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Frauenfußball in England: Zu Besuch beim FC Arsenal

Der Fußball, behaupten die Engländer, kommt von ihrer Insel. Jetzt haben sie den Frauenfußball für sich entdeckt. Unser Mitgliedermagazin „51“ hat sich einmal angesehen, was das bedeutet. Ein Ortsbesuch beim englischen Frauen-Rekordmeister FC Arsenal und einigen ehemaligen Bayern-Spielerinnen. (Bilder: Ross Cooke)

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„Welcome to Meadow Park“

Zum Glück schlägt jemand rhythmisch auf eine Trommel, sonst würde man nicht denken, dass man hier richtig ist. Das Heimstadion der Arsenal Women ist von der Straße kaum zu sehen. Büsche und Bäume überragen die Tribünen, die Flutlichtmasten verschwimmen im Grau des englischen Himmels. „Welcome to Meadow Park“ steht auf einer Tafel neben einem kleinen Parkplatz, darunter wird „Das nächste Heimspiel“ angekündigt: Der örtliche Boreham Wood FC spielt gegen Yeovil Town, fünfte Liga – die Partie fand bereits am Vortag statt.

„Big Frauenfußball“ in Borehamwood

Meadow Park mit seinen 4.500 Zuschauerplätzen liegt in Borehamwood, einem Vorort im Norden Londons. Die Stadt ist bekannt für ihre Filmstudios, die englischen Ausgaben von „Wer wird Millionär?“ und „Big Brother“ werden hier produziert – dass hier auch „Big Frauenfußball“ stattfindet, ist auf dem Weg zum Stadion nicht zu erkennen. Aus London fährt man mit dem Zug 30 bis 45 Minuten hierher. Vom Bahnhof sind es dann nochmal 20 Minuten Fußweg bis zu dem Stadion, in dem der englische Rekordmeister im Frauenfußball seine Heimspiele austrägt. Es geht die Hauptstraße entlang, vorbei an Friseursalons, Maklerbüros und Restaurants – unterwegs ist kein Hinweis auf das Spiel zu finden, für das sich im Meadow Park bereits die Teams aufwärmen: FA-Cup-Achtelfinale, Arsenal gegen die Lewes Ladies.

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Tolle Kulisse im Inneren: 1.663 Zuschauer gegen einen Zweitligisten.

Keine Plakate, keine Fans, keine Fahnen. Erst wenn man direkt am Meadow Park ist, hört man die Trommel. Man folgt dem Tam-Tam-Tam, geht um das halbe Stadion herum – und wird völlig überrascht von dem, was im Inneren los ist: Auf der Haupttribüne drängen sich die Zuschauer, gegenüber ist eine weitere Sitzplatztribüne gut gefüllt, und auch auf den Stehplatztribünen an den beiden Stirnseiten des Spielfelds sieht man mehr als nur eine Handvoll Leute. Insgesamt 1.663 Besucher werden an diesem Nachmittag gezählt. Gegen einen Zweitligisten. Zum Vergleich: Im Achtelfinale des DFB-Pokals der Frauen im vergangenen November schwankten die Besucherzahlen zwischen 150 (Saarbrücken – Gütersloh) und 1.405 (FC Bayern – Wolfsburg).

„Die Tickets waren sofort weg“

„Fußball genießt hier in England eine enorm große Anerkennung, auch der Frauenfußball, das sieht man und spürt man“, sagt Leonie Maier. Die deutsche Nationalspielerin wechselte letzten Sommer aus München zu Arsenal. „Selbst gegen schwächere Gegner kommen mindestens 1.000 Zuschauer.“ Ihre Teamkollegin Manuela Zinsberger kann das nur bestätigen: „Vor ein paar Wochen haben wir gegen Chelsea gespielt, da waren sogar 4.100 Zuschauer da.“ Sie schnippt mit den Fingern. „Die Tickets waren sofort weg.“ Als Zuschauerrekord für den Meadow Park sind übrigens 4.300 Besucher notiert – damals lief das Herren-Team von Arsenal in Borehamwood auf.

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Steigendes Zuschauerinteresse: Zumindest bei den Top-Clubs sind die Zahlen immer vier-, manchmal auch fünfstellig.

„Rekorde“ ist das Wort des Jahres im englischen Frauenfußball. Die zum Saisonauftakt aufgestellte Bestmarke von 31.213 Zuschauern beim Manchester-Derby zwischen City und United wurde schon zwei Monate später wieder übertroffen: 38.262 sahen die Partie zwischen Tottenham Hotspur und dem FC Arsenal – im nigelnagelneuen Stadion der Spurs. Eine Woche zuvor lockte das Länderspiel zwischen England und Deutschland sogar 77.768 Zuschauer ins Wembley-Stadion. Zur Erinnerung: im Frauenfußball, den in Deutschland an den ersten 16 Spieltagen der Frauen-Bundesliga im Schnitt 912 Zuschauer in den Stadien verfolgten.

