Mit 18 Jahren kam Karin Danner zum FC Bayern – und wurde auf dem Platz zur Strategin. In diesem Sommer feiert sie Dienstjubiläum: 25 Jahre als Abteilungsleiterin der Fußballfrauen. Mit dem FC Bayern Mitgliedermagazin „51“ blickt sie auf 50 Jahre Frauenfußball beim FCB zurück und sagt über die Zukunft: „Der Stein kommt ins Rollen.“ (Illustrationen: Evgeny Parfenov)
Das Interview mit Karin Danner
Frau Danner, 50 Jahre Frauenfußball beim FC Bayern – was bedeutet Ihnen das persönlich?
„Das ist eine stolze Zahl – und wir dürfen auch stolz sein. Anfangs war es ein großer Kampf. Nun sind wir als Abteilung schon lange etabliert, bei einem Weltklub wie dem FC Bayern. Ich persönlich bin ungeheuer glücklich, Teil dieser Geschichte, dieses Vereins zu sein, an der Seite von Fußballlegenden wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Wir haben gemeinsam viel durchlebt, viel entwickelt und vorangetrieben – und auf 50 Jahre Frauenfußball können nur ganz, ganz wenige Klubs blicken. Tradition verpflichtet: Wir werden auch die nächsten 50 Jahre nicht stillstehen.“
Die Abteilung wurde sogar drei Monate vor Aufhebung des Frauenfußballverbots in Deutschland gegründet – rote Revoluzzerinnen?
„Ein bisschen Revoluzzerinnen waren sie schon. Aber im Grunde waren es einfach Frauen, die Fußball spielen wollten. Schon in den 50ern hatte es in München eine Art Länderspiele gegeben, ins Dantestadion kamen damals 20.000 Menschen – da war es Blödsinn, dass Frauenfußball zwischendurch verboten wurde. Die Frauen damals beim FC Bayern waren starke Frauen, und bis heute gibt es regelmäßige Treffen. Sie trugen schon früh das Bayern-Gen in sich und haben sich ihren Platz in der Bayern-Familie verdient. Sie waren die Basis.“
Dass Frauenfußball verboten war – wie haben Sie das erlebt?
„Du wurdest belächelt. Was mich bis heute stört, ist, dass nur beim Frauenfußball ständig ein Vergleich zu den Männern gezogen wird. Das wird im Tennis nicht gemacht, im 100-Meter-Sprint auch nicht – aber im Fußball wirkt es immer so, als müsste sich eine Frau immer erst einmal beweisen. Man muss klar sagen, dass Frauenfußball im Vergleich zu anderen Frauensportarten schon die Nummer eins ist.“
Sie kamen 1977 zum FC Bayern, mit 18 Jahren. Aus Rheinland-Pfalz – wie war das damals?
„Ich habe mit elf Jahren mit dem Fußball begonnen. Es gab keine Mädchen-Mannschaft, ich habe gleich bei den Erwachsenen angefangen. Meine Mutter fuhr mich dafür zwei Mal die Woche von Marnheim zum Training nach Worms: Einfache Strecke 25 Kilometer, was angesichts von sieben Geschwistern – vier Mädchen, vier Jungs, vom Alter her bin ich mittendrin – eine Riesenaufgabe war. Man durfte damals erst ab zwölf Jahren offiziell spielen, aber ich hatte so viel Talent, da hat der Verein jedes Spiel 20 Mark Strafe gezahlt, damit ich auflaufen durfte. Wenn ich heute Mannschaftsbilder von damals anschaue, muss ich lachen: Ich sitze da wie ein Mäuschen unter den gestandenen Hausfrauen. Trotz meines Alters war ich mit die Beste, weil ich eine typische Straßenfußballerin war, vom Kicken mit meinen Brüdern. Mit 14 bin ich zu Wörrstadt, da waren schon große Namen wie Bärbel Wohlleben oder Uschi Demmler, und Bayern verlor immer gegen uns. So wurden sie in München auf mich aufmerksam.“
Wie lief der Wechsel nach München ab?
„Ich war total überwältigt, als mich Bayern das erste Mal angesprochen hat. Mit der Torhüterin Lydia Köhl hatte ich dann eine Brieffreundschaft – ja, damals gab es sowas –, und als ich 1977 nochmals von Bayern kontaktiert wurde, dachte ich: Ach, ich kenne da schon jemanden, warum also nicht? Meine ganze Familie, das ganze Dorf stand Kopf: Bayern München! Mit 18, aus Marnheim mit seinen damals 1.200 Einwohnern! Es war ein großer Schritt, aber ich wollte das unbedingt machen. Es gab da kein Halten.“
Aber vermutlich nicht wegen finanzieller Lockmittel?
