20 Siege in 22 Spielen und nur neun Gegentore - die Bayern-Frauen haben in der vergangenen Saison mit einer unglaublichen Leistung den Meister-Titel geholt. Und das, nachdem sie sich davor vier Mal hintereinander mit Platz 2 begnügen mussten! Wie ist es ihnen gelungen, an ihrem großen Ziel festzuhalten? Diese Serie ergründet eine Charaktereigenschaft, die tief verwurzelt ist im Verein und auch in der FCB-Frauenabteilung: der absolute Wille zum Erfolg. Es geht um die historisch größten Herausforderungen - und darum, wie sie bewältigt wurden. Und um die Aufgaben, die vor uns liegen. In Folge 1 blicken wir zurück auf die Anfangsjahre.
Los geht’s mit Gymnastik-Anzügen
Als der FC Bayern München am 7. Juni 1970 eine Frauenabteilung gründet, sind die zentralen Position rund um den Platz besetzt. Es gibt mit Hans Press einen Abteilungsleiter, mit Karl-Heinz Mainz einen Trainer und mit Maria Meissner eine Betreuerin. Um spielen zu können, fehlt aber noch etwas sehr Entscheidendes: ein Team, das für den FCB antritt.
Fußballspielen ist Frauen vom DFB seit 1955 offiziell untersagt. Begründung: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zuschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ Erst im Oktober 1970 wird das absurde Verbot kippen. Entsprechend schwer ist es, Spielerinnen zu finden, die zu den Ansprüchen der Bayern passen. Klar, es gibt Frauen, die sich vom DFB nicht aufhalten ließen und sich zum Bolzen trafen, zuletzt sogar beim FC Bayern. Aber so richtig mit Taktik und System? Das ist dann doch noch mal eine andere Sache.
Helfen soll ein großes Sichtungstraining, zu dem 70 Frauen erscheinen, fußballerisch einige mehr und viele weniger begabt. Von den Damen, die von Coach Mainz kritisch beäugt um Hütchen dribbeln, tragen nicht wenige einen Gymnastikanzug. „Die haben gedacht, das wär irgendeine Gaudi. Viele haben nicht mal gescheit laufen können“, erinnert sich Monika Schmidt. Die 18 Jahre alte, gelernte Friseurin aus Hörlkofen ist eine der Teilnehmerinnen, die am Ende ausgewählt werden.
Ein 7:1 im ersten Spiel
Die Ansage von Trainer Mainz ist unmissverständlich: „Unsere Damen treten erst an, wenn sie wirklich gut Fußball spielen können.“ Nicht ohne Grund: Die FCB-Herren hatten ein Jahr zuvor ihren ersten Bundesliga-Meistertitel gewonnen. Daran werden die Frauen von Anfang an gemessen, das ist Coach Mainz klar. Aber wer kann schon neben Gerd Müller oder Franz Beckenbauer bestehen?
Hinzukommen die vielen Vorurteile, gegen die der FC Bayern mit seinem Frauen-Team antritt. Das Fußball-Verbot ist zwar gekippt, in vielen Gesellschaftsbereichen aber werden Frauen weiter eingegrenzt. Frei aufspielen können die Frauen längst noch nicht. Deutlich wird das an den DFB-Regularien, die in den Anfangsjahren für sie auf dem Platz gelten: Gespielt wird zwei Mal 30 Minuten und nur bei schönem Wetter. Mit Jugendbällen und Stollenschuhe sind verboten.
Die Hobby-Kickerinnen, die zwei Mal die Woche auf dem hintersten Platz an der Säbener Straße auf Asche trainieren, wollen so professionell wie möglich auftreten - besiegt werden sollen nicht nur die Gegnerinnen, sondern auch die Vorurteile.
Drei Monate verkriecht sich Mainz mit seinem Team, dann steht am 17. Oktober das erste Spiel an. Es geht gegen den SV Olching. Und es zeigt sich schnell, dass es sich gelohnt hat, zunächst mal aufs Training zu setzen: Die Bayern-Frauen gewinnen auswärts mit 7:1. Was für ein Auftakt!
Gedämpft wird die euphorische Stimmung allerdings gleich am nächsten Tag beim Blick in die Münchner Tageszeitungen. Die Bild-Zeitung etwa schreibt, die „Kicker-Amazonen“ hätten „ohne Schminkköfferchen, Nylons, ohne Perücke, aber mit sehr viel Mut und Begeisterung gespielt“. Die Abendzeitung betitelt ihren Spielbericht mit „Sex:1“. Dass die Begegnung 7:1 ausging? Ach komm. Hauptsache ein sexistisches Wortspiel unterbringen! Die Arbeit der FCB-Frauen hatte gerade erst begonnen.