Bekannte Gesichter

In Borehamwood stehen Mädchen mit Fahnen Spalier, als die Mannschaften das Spielfeld betreten. Bei Arsenal entdeckt man bekannte Gesichter. Mit Manuela Zinsberger, Leonie Maier, Viktoria Schnaderbeck und Jill Roord laufen vier ehemalige Münchnerinnen auf. Zwei weitere – Vivianne Miedema sowie Lisa Evans – werden zunächst geschont. Die Chance, einmal in England zu spielen, wollte sich keine nehmen lassen, auch wenn sie sich zuvor alle beim FC Bayern meist lange Jahre sehr wohlgefühlt hatten. „Es war schon immer mein Traum, einmal ins Ausland zu wechseln. Und nach sechs Jahren in München war der Zeitpunkt einfach da“, erzählt Maier.

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Kinder mit selbstgemalten Plakaten: Frauenfußball ist in England ein Event für die ganze Familie.

Die englische Liga ist zurzeit ein Magnet für Spielerinnen aus der ganzen Welt. Die drei Topklubs – Arsenal, Chelsea, Manchester City – verpflichteten letzten Sommer zusammen elf Spielerinnen, acht davon kamen aus dem Ausland. 2018 verkündete Englands Football Association (FA) den Start der Women’s Super League (WSL), der ersten vollprofessionellen Frauenliga Europas. Sponsor Barclays investiert bis 2022 zehn Millionen Britische Pfund (11 Millionen Euro) in die Liga, in manchen Berichten ist sogar von 18 Millionen Pfund (19,5 Millionen Euro) die Rede. Alle Spielerinnen sollen vom Fußball leben können, so der Anspruch der FA.

„Big three“: Arsenal, Chelsea, ManCity

In der Realität trifft das eineinhalb Jahre nach dem Ligastart vor allem auf die Spielerinnen der „Big three“ zu. In manchen Klubs bewegt sich das Jahresgehalt nur zwischen 15.000 bis 20.000 Pfund, dazu stellt der Verein eine Wohnmöglichkeit. Beeindruckend sind vor allem die bereits erwähnten Zuschauerzahlen. Wobei die Bestmarken, die in besonderen Spielen erzielt werden, nicht das widerspiegeln, was Woche für Woche in den Stadien los ist. 2.200 Zuschauer kommen im Schnitt zu den Heimspielen des FC Arsenal, bei Everton, um auch das Schlusslicht der Statistik zu nennen, sind es nur 400. Die Durchschnittszahlen von Liverpool (5.400), Chelsea (6.600) und Tottenham (10.200) sind durch vereinzelte Bestmarken verzerrt. Die Frauen des FC Liverpool spielen zum Beispiel gewöhnlich vor weniger als 1.000 Zuschauern.

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Vize-Weltmeisterin und Ex-Münchnerin Jill Roord bei einer Ecke.

Im Fernsehen verfolgen jede Woche eine Million Zuschauer die Spieltags-Highlights, die bei der BBC laufen. Das ist beachtlich. 30 Ligaspiele pro Saison werden auch live übertragen. Im sogenannten „FA Player“, den es auch als Handy-App gibt, werden alle Ligaspiele live und kostenlos gestreamt, dazu Highlights aller Spiele, Hintergrundberichte und einiges mehr. „Der Player ist super. Ich höre von vielen aus Deutschland, das sie darüber unsere Liga verfolgen“, erzählt Maier.

Nächster Schub: EM in Enland

Ähnlich wie in Deutschland sorgt auch in England die Frauen-Nationalmannschaft für starke Quoten. 2019 gehörte das WM-Halbfinale der „Lionesses“ gegen die USA mit 11,7 Millionen Zuschauern zu den fünf erfolgreichsten TV-Sendungen des Jahres in Großbritannien. Und die nächste EM findet in England statt. „Das wird auch der Liga noch einmal einen Schub geben“, ist Zinsberger überzeugt.

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Seit 2018 in London: Österreichs Kapitänin Viktoria Schnaderbeck.

Ein Schub, der nötig ist, damit wirklich alle Klubs den Frauen professionelle Bedingungen bieten. Dabei befinden sich alle zwölf WSL-Teams unter dem Dach eines namhaften und finanzstarken Klubs aus dem Herrenfußball. Das gibt es sonst in keiner Frauen-Liga Europas. In der Bundesliga sind aktuell sieben von zwölf Klubs Teil eines professionellen Fußballklubs, in Frankreich neun von zwölf, in Spanien elf von 16.

