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Scheuer & Rech im Doppelinterview: „Wir brauchen strukturelle Veränderungen“

Die Fußballfrauen des FC Bayern haben der nationalen und internationalen Konkurrenz den Kampf angesagt. FC Bayern Mitgliedermagazin „51“ hat bei der Sportlichen Leiterin Bianca Rech und Chefcoach Jens Scheuer nach­gefragt: Wie wird man die Nummer eins?

Frau Rech, Sie haben sich im Rahmen eines Studiengangs bei der UEFA mit der Professionalisierung des Frauenfußballs beschäftigt. Was kam dabei heraus?
Rech: „Ich habe mit Verantwortlichen vieler Top-Klubs gesprochen, in Europa zum Beispiel mit Lyon, Barcelona oder Manchester City, aber auch mit Franchises in den USA und Australien. Die Entwicklung war sehr unterschiedlich, auch länderabhängig. Das war vor sechs Jahren, Lyon war damals der Top-Klub im Frauenfußball, Man City drängte nach oben, jeder erwartete, dass es über kurz oder lang das zweite Lyon werden würde. Beim FC Barcelona war der Frauenfußball auf einem guten Weg, aber noch ein Stück weit im Aufbau.“

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Die FC Bayern Frauen erreichten 2020/21 zum zweiten Mal in der Geschichte das UWCL-Halbfinale.

Und jetzt ist Barcelona Champions League-Sieger.
Rech: „Heute ist uns Barça ein Stück voraus. Interessant ist, dass der Kern des Teams aus Eigengewächsen und Spielerinnen mit einer langen Barcelona-Historie besteht. Sieben Spielerinnen, die vor zwei Jahren im Champions League-Halbfinale gegen uns auf dem Platz standen, haben jetzt im Finale gespielt. In den letzten Jahren hat Barça aber gemerkt, dass sie auf gewissen Positionen andere Spielertypen und europäische Top-Spielerinnen benötigen, um auf höchstem Niveau bestehen zu können. So ähnlich sieht auch unsere Strategie aus.“

Scheuer: „Hansen, Martens, Hermoso – das sind Spielerinnen, die den Unterschied machen und die Barça dazugeholt hat. Über mannschaftliche Geschlossenheit kann man viel erreichen, aber in entscheidenden Situationen braucht man auch mal die Kirsche auf der Torte. Barça hat diesen Mix aus mannschaftlichem Kombinationsfußball und individueller Extraklasse sehr gut hinbekommen.“

Sie haben einen Vierjahresplan für den Frauenfußball aufgestellt. Wo steht der FC Bayern heute?
Rech: „Im Jahr zwei, also mittendrin. Wie wir inzwischen Fußball spielen, wie wir den Kader weiterentwickelt haben, das geht alles in eine sehr gute Richtung.“

Scheuer: „Wir haben junge, aufstrebende Spielerinnen aus Deutschland wie Klara Bühl und Lea Schüller, dazu Klassespiele­rinnen aus dem Ausland wie Hanna Glas und Viviane Asseyi, die auch eine andere Kultur reinbringen. Und so wie Barcelona im Champions League-Finale gespielt hat – nicht nur schön, sondern auch effektiv –, so treten auch wir gern auf.“

Mit wie viel Wehmut haben Sie das Champions League-Finale verfolgt?
Scheuer: „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht ein bisschen wehmütig war. Ich habe an diesem Tag ein paarmal auf die Uhr geschaut und mir überlegt: Was hättest du jetzt gemacht?“

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Das Halbfinal-Team: Die FC Bayern Frauen scheiterten in der UWCL knapp an Chelsea.

Im Halbfinale war beim FC Chelsea Endstation. Es hätte nach dem 2:1 im Hinspiel aber auch anders ausgehen können.
Scheuer: „Im Hinspiel waren wir sehr effektiv, und Hanna hat es für uns entschieden. Im Rückspiel hat Chelsea seine individuelle Klasse gezeigt, trotzdem haben wir ein sehr gutes Spiel gemacht, waren aber nicht mehr effektiv. Man kann natürlich sagen: Effektivität hat mit Qualität zu tun. Aber in London hat uns einfach auch ein bisschen das Spielglück gefehlt. Trotzdem: Es war ein super Halbfinale von uns, wir waren in beiden Spielen nicht die schlechtere Mannschaft.“

Rech: „Im zweiten Spiel hat uns einfach der Lucky Punch gefehlt. Wir haben eine junge Mannschaft und Spielerinnen, die solche Spiele selten bestritten haben. Die Routine und die Abgeklärtheit haben uns hier gefehlt. Aber solche Spiele helfen der Mannschaft, sich weiterzuentwickeln.“