Müller & Schwarzenbeck als Schiedsrichter
Weiter, immer weiter - was unser heutiger Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn als Spieler um die Jahrtausendwende als Maxime vorgab, gilt bei den Frauen von Anfang an. Für sie ist Fußball pure Leidenschaft. Sie erhalten lediglich einen Spritzuschuss, wenn sie etwas weiter entfernt wohnen und arbeiten tagsüber als Friseurin, Verkäuferin oder im Büro. Und dennoch: Sie verkörpern einen Ehrgeiz, der selbst in der Bayern-Geschichte einmalig ist. „Bei uns drehte sich alles um Fußball“, sagt Lydia Köhl, die ab 1974 im Tor steht. Die Bayern-Frauen eilen von einem zum nächsten Erfolg. Werden sie gestoppt, nehmen sie neu Anlauf und machen es besser.
50 Frauen-Teams sind zu dieser Zeit im bayerischen Fußballverband registriert und egal, wo die Münchnerinnen hinkommen: Sie sind die Favoritinnen. Die ersten offiziellen Punktespiele bestreiten sie 1972. Die Meisterschaft im Großraum München endet mit einem Torverhältnis von 114:2. Es folgt der oberbayerische und eine Saison später der bayerische Meistertitel. Letzteren gewinnen sie 1972 durch ein 4:2 gegen die SpVgg Landshut im gerade erst fertiggestellten, fast 70.000 Zuschauern Platz bietenden Olympiastadion. Ein Vorspiel vor einer Bundesliga-Partie der Männer zwar, aber ein wichtiges Zeichen.
Die Frauen spielen erstmals auf der großen Bühne. Ein großer Erfolg für den ganzen Verein. Dass sie es so schnell so weit nach oben schaffen liegt natürlich in erster Linie an den Spielerinnen selbst. Um sie herum gibt es beim FC Bayern jedoch von Anfang an viele Menschen, die sie unterstützen. Trainer, Betreuerinnen, Funktionäre - und auch einige Kollegen aus dem Herren-Team. Gerd Müller etwa schaut sich regelmäßig ihre Spiele an, spendet ihnen einen Trikotsatz und springt genauso wie Georg „Katsche“ Schwarzenbeck als Schiedsrichter ein.
Als 1974 erstmals eine deutsche Meisterschaft der Frauen ausgetragen wird, stellt der FCB ein eingespieltes, erfolgsverwöhntes Team. Trainiert wird es mittlerweile von Fritz Bank, der von Mainz übernommen hat. „Wir waren eine tolle Truppe, haben uns prima verstanden“, sagt Monika Schmidt, die als erste Spielerin 100 Tore für den FC Bayern schießt. Vorne staubt die geniale Edda Haller ab, die Standards übernimmt Eva Reichheim, für Dynamik sorgen die Zwillinge Gertraud Langer und Christine Süß, die durch Hochzeiten unterschiedlich heißen.
Die erste Meisterschaft endet trotzdem mit einer Enttäuschung. Das Aus in der Gruppenphase, ein zweiter Platz hinter dem SV Bubach/Calmesweiler. Abgesehen von den Bayern nimmt 1974 nur mit Werder Bremen noch ein Männer-Bundesligist an der deutschen Meisterschaft der Frauen teil. Die Gegnerinnen spielen oft an Orten, an denen man nicht mal so eben vorbeikommt. Sie vorab zu beobachten, ist finanziell und logistisch kaum machbar. Jedes Spiel eine Überraschung. Was zählt: spontan auf Taktiken und Spielweisen zu reagieren. Es dauert nicht lange, bis die FCB-Frauen diese Kunst perfekt beherrschen.
Die erste Deutsche Meisterschaft
Ein Jahr nach dem frühen Aus schaffen es die Bayern bei der nächsten deutschen Meisterschaft ins Finale - und verlieren 2:4 gegen den Bonner SC. Wie das mit großen Teams so ist, sorgt die Niederlage aber für umso mehr Entschlossenheit.
Am 20. Juni 1976 ist es soweit: Die Bayern-Frauen werden im Siegener Lembachstadion erstmals deutsche Meisterinnen. Ein 4:2 nach Verlängerung gegen Tennis Borussia Berlin. „Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie ich den Pokal hochgehalten hab. Das war Glück pur“, sagt Monika Schmidt, die im Meisterschaftsendspiel mit einem Linksschuss aus gut zwölf Metern zum 2:1 trifft.
Aus einer netten Versammlung mit Gymnastik-Anzügen ist innerhalb von sechs Jahren das beste Team des Landes entstanden. Eine unbeschreibliche Willensleistung. Die Bayern-Frauen können nicht nur wirklich gut, sondern grandios Fußball spielen.
Natürlich, die sexistischen Kommentare ihnen gegenüber sind dadurch nicht plötzlich verschwunden. Sie sind ein Thema, das bis heute anhält. Aber sie sind etwas leiser geworden, weniger salonfähig. Über ein Team, das den Meistertitel geholt hat, lässt sich schlecht Witze machen. Es lässt sich nicht mehr weglächeln.
Die Meisterschaft ist ein Zeichen in den Verein und nach draußen in Welt: Die Bayern-Frauen spielen nicht mal ein bisschen Fußball, sie schreiben von nun an ihre eigene Erfolgsgeschichte.
Die ersten weiblichen Mitglieder traten dem FC Bayern bereits vor 110 Jahren bei!
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