„(lacht) Nein, wir reden von ganz anderen Zeiten. Damals gab es nichts. Die Bayern haben mir aber einen Job besorgt, da kam ich auf 800 Mark im Monat. Zudem organisierte mir der Verein eine günstige Wohngelegenheit bei einem Ehepaar, die Ersatzeltern für mich wurden. Das Zimmer kostete 250 Mark – am Monatsende musste ich hin und wieder die Älteren im Team um ein bisschen Geld anhauen. So kam ich über die Runden. Wenn meine Eltern zu Besuch kamen, war ihr Auto voller Fresspakete. Mich hat der Stolz angetrieben: Ich sagte mir, ich darf nicht untergehen! Auf dem Fußballplatz habe ich mir keine Sorgen gemacht, aber die Umstellung auf die Großstadt wollte ich eben auch schaffen. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie das für meine Familie, für das ganze Dorf wäre, wenn ich scheitere. Es war ein Kampf, zu überleben und nach vorne zu gehen. Wenn ich zuhause zu Besuch war, musste ich immer in alle Lokale. Da haben die Leute gefragt: „Wie geht‘s dem Müller Gerd, dem Sepp, dem Uli, dem Kalle?“ Ich wollte alle stolz machen.“
Und wie war es so mit den Stars aus dem Männer-Team?
„Wir sind uns eher selten über den Weg gelaufen, weil wir zwar auch an der Säbener Straße trainiert haben, aber zu ganz anderen Zeiten. Wenn uns einer von den Männern gefragt hat, wie es bei uns so läuft, haben wir uns geehrt gefühlt. Wir hatten ja unsere Vorbilder auch nicht im Frauenfußball, sondern bei den Männern. Lydia Köhl war zum Beispiel ein Riesen-Fan von Klaus Augenthaler. Da haben wir ihn mal auf eine Party als Überraschungsgast eingeladen, und plötzlich stand also dann der „Auge“ unter uns Mädels. Für uns war so etwas ein Riesenerlebnis.“
Was für eine Spielerin waren Sie?
„Ich war Typ Strategin, ein echter 10er. Hinter mir mussten andere den Rücken freihalten, entsprechende Hierarchien hatten wir. Wenn ich heute Spielerin bei Bayern wäre, würde ich mich zerreißen, bis wir die absolute Nummer ein wären. Mir sind die Spielerinnen heute oft zu brav. Bei uns flogen im Training die Fetzen, und wenn wir acht Stunden im Bus saßen, haben wir acht Stunden über Fußball geredet. Heute bin ich mir manchmal nicht so sicher, ob alle so ticken.“
Ein Original-TV-Kommentar von damals sagt tatsächlich wörtlich: „Karin Danner leistet tolle Vorarbeit – aber der Rest der Damen organisiert wohl gerade ein Kaffeekränzchen“…
„(lacht) Ja, unglaublich, oder? Das war normal. Ich weiß noch, wie wir mal bei Bergisch Gladbach gespielt haben – vor 12.000 Zuschauern. Volle Hütte. Walter Eschweiler war der Schiedsrichter. Als Luise Weiß gefoult wurde, zog Eschweiler das ins Lächerliche: „Auf, auf, Amanda – weiter geht’s!“ Sie hieß ja nicht mal Amanda, er nahm uns nicht ernst. Sowas mussten wir abprallen lassen.“
1993 hörten Sie auf und begannen als Fanartikel-Verkäuferin…
„Ich hatte damals einen guten Job in einer Buchhaltung, aber mein Herz hing einfach am FC Bayern. Und plötzlich hieß es: Der FC Bayern eröffnet eine Boutique. Da bin ich zu Karl Hopfner und meinte: Das wäre was für mich! Ich habe dann gekündigt und stand fortan an der Ladentheke. Es gibt ein Foto von der Eröffnung: Mordsbrimborium – Karl-Heinz Rummenigge war da, Jean-Marie Pfaff kam zu Besuch und der frühere Präsident Willi O. Hofmann. Schals, Aufkleber und Schlüsselanhänger lagen vereinzelt in Vitrinen, aber Fans verirrten sich nur sehr selten in diese Boutique. Nach drei Monaten sagte ich, ich werde verrückt, nur Zeit absitzen, das ist kein Job für mich. Unglaublich, wenn man bedenkt, wie groß das Merchandising heute geworden ist.“
1995 wurden Sie dann Abteilungsleiterin; damit waren Sie die Hälfte der 50 Jahre Frauenfußball hier die Macherin: Sind Sie der Uli Hoeneß der Bayern-Frauen?