Wie hat die Mannschaft auf das Aus reagiert?
Rech: „Die Mädels haben es geschafft, den Fokus sehr schnell auf das nächste Wochenende zu legen. Da haben wir gegen Wolfsburg gespielt. Nach dem Aus in Champions League und DFB-Pokal wollten wir in der Bundesliga unbedingt die Tabellenführung verteidigen.“

Und wie ging es Ihnen persönlich nach Chelsea?
Rech: „Ich habe selten so gelitten nach einer Niederlage. Dabei konnten wir so viel Positives mitnehmen. Wir haben gesehen, dass wir gar nicht so weit weg sind von so einer europäischen Top-Mannschaft, die in den letzten Jahren sehr viel Geld investiert hat, wie wir vor dem Halbfinale gedacht hatten. Trotzdem ist mir das Aus sehr nahegegangen. Einfach, weil wir so nah am Finale dran waren und ich es der Mannschaft sehr gewünscht hätte.“

Scheuer: „Während der Halbfinalspiele habe ich mir ein paarmal gedacht: Wow, was mannschaftliche Geschlossenheit angeht, Abläufe gegen und mit dem Ball, sind wir schon sehr weit, weiter als gedacht.“

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Teamgeist: Mannschaftliche Geschlossenheit ist ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs.

Wo steht die Mannschaft im Vergleich zu vor einem Jahr?
Scheuer: „Man sieht ganz klar eine fußballerische Entwicklung. Man muss sich nur unser Torverhältnis ansehen. Wir sind noch dominanter und torgefährlicher geworden, gleichzeitig haben wir weniger Gegentore kassiert. Viele Spielerinnen sind außerdem in ihrer Persönlichkeit gewachsen. Die Mannschaft hat Köpfe, die eine gewisse Mentalität auf den Platz bringen, wie Lina Magull, Sydney Lohmann, Sarah Zadrazil oder Marina Hegering. Teamgefüge und Zusammenhalt sind richtig gut, in der Mannschaft und in der gesamten Abteilung.“

Ab der nächsten Saison gibt es auch bei den Frauen in der Champions League eine Gruppenphase. Wird es schwieriger, den Wettbewerb zu gewinnen?
Rech: „Einfacher wird es nicht, aber es ist auch ein Riesenanreiz. Es wird eine Gruppenphase geben, man hat also auf jeden Fall sechs Spiele, die auch im Fernsehen übertragen werden. Es gibt Prämien für Siege, fürs Weiterkommen, wie bei den Männern. Der finanzielle Anreiz ist deutlich lukrativer. Als Sieger wird man ungefähr viermal so viel einnehmen wie im alten Format. Dazu kommen zusätzliche Einnahmen durch einen Ärmelsponsor, der jetzt erlaubt ist.“

In dieser Champions League wollen wir eine Rolle spielen. Braucht man dafür einen noch breiteren Kader?
Scheuer: „Da sind wir in einem guten Austausch (lacht).“

Rech: „Die Belastungssteuerung wird in der kommenden Saison ein riesiges Thema werden. Wir müssen die Balance finden zwischen Bundesliga, Champions League, DFB-Pokal und den Abstellungen für die Nationalmannschaften. Das Ziel, Deutscher Meister zu werden, bleibt ja das gleiche. In der Bundesliga müssen wir die Basis legen und wollen uns auch in der nächsten Saison wieder für die Champions League qualifizieren.“

Am Sonntag können die Bayern-Frauen aus eigener Kraft Meister werden. So könnt ihr das Spiel verfolgen:

Mit Saki Kumagai haben Sie eine Top-Spielerin für die neue Saison verpflichtet. Wie schwer war es, sie aus Lyon nach München zu lotsen?
Scheuer: „An Saki waren mehrere Vereine interessiert, die höhere Beträge aufgerufen haben, als wir das können. Wenn sie nur aufs Geld geschaut hätte, wäre sie nicht zu uns gekommen.“

Rech: „Das hat sie uns auch ganz offen gesagt. Aber wir haben es geschafft, sie von unserem Projekt zu überzeugen. Als wir letztes Jahr gegen Lyon gespielt haben, hat sie auch ein Gefühl dafür bekommen, was in unserer Mannschaft steckt, was hier noch passieren kann. Saki ist ein toller Charakter. Sie wird uns extrem weiterhelfen.“

Scheuer: „Mit ihrer Erfahrung als Weltmeisterin und mehrfache Champions League-Siegerin und natürlich auch mit ihrer individuellen Qualität wird sie uns einen weiteren Schritt nach vorne bringen. Sie soll eine Führungsrolle bei uns übernehmen. Wir sind schon stolz, dass sie zu uns kommt.“

