„Schluss. Feierabend“, ruft FC Bayern Frauen-Coach Jens Scheuer über den Platz. Seine Spielerinnen haben gerade das erste Training der Woche absolviert und stehen vor dem ersten Pflichtspiel im neuen Jahr. Nach getaner Arbeit wird zusammengeräumt: Auch Sarah Zadrazil packt mit an, verstaut die Trainingsdummies und scherzt auf dem Weg in die Umkleideräume mit ihren Teamkolleginnen – die 27-Jährige ist endgültig in München angekommen.
Reingekämpft
Mehr als sechs Monate ist es nun her, dass Sarah Zadrazil von der Turbine Potsdam an die Isar gewechselt ist. Am Anfang noch mit fünf Einsätzen von der Bank, hat sich die österreichische Nationalspielerin mittlerweile in der Mannschaft des Rekordmeisters festgespielt. In den darauffolgenden zehn Partien stand Zadrazil immer in der Startelf und hat ihren Anteil an der bemerkenswerten Serie von 15 Siegen in Folge.
Mitglied der Bayern-Familie
„Das Fazit meines ersten halben Jahres kann nur positiv ausfallen“, schwärmt Zadrazil von ihrer Anfangszeit beim FC Bayern. „Die Mannschaft hat mir die Eingewöhnungszeit hier sehr leicht gemacht. Die Mädels sind alle super und haben mich sowie alle anderen Neuzugänge hervorragend aufgenommen und integriert.“
Diese Einstellung der Mannschaft ist aus ihrer Sicht auch der Schlüssel für den bisherigen Erfolg in dieser Saison. Der Zusammenhalt und der Teamspirit auf und vor allem neben dem Platz habe das Team in der Hinrunde ausgezeichnet: „Es ist egal, welche Elf dort auf dem Platz steht, es ist egal wer reinkommt – wir haben alle das gleiche Ziel und kämpfen dafür.“
Kämpfen ist auch das richtige Stichwort – zumindest, wenn man Zadrazil nach ihrer Spielweise fragt. „Ich bin eine sehr zweikampfstarke Spielerin und habe meine Rolle vor der Abwehr gefunden,“ erklärt Bayerns Nummer 25, die sich auch gerne als „Abräumerin“ bezeichnet. Ihr körperbetonter Spielstil ist vor allem dann gefragt, wenn es vor der letzten Reihe mal brenzlig werden sollte. Bisher haben Zadrazil & Co. diese Aufgabe aber mit Bravour gemeistert und stellen mit nur einem einzigen Gegentor die beste Defensivreihe der Liga.
Prägende Zeit
Dass Zadrazil ihre Stärken ausgerechnet beim körperbetonten Kampf um den Ball hat, kommt nicht von ungefähr. Die defensive Mittelfeldspielerin hat im Rahmen eines Stipendiums vier Jahre ihrer Karriere in den Staaten verbracht, in denen vor allem die Physis des Sports im Vordergrund stand: „Der Schwerpunkt wurde in Amerika sehr stark auf Kraft gelegt. Das merkt man auch an der Spielweise dort.“ Von taktisch-geprägtem Fußball konnte zum damaligen Zeitpunkt nicht die Rede sein - oder wie Zadrazil sagen würde: „Kick and Rush.“ Trotzdem zieht die Österreicherin sehr viel positives aus ihrer Zeit in den USA. Nicht nur weil sie sich sportlich extrem weiterentwickeln konnte, sondern auch weil ihre Erfahrungen auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans sie persönlich geprägt haben.
Zuhören und Lernen
Diese Herausforderung im Alter von 19 Jahren anzunehmen und allein den Weg in ein neues Leben auf einem anderen Kontinent anzutreten, habe sie bei ihrer Selbstständigkeit vorangetrieben. Auch wenn die erste Zeit auf der East Tennessee State University nicht immer leicht war. Vor allem wenn Zadrazil an die ersten Monate mit einer neuen Sprache denkt, muss sie schmunzeln: „Anfangs habe ich relativ wenig gesprochen und lieber zugehört. Mit der Zeit hat sich das dann aber gelegt, weil ich auch täglich im Unterricht war. Irgendwann war das ganz normal für mich. Deshalb spreche ich auch heute noch sehr gerne englisch.“
Als Österreicherin an einem College in Amerika war sie aber nicht die einzige Ausländerin, die diesen Schritt gewagt hat. Vor allem viele Engländerrinnen zog es damals über den großen Teich und machte die Universität zu einem sehr internationalen Anlaufpunkt. Neben zwei sportlichen Auszeichnungen zur College-Spielerin des Jahres erlebte Zadrazil auch den besonderen Stellenwert, den der Frauenfußball in den USA genießt: „Mir war damals im Vorhinein gar nicht bewusst, wie populär das dort ist. Fußball ist in Amerika ein Sport für Mädchen.“
Ein neues Märchen schreiben
Eine Entwicklung, die sich die Nationalspielerin auch für den europäischen Raum wünscht. Der Männerfußball sei der populärste Sport, aber auch im Bereich der Frauen zeige die Entwicklung in die richtige Richtung. Dass allerdings noch viel Potential nach oben da ist, muss auch die Defensivakteuerin feststellen. Vor allem wenn sie den Blick in ihre Heimat nach Österreich richtet. Zwar sei die Euphorie nach dem Europameisterschaftsmärchen und dem Erreichen des Halbfinals 2017 für kurze Zeit deutlich zu spüren gewesen, sei aber in den vergangenen Jahren wieder abgeflacht. Deshalb hofft Zadrazil, die 2018 als Österreichs Fußballerin des Jahres ausgezeichnet wurde, auf eine Wiederholung einer einzigartigen EM auch im Jahr 2022. Aktuell ist die österreichische Nationalelf auf dem besten Weg sich zum zweiten Mal in ihrer Geschichte für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren.
Große Ziele
Um noch mehr Leute in ihrem eigenen Land auf den Sport, den sie so liebt, aufmerksam zu machen, nutzt Zadrazil ihre Reichweite in den sozialen Medien. „Durch Social Media hat man eine Plattform, um Fans auch einen gewissen Einblick zu bieten. Noch viel wichtiger ist es aber, damit auch junge Mädchen für den Fußball zu begeistern und zu motivieren. Mein größtes Ziel ist es, ein Vorbild zu werden und die Breite für den Mädchenfußball zu erhöhen.“
Zusammen mit ihrer Teamkollegin Carina Wenninger, die Zadrazil auch gerne als „Bayern-Urgestein bezeichnet“, möchte sie nicht nur bei der Nationalmannschaft, sondern auch beim FCB weitere Erfolge feiern und Titel gewinnen. Dafür wird Sarah Zadrazil alles geben, angefangen vom Aufräumen der Trainingsutensilien bis hin zum entscheidenden letzten Zweikampf.
Ösi-Power bei den Bayern-Frauen: Die zweite Österreicherin im Team ist Carina Wenninger - die mit Abstand dienstälteste FCB-Spielerin.
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