Miteinander von Frauen und Männern?

Das Miteinander von Frauen und Herren wird aber auch bei Arsenal nur begrenzt gelebt. Immerhin nutzen die Frauen – anders als viele andere Klubs in der WSL – dasselbe Trainingsgelände wie Herren und Jugend der „Gunners“. Es liegt nur zehn Autominuten von Borehamwood entfernt. Im Fitnessraum kreuzen sich manchmal die Wege mit Aubameyang und Co., erzählt Zinsberger. Und bei dem einen oder anderen Charity-Termin. Ansonsten ist das Miteinander nur noch im Medienbereich sichtbar: „Da hängt ein großes Bild von Mesut Özil – und daneben eines von Viv Miedema.“

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Idole für den Nachwuchs: Etliche ausländische Spielerinnen, darunter viele niederländische Vize-Weltmeisterinnen, spielen bei Arsenal.

Im Meadow Park verfolgen die Zuschauer, darunter viele Mädchen sowie Familien mit Kindern, gebannt das Spielgeschehen. „Great pass!“, rufen sie. Oder, nach einer vergebenen Chance: „Oooooooh!“ Gefolgt von Applaus. Die Gruppe Gästefans hat neben ihrer Trommel noch eine Drei-Mann-Brassband dabei und ist über 90 Minuten nicht zu überhören. Das Spielniveau sei ähnlich wie in Deutschland, meint Zinsberger. An der Spitze liefern sich Arsenal, Chelsea und ManCity ein enges Rennen um die Meisterschaft. „Es gibt aber auch Spiele wie gegen Bristol, gegen die wir 11:1 gewonnen haben.“ Und selbst wenn der eine oder andere Rasenplatz „nicht bespielbar“ (Jill Roord) sei, hält Maier die Super League für sehr attraktiv: „Weil die Mannschaften hier offensiver spielen, mit mehr Risiko, nicht so taktisch wie in der Bundesliga. Es geht viel mehr hin und her, es gibt mehr Torraumszenen. Meine Familie sagt, dass es immer Spaß macht zuzuschauen.“

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Findet Gefallen am Spiel und an Merchandising-Artikeln: Arsenal-Fan im Schnaderbeck-Trikot.

Münchner Vorreiterrolle

Unterm Strich laufe auch in England zwar noch nicht alles perfekt, aber vieles in die richtige Richtung, meint Zinsberger. Das merkt man im Meadow Park. Der Frauenfußball wird angenommen. „Das Engagement hier ist richtig stark. Vereine, Verband und Ligasponsor wollen etwas bewegen – und tun viel. Das würde ich mir auch für die Bundesliga noch mehr wünschen“, sagt Zinsberger. Sie ist überzeugt, dass in Deutschland ebenfalls ein riesiges Potenzial schlummere. Und in der Weiterentwicklung des Frauenfußballs könne der FC Bayern eine Vorreiterrolle einnehmen. „Vieles stimmt in München: die finanziellen Möglichkeiten, der Campus, die Tradition und diese besondere Mia-san-mia-Mentalität. Bayern gehört auch im Frauenfußball in die europäische Spitze.“

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Es tut sich was

Vielleicht treffen sich die Frauen-Teams von Arsenal und Bayern ja im Halbfinale der Champions League, sollte der Wettbewerb nach der Corona-Pause fortgesetzt werden. Im Viertelfinale haben beide schwere Lose erwischt: Arsenal spielt gegen Paris Saint-Germain, Bayern gegen Lyon. Im heimischen FA-Cup haben die „Gunners“ ebenfalls das Viertelfinale erreicht. 2:0 endet die Partie gegen die Lewes Ladies. Nach dem Schlusspfiff erfüllen Zinsberger und Maier an der Bande Autogrammwünsche. Es dauert, bis sie sich Richtung Kabine vorarbeiten. Später lauern auf dem Parkplatz vor der Kabinentür noch zwei Dutzend Autogrammjäger. „In Deutschland war nach dem Spiel nichts mehr los“, sagt Zinsberger. Was sie nicht wissen kann: Seit einigen Monaten warten nach Spielen am FC Bayern Campus ebenfalls viele Fans auf Unterschriften ihrer Bayern-Frauen. Es tut sich also auch in München etwas.

Giulia Gwinn, Sydney Lohmann, Lineth Beerensteyn und Jovana Damnjanović in der Titelstory des aktuellen Mitgliedermagazins 'Säbener 51'! 👇