Die Branche ist aufmerksam geworden auf das, was beim FC Bayern im Frauenfußball passiert. Macht das Transfers einfacher oder schwieriger?
Rech: „Beides. Wir sitzen heute mit Spielerinnen am Tisch, zu denen wir vor zwei Jahren keinen Zugang gehabt hätten. Gleichzeitig ist es schwer, Top-Spielerinnen zu bekommen aufgrund der Marktsi­tua­tion. Es gibt viele Top-Klubs, die auch viel Geld bezahlen, gleichzeitig gibt es nur wenige Top-Spielerinnen auf den einzelnen Posi­tionen. Das treibt den Preis extrem. Mit Hanna, Vivi und jetzt mit Saki haben wir es trotzdem geschafft, Top-Spielerinnen aus dem Ausland nach Deutschland zu lotsen. Normalerweise ist der Weg umgekehrt. Vivi war unsere erste Französin, anfangs war sie sehr skeptisch, sie hatte großen Respekt vor diesem Schritt. Heute spricht sie in den höchsten Tönen vom FC Bayern, Mitspielerinnen in der Nationalmannschaft erkundigen sich bei ihr, wie es in München und in der Bundesliga so ist.“

Scheuer: „Der Frauenfußball beim FC Bayern hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Auch im Ausland sieht man: In München bewegt sich was. Aber das reicht nicht, damit mehr Top-Spielerinnen aus dem Ausland nicht nur zu uns, sondern allgemein in die Liga kommen. Dafür muss auch die Bundesliga attraktiver werden.“

Rech: „Das ist ein entscheidender Punkt. Nicht nur wir als FC Bayern müssen wachsen, die ganze Liga muss sich weiterentwickeln.“

Gibt es darüber einen Konsens in der Frauen-Bundesliga?
Rech: „Die Vereine sprechen da eine Sprache. Alle merken, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist. Man hat uns lange genug hingehalten. Die Vereine zeigen dem DFB nun, dass sie nicht länger gewillt sind, alles einfach hin­zunehmen. Es gibt klare Forderungen an den DFB. Das fängt bei den TV-Verträgen an. Es muss etwas passieren.“

Die Women’s Super League in England gilt als Vorreiter in Sachen Professionalisierung. Was können wir in Deutschland uns dort abschauen?
Scheuer: „Die Vermarktung und die Außendarstellung machen sie in England sehr geschickt. Die Klubs schaffen es, sehr gute Spielerinnen zu verpflichten, Spielerinnen, wegen denen die Leute zuschauen. Da hinken wir in Deutschland hinterher.“

Rech: „Es wechseln aber nicht nur Top-Spielerinnen nach England, es geht auch darüber hinaus. Sie finden dort zum Großteil bessere Infrastrukturen und professionelle Vereinsstrukturen vor. Sie verdienen dort genügend Geld, um davon leben zu können. Die Voraussetzung ist bei einigen Vereinen in Deutschland nicht gegeben.“

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Wie machen es die anderen? Bianca Rech richtet den Blick mit Interesse in Richtung England.

Wie realistisch ist es, dass in Deutschland Frauen bald flächendeckend Profifußball spielen können?
Rech: „Die Frage stellt sich für mich gar nicht. Wir müssen den Spielerinnen in einer zukünftig professionellen Liga ermöglichen, vom Fußball leben zu können. Somit werden wir auch das Niveau innerhalb der Liga und in den einzelnen Mannschaften erhöhen.“

Karl-Heinz Rummenigge, Karin Danner und auch Sie, Frau Rech, haben öffentlich über eine Eigenständigkeit der Frauen-Bundesliga nachgedacht, über eine Loslösung vom DFB.
Rech: „Für alle Vereine ist klar: So, wie es jetzt ist, kann es nicht funktionieren. Wie es weitergeht – ob zusammen mit dem DFB, zusammen mit der DFL oder ob es ein Alleingang sein muss –, das muss man jetzt genau analysieren.“

Wie lange wird dieser Prozess dauern?
Rech: „Es muss so schnell wie möglich strukturelle Veränderungen geben, in den nächsten ein oder zwei Jahren. Eine kleine Verbesserung wäre es schon, wenn nächste Saison jedes Bundesliga-Spiel irgendwo live zu sehen wäre, im Fernsehen oder als Stream. Das ist auch eine Forderung der Liga an den DFB. Wir brauchen Visibilität, um unseren Sport voranzubringen. Ich kann mir jedes Wochenende die englische und die französische Liga anschauen, aber nicht die deutsche. Das kann es nicht sein.“

Scheuer: „Wir müssen als Liga jetzt unbedingt Strukturen schaffen und einen Plan entwickeln. Die Zeit drängt.“

Simone Laudehr wird am kommenden Wochenende ihr letztes Spiel bestreiten: