Maximiliane Rall erlebte am Sonntag das, was man für gewöhnlich als einen ‚Auftakt nach Maß‘ bezeichnet. Gerade einmal sechs Minuten hatte die Verteidigerin nach ihrer Einwechslung gebraucht, um sich in ihrem ersten Ligaspiel im neuen Wohnzimmer zurechtzufinden – und zwar nicht nur defensiv, sondern auch offensiv. Um 17.18 Uhr Ortszeit köpfte die Nationalspielerin nach einer Ecke zum zwischenzeitlichen 6:0 gegen Werder Bremen ein. Kaum zu glauben, dass sie sich vor vielen Jahren um diese Uhrzeit noch auf ihre Nachtschichten vorbereitet hat.
Aufstehen, Fußballutensilien einpacken und zum Training fahren: Wenn man den heutigen Alltag von Maximiliane Rall mit dem aus dem Herbst 2014 vergleicht, lassen sich nur wenige Gemeinsamkeiten finden – ehrlicherweise gar keine. Denn statt den Trainingsutensilien packte Rall vor sieben Jahren die Brötchen in das Auto. Mit denen fuhr sie dann auch nicht zum Trainingsplatz, sondern drehte ihre Runden im Nachbardorf – und das nicht um sieben, acht oder neun Uhr morgens, sondern um drei Uhr nachts. Klingt ungewöhnlich? Ja, wird mit einer Zusatzinfo aber noch viel ungewöhnlicher: Die damals 20-jährige Rall hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Bundesliga-Spielzeiten in Sindelfingen in ihrer Vita stehen. Trotzdem brauchte sie einen Tapetenwechsel: „Wir waren in unserer zweiten Saison in der Liga chancenlos. Es hat mir zu diesem Zeitpunkt immer weniger Spaß gemacht. Ich war ein bisschen lustlos und mir hat die Motivation gefehlt. Ich wollte reisen und deshalb habe ich damals mit dem Fußball aufgehört“, erklärt die Abwehrspielerin rückblickend.
Brötchen verdienen
Reisen und Backwaren ausfahren? Das passt auch auf den zweiten Blick nicht zusammen. Rall hatte kurz nach ihrem Abitur auch keine geheime Vorliebe fürs Brotbacken entdeckt, sondern wollte schlichtweg Geld verdienen, um sich ihren Aufenthalt in Marokko finanzieren zu können. Statt eines Mini-Jobs im Supermarkt oder im Einzelhandel entschied sich Rall also für einen heute eher untypischen Weg, um sich ihre Reise nach Afrika zu ermöglichen.
Zurück in den Fußball
Nach einem Monat kehrte die Defensivakteurin dann nach Deutschland zurück. Von Fußball war erstmal keine Rede, bis im Winter der Kontakt mit der zweiten Mannschaft der TSG Hoffenheim zustande kam. Und plötzlich stand Rall wieder auf dem Rasen und war mittendrin im Geschehen. Auch wenn Anlaufschwierigkeiten nach einem halben Jahr ohne Ball vorprogrammiert waren: „Wenn du sechs Monate Pause gemacht hast, brauchst du echt lange, bis du dich wieder daran gewöhnt hast. Auch wenn ich die erste Liga bereits kannte.“ Gedanken, eines Tages ins Oberhaus des deutschen Frauenfußballs zurückzukehren, gab es für Rall zum damaligen Zeitpunkt nicht. Sie habe sich gar nicht ausgemalt, in der ersten Mannschaft zu spielen, weil sie einfach glücklich gewesen sei, dass sie bei Hoffenheim neu Fuß fassen konnte.
Profifußballerin? Warum nicht?
Den Spaß am Sport brachte sie in den folgenden Monaten auch auf den Rasen. Zusammen mit der TSG feierte sie zunächst den Verbleib in Liga zwei und wurde in den darauffolgenden Jahren zwei Mal Meister. Ihre Leistungen blieben nicht unentdeckt. Nach und nach wurde Rall immer öfter zum Training der Bundesliga-Mannschaft eingeladen, konnte sich schließlich dort etablieren und feierte 2017 ihr Debüt. Zusammen mit der Freude über die Premieren-Saison entwickelte sich auch erstmals der Gedanke, Profifußballerin zu werden. „Ich habe da eigentlich nie dran gedacht. Das war auch nie der Plan. Ich wusste lange gar nicht, dass es den Job Fußballerin überhaupt gibt. Irgendwann dachte ich mir dann aber: Es könnte reichen. Und ja, es hat gereicht“, erzählt Rall schmunzelnd. Dass hinter dieser Aussage gar nicht so viel Witz steckt, wie vermutet, begründet Bayerns neue Nummer 8 mit ihren Erfahrungswerten: „Ich habe so viele Leute erlebt, die diesen Schritt mit aller Macht schaffen wollten und gescheitert sind. Diese Enttäuschung wollte ich nicht fühlen.“
Statt enttäuschenden Momenten gab es in den Folgejahren fast nur noch Höhepunkte. Rall etablierte sich in der Mannschaft und machte sich ligaweit einen Namen. Auch Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg fiel die Verteidigerin auf, woraufhin sie Rall in die deutsche Auswahl berief. Am 10. November 2018 gab sie dann ihr Debüt mit dem Adler auf der Brust.
Neue Reise
Im vergangenen Frühling folgte dann das Angebot vom Rekordmeister und so verließ Rall nach sechs Jahren und 80 Spielen die TSG Hoffenheim. „Es war ein schwerer Abschied für mich. Hoffenheim ist in diesen Jahren zu meiner zweiten Heimat geworden. Nach dem letzten Auswärtsspiel bin ich mit einigen Teamkolleginnen eine Stunde länger im Mannschaftsbus geblieben, weil ich nicht aussteigen wollte“, erzählt die dreifache Nationalspielerin. Die Entscheidung, nach München zu wechseln, habe sie aber relativ schnell gefällt: „Der Verein spricht für sich. Außerdem ist mir klar geworden, dass man die Komfortzone verlassen muss, um voranzukommen. Und die habe ich definitiv verlassen.“
Herausforderung FCB
Nun muss sie sich in ihrem neuen Zuhause erstmal eingewöhnen. Mit Einsätzen bei den Vorbereitungsturnieren in den USA und Frankreich schien ihr das augenscheinlich nicht allzu schwer zu fallen. Trotzdem zeigt sich die Defensivspielerin angesichts der Luftveränderung beeindruckt: „Man muss sich erstmal an das Niveau gewöhnen. Alle Spielerinnen hier sind Granaten. Ich habe mich an meinen ersten Tagen schon gefragt: Was mache ich hier? Eben weil ich nie diesen Plan hatte.“
Meist sind aber genau das die schönsten Erfahrungen. Eben die Momente, die man nicht geplant hat. Egal, ob das ein mehrwöchiges Engagement bei einer Bäckerei, die Rückkehr in den Fußball oder das Tor-Debüt für den FC Bayern München ist.
Mit ihrem Team ist Rall bald auch im DFB-Pokal wieder gefordert:
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