„(schmunzelt) Ach, das klingt schön. Aber das wäre zu viel. Die ersten fünf Jahre habe ich ehrenamtlich gearbeitet. Nach dem Aufstieg 2000 in die Erste Liga sagte ich dann: Entweder wir machen das ab sofort gescheit oder gar nicht, da ist mir meine Freizeit zu schade. Dieser Aufstieg war die Basis für alles. Zuvor hatte ich entschieden, dass ab sofort ein Mann Trainer wird. Ich wollte mehr Distanz zwischen Coach und Team, damit alles professioneller wird. Dann sind Peter König und ich fünf Jahre über die bayerischen Dörfer getingelt, haben alle Auswahlspielerinnen und deren Eltern überzeugt, dass wir was aufbauen wollen. Dass es dann 2000 geklappt hat, wird rückblickend gerne am damaligen Präsidenten Franz Beckenbauer aufgehängt, weil er von der Frauen-WM 1999 so beeindruckt gewesen ist, dass der Verein uns auf sein Betreiben hin finanziell stärker gefördert hat. Das stimmt, aber es war nicht so, dass ein Handauflagen vom Kaiser der Schlüssel war, so schön diese Legende klingt. Die Wahrheit ist, dass wir das von langer Hand geplant hatten. In der Aufstiegssaison haben wir über 100 Tore geschossen und alle Spiele gewonnen. So ging es los.“
Was waren die größten Kämpfe, die Sie Mitte der 90er Jahre als Abteilungsvorstand führen mussten?
„In erster Linie ging es um Akzeptanz. Aber während in manch anderem Lizenzverein die Frauenabteilung wegrationalisiert wurde, hat der FC Bayern uns immer unterstützt. Allerdings musstest du schon um jede Mark kämpfen. Als wir 2000 aufgestiegen sind, hatten wir ein Budget von 60.000 Mark. Damit waren mehr oder weniger die Reisekosten und mal ein Mannschaftsabend abgedeckt. Nach dem Aufstieg haben wir -erstmals geringfügige Verträge über 200 Mark mit den Spielerinnen geschlossen. Zudem habe ich großspurig eine Punkteprämie ausgegeben, für jeden Punkt 50 Mark – und dann wurden wir bester Aufsteiger aller Zeiten! Die Spielerinnen haben mich nach jedem Sieg aufgezogen: Hast du dein Geldköfferchen dabei (lacht)? Aber das war auch der nächste Schritt in Richtung Professionalisierung. Von da an ist unser Budget Schritt für Schritt gestiegen, von 60.000 Mark auf jetzt einige Millionen Euro.“
Und die Zeiten, in denen die Frauenabteilung ein Anhängsel des großen FC Bayern waren, sind längst Geschichte.
„Spätestens seit dem DFB-Pokalsieg 2012. Eigentlich hat es schon 2009 angefangen, als wir wegen eines einzigen Tores die Meisterschaft verpasst haben. Ein 3:0 am letzten Spieltag in Crailsheim war damals zu wenig. Crailsheim war schon abgestiegen, und wir hätten 10:0 gewinnen können. Es war eine Tragödie! Eine halbe Stunde nach dem Spiel hat mein Telefon geklingelt: Karl-Heinz Rummenigge! Meine Hand hat gezittert, so überrascht war ich. Er sagte, dass wir trotzdem eine super Saison gespielt hätten und er möchte, dass alle eine Prämie bekommen. Das war toll.“
Drei Jahre später kam mit dem DFB-Pokal dann endlich der erste Titel seit der Deutschen Meisterschaft 1976.
„Ja, als totaler Außenseiter gegen Frankfurt. Danach war vieles leichter. 2015 folgte die Meisterschaft, das erste gemischte Double. Die Bilder, als wir gemeinsam mit den Männern auf dem Rathausbalkon waren, gingen um die Welt. Das war Gold wert für den gesamten Verein. Da hat der Klub erkannt, welchen Beitrag die Frauen zur Außendarstellung des Vereins leisten können. Man hat gesehen: Die Frauen tun uns gut.“
„Es nervt mich, dass Wolfsburg ständig Meister wird“
2016 wurde der Meistertitel verteidigt, seitdem musste sich der FC Bayern aber immer mit dem zweiten Platz hinter Wolfsburg begnügen.
