Seit dieser Saison ist der Norweger Alexander Straus (47) Chefcoach der FC Bayern Frauen. Mit dem FC Bayern Mitgliedermagazin „51“ sprach er über den Wechsel zum FC Bayern, seine Spielphilosophie und die Aufgaben als Trainer. (Fotos: Sebastian Arlt)
Das Interview mit Alexander Straus
Herr Straus, erzählen Sie uns von dem Moment, als in Norwegen das Telefon geklingelt hat und sich der FC Bayern gemeldet hat.
„Das war schon eine seltsame Situation (lacht). Bayern München ist einer der größten Clubs der Welt, und der Anruf von Bianca Rech kam total aus dem Nichts."
Haben Sie sofort zugesagt?
„Da muss ich ein bisschen ausholen: Nach meiner Zeit bei den norwegischen U-Nationalteams der Frauen bin ich Ende 2020 in meine Heimatstadt Bergen und zu ,meinem' Club Sandviken zurückgekehrt. Wir hatten einen Vierjahresplan, wollten die Nummer eins in Norwegen werden und es in die Champions League schaffen. Und dann wurden wir gleich im ersten Jahr Meister. Danach bekam ich einige Angebote aus Europa und Amerika. Aber ich sagte alles ab, weil mir Sandviken so am Herzen liegt. Um zu betonen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, sagte ich den Verantwortlichen: ‚Wenn ich gehe, dann nur zu einem der größten Clubs der Welt.' Das war ja total abwegig."
Und dann rief der FC Bayern an.
„Ja, da wurde ich von der Realität eingeholt. Mir war schnell klar: Ich will das machen. Weil ich fühlte: Wenn ich diese Chance nicht ergreife, werde ich den Rest meines Lebens überlegen, was wäre gewesen, wenn."
Was hat Sie davon überzeugt, den Schritt nach München zu wagen? Nur der Name FC Bayern?
„Eine meiner ersten Fragen im Gespräch mit Bayern war: Warum ich? Dann habe ich erfahren, dass sie sich schon seit Monaten mit mir beschäftigt hatten. Sie wollten mich nicht einfach holen, weil ich die Meisterschaft in Norwegen gewonnen hatte. Sie wollten mich wegen der Art, wie ich Fußball spielen lasse, wie ich eine Mannschaft führe und Dinge angehe. Das hat mir total imponiert. Ich hatte schnell ein gutes Gefühl."
Wie geht man einen Job beim FC Bayern an?
„Bayern ist natürlich eine ganz andere Hausnummer als mein letzter Club. Ich kann nicht einfach hierherkommen und sagen, wir müssen das und das ändern. Nein, ich muss mich meiner neuen Umgebung wie ein Chamäleon anpassen und dann meine Farben hinzufügen."
Was für Farben sind das?
„Mir ist sehr wichtig, dass sich meine Spielerinnen wohlfühlen. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt Leistung bringen zu können. Als Trainer muss ich also für eine Atmosphäre sorgen, in der jede Spielerin so gut ist, wie sie sein kann. Die Basis dafür sind Vertrauen und Kommunikation. Jede Einzelne meiner Spielerinnen muss verstehen, was von ihr erwartet wird und dass sie für den Erfolg wichtig ist. Und noch etwas ist mir sehr wichtig."
Was denn?
„Mannschaftsführung. Ich übernehme gerne Verantwortung, scheue mich nicht davor. Schon als Kind war das so. Man muss immer mit der Frage beginnen: Warum? Warum werden wir Erfolg haben? Meine Spielerinnen müssen wissen, warum."
Verraten Sie auch uns, warum die Bayern-Frauen Erfolg haben werden?
„Alles basiert auf Kontext. Wir haben zum Beispiel auf dem Campus alles, was wir brauchen, wir haben Qualität in der Mannschaft. Und wir sind beim FC Bayern München. Was hier im Frauenfußball passiert, ist sehr aufregend. Ich bin total überzeugt, dass der Club in Zukunft im Frauenfußball den gleichen Stellenwert haben wird wie bei den Männern. Aber es geht nur step-by-step. Was wir noch mehr brauchen, ist etwas, was ich Sieger-Erfahrung nenne. Wir müssen lernen, nicht mit ein, zwei Siegen zufrieden zu sein. Bei Bayern, egal ob bei den Männern oder den Frauen, muss man immer gewinnen, immer wieder, jedes Spiel. Bayern ist nie am Limit. Die Ziele hier sind unendlich. Die Männer haben zehnmal in Folge die Meisterschaft gewonnen – und warum? Sie haben gefeiert und am nächsten Morgen sind sie aufgestanden und wollten wieder gewinnen. Diesen Hunger brauchen wir."
Sie haben einmal gesagt, Fußball sei Chaos. Ständig verändere sich das Bild, ständig müsse man neue Entscheidungen treffen.
„Was ich damit meine: Im Fußball treffen zwei Teams aufeinander, die sich eine Woche darauf vorbereitet haben, die sich beide einen Plan zurechtgelegt haben – doch wenn das Spiel losgeht, beginnt das Chaos. Wir versuchen, die Spielerinnen darauf vorzubereiten, dass es nie ganz so läuft, wie wir es geplant haben. Dass sie wissen, wie sie damit umgehen müssen, wie sie sich immer wieder anpassen können. Ganz im Sinne von Charles Darwins „Survival of the fittest“: Diejenigen überleben, die sich am besten an Veränderungen anpassen können."
Wie trainiert man das, die richtigen Entscheidungen zu treffen und das Chaos zu kontrollieren?
„Ich sage mal so: Wenn ich jemanden als Tramfahrer ausbilde, kann ich nicht erwarten, dass er auch den Bus fahren kann. Das sind völlig unterschiedliche Situationen. Einmal auf festen Schienen, einmal ohne Schienen inmitten anderer Fahrzeuge. Für den Fußball heißt das: Im Training versuchen wir, einfache Muster – Pass von A zu B nach C – zu vermeiden. Wir arbeiten mit Übungen, die komplexer und stressiger sind, manchmal vielleicht auch chaotisch. Weil das Spiel auch so ist. Ein Freund von mir hat einmal gesagt, Fußball sei eine sehr komplexe Art von Schach. Der Vergleich gefällt mir."
Wenn Sie sich privat ein Fußballspiel ansehen, denken Sie da an Schach?
„Ich habe einen ganz eigenen Blick auf den Fußball. Wahrscheinlich ist das eine Berufskrankheit. Einer meiner Freunde ist Automechaniker. Wenn ich ein Auto höre, höre ich ein Auto – doch er hört, was bei dem Auto kaputt ist. Und wenn wir zusammen ein Fußballspiel anschauen, sieht er Schüsse und Zweikämpfe – doch ich sehe Winkel, Rauten, Dreiecke … Für mich hat Fußball viel mit Geometrie zu tun."
Sie machen sich sehr viele Gedanken über den Fußball und darüber hinaus. Wie bekommen Sie den Kopf mal frei?
„Ein paar freie Tage zu Hause in Norwegen mit meiner Frau und meinen Hunden tun mir gut. Außerdem gehe ich sehr gerne laufen, das hilft mir, meine Batterien wieder aufzuladen. Wenn ich meine Kopfhörer aufsetze und zehn Kilometer laufe, ist mein Kopf danach wieder frei. Während der Pandemie hatte ich Zeit und habe mir Ziele gesetzt. Danach bin ich Marathons gelaufen – und schon sind wir wieder beim Thema Gewinnen."
Am 7. Dezember steht Straus zum ersten Mal in der Allianz Arena an der Seitenlinie.
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