einem Jahrzehnt eine tragende Rolle im deutschen Frauenfußball hat – und einen Waschbrettbauch, den es noch immer gibt, der aber in der heutigen Zeit nur mehr eine hübsche Randgeschichte ist.
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