„Es nervt mich, dass Wolfsburg ständig Meister wird. Die waren zuletzt einfach abgezockter, weil sie in den letzten Jahren kaum Veränderungen im Kader hatten. Eine solche Kontinuität wollen wir für die nähere und mittelfristige Zukunft auch anstreben, damit wir mit demselben Kader mal über zwei, drei Jahre arbeiten können. Und: Wir brauchen noch mehr Typen, die unbedingt Titel holen wollen.“
Wie haben Sie aufgenommen, dass Herbert Hainer angekündigt hat, die Frauenabteilung künftig noch stärker zu fördern?
„Das fand ich ein schönes und wichtiges Signal, passend jetzt zu unserem 50-jährigen Jubiläum. Wenn der große Stein ins Rollen kommt, ist mit dem FC Bayern auf allerhöchstem Level zu rechnen, im ganz großen Stil. Unser 50-Jähriges als Startschuss zu nehmen zeigt, wie sehr wir hier im Verein unsere Tradition als eine Verpflichtung ansehen. Aber natürlich steigt mit wachsendem Budget auch die Erwartungshaltung. Wichtig ist, dass jetzt nicht irgendwelche Schnellschüsse gemacht werden. Wir haben einen Vier-Jahres-Plan. Möglichst bald wollen wir in Deutschland die Nummer eins sein, schon nächste Saison wollen wir einen Titel holen, egal welchen. Und in drei, vier Jahren wollen wir in die internationale Spitze. Schritt für Schritt also, so wie wir es auch in der Vergangenheit immer gemacht haben.“
„Marktwerte ähnlich wie bei Männern gepusht“
Nicht nur beim FC Bayern, sondern in ganz Europa bewegt sich gerade sehr viel im Frauenfußball, vor allem in England. Richtet sich Ihr Blick daher nicht nur auf Wolfsburg, sondern auch auf Chelsea, Arsenal, Manchester City, den FC Barcelona oder Juventus Turin?
„Alle Topklubs investieren in den Frauenfußball. Das ist eine große Herausforderung. Früher war man allein, wenn man sich um eine Topspielerin bemüht hat. Heute können diese Spielerinnen zwischen drei, vier Klubs wählen. Der nächste Schritt wäre nun, dass der FC Bayern auch mal ein paar hunderttausend Euro für eine neue Spielerin in die Hand nimmt. In der Bundesliga werden aktuell Ablösen bis zu 100.000 Euro gezahlt. International kommt man in andere Bereiche. Die Marktwertwerte von Fußballerinnen werden inzwischen ähnlich gepusht wie bei den Männern. Wobei auch hier gilt, dass wir nicht jeden Wahnsinn mitmachen.“
In der heutigen Zeit wird viel über Werte gesprochen. Über Frauenabteilungen erzielen Fußballklubs da noch einmal eine ganz andere Reichweite.
„Das stimmt. Wir stehen für Gleichberechtigung, starke Frauen, soziales Engagement. Das beste Beispiel ist unser Trainingslager in Doha, wo wir im Januar im dritten Jahr in Folge waren. Wir suchen dort den Dialog mit den Menschen und können etwas bewegen. Der Verein hat das erkannt und schätzt das sehr. Oder die Aktion „Rot gegen Rassismus“. Das war top, dass wir da mitmachen konnten. Solche gemeinsamen Aktionen mit den Männern müssen in Zukunft noch mehr gelebt werden. Das ist ein Mehrwert für den Verein – gleichzeitig werden wir Frauen sichtbarer. Alle profitieren davon.“
Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?
„Es hat sich viel getan, aber ich würde mir wünschen, dass wir noch mehr dazugehören, so ganz selbstverständlich. Dass der FC Bayern sagt: Wir spielen Fußball – Männer und Frauen. Wenn das passiert, kommt alles andere von allein. Ich muss sagen, all die Jahre Einsatz für unsere Abteilung beginnen sich immer mehr auszuzahlen. Inzwischen ist es kein Kampf mehr, es herrscht Akzeptanz. Der Frauenfußball wird nun zu einer weiteren Säule werden, auf der der Verein ruht.“
Giulia Gwinn, Sydney Lohmann, Lineth Beerensteyn und Jovana Damnjanović in der Titelstory des aktuellen Mitgliedermagazins 'Säbener 51'! 👇
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