
Der Moment, in dem Giulia Gwinn an der Seitenlinie stand, das Trikot noch einmal zurechtrückte und den Blick kurz gen Himmel richtete, war einer, der sich still, fast beiläufig, in die Chronik dieses Fußballabends einfügte. Und der doch alles andere als beiläufig war. Es war die 74. Minute in einem Spiel, das die FC Bayern Frauen längst kontrollierten, als sich am FC Bayern Campus so etwas wie ein zweiter Anpfiff vollzog. Nach über zehn Wochen Verletzungspause, nach der dritten Knieverletzung ihrer Karriere, betrat die 26-jährige Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft wieder das Spielfeld. Es war ein Moment, der weit mehr bedeutete als der bloße Wiedereinstieg in den Spielbetrieb. Für Gwinn war es einmal mehr eine Rückkehr aus der Stille, aus der Reha, aus der erzwungenen Rolle der Beobachterin. Und wieder einmal ein Beweis für die unbändige Willenskraft, die in ihr steckt. Der Applaus, der sie in jenem Moment begleitete, klang nicht nur nach Erleichterung. Er war auch eine Verbeugung vor einer Spielerin, die sich einmal mehr zurückgekämpft hatte.

Dass das Wiedersehen ausgerechnet gegen den SC Freiburg stattfand, jenem Verein, bei dem Gwinn einst in der Bundesliga debütierte, verlieh diesem Abend zusätzliche Symbolkraft. Die Partie selbst war recht früh in eine klare Richtung gekippt. Vanessa Gilles hatte in der 16. Minute per Kopf das 1:0 erzielt, Lena Oberdorf erhöhte in Durchgang zwei auf 2:0. Es war ein kontrollierter, in weiten Teilen souveräner Auftritt der amtierenden Doublesiegerinnen gegen die so stark in die Spielzeit gestarteten Breisgauerinnen. Die Partie war aber auch ein Fingerzeig: Der FC Bayern will in dieser Saison nicht nur national den Ton angeben, auch in Europa soll der eigene Anspruch unübersehbar werden.
Doch für den ein oder anderen Zuschauer im Münchner Norden war der wahre Höhepunkt an jenem Abend womöglich ein anderer. Es war der Moment, als Giulia Gwinn nach ihrer Einwechslung zum ersten Mal den Ball berührte: ein ruhiger Pass ins Zentrum, ein kurzer Blick, ein paar Schritte in den freien Raum. Kein Spektakel, und doch schien der Ball für einen Augenblick langsamer zu rollen. Als würde selbst er spüren, dass hier etwas Besonderes geschah.

In der 80. Minute war Gwinn dann mittendrin in jenem Torjubel, der auf das 3:0 folgte. Lea Schüller, gut freigespielt von Neuzugang Gilles und Europameisterin Georgia Stanway, zog aus der Distanz ab. Freiburgs Keeperin Laura Benkarth war noch dran, doch der Ball schlug trotzdem ein. Die Arme gingen hoch, auch bei Gwinn. Erstmals in dieser Saison hatte sie wieder Grund zum Jubeln – zumindest auf dem Platz. Es war kein Zufall, dass sie danach lange klatschte. Nicht nur für das Tor. Für all das, was bis hierher nötig gewesen war, um jenen Moment zu erleben. „Ich bin sehr, sehr glücklich über mein Comeback“, sagte sie im Anschluss an die Partie. „Es war doch wieder eine längere Leidenszeit, wo man viel einstecken musste. Gerade mit der verpassten EM war das nicht gerade leicht. Deswegen kamen da heute schon alle Emotionen mit. Und ich freue mich einfach sehr, wieder zurück beim Team zu sein.“
Ein Comeback, das Hoffnung macht

Die Innenbandverletzung im linken Knie, zugezogen im EM-Eröffnungsspiel Anfang Juli gegen Polen, hatte Gwinn erneut zurückgeworfen. Bereits zum dritten Mal in ihrer Karriere hatte das Knie zur Pause gezwungen, und doch hatte sie sich jedes Mal wieder aufgerappelt, zurückgearbeitet, nie den Anschluss verloren. Auch in diesem Septemberabend lag bereits eine Ahnung davon, wie wichtig sie wieder werden wird: Für den FC Bayern, für den DFB, für all jene, die im modernen Frauenfußball auf Stabilität, Technik und taktische Reife setzen.
Und nun? Giulia Gwinn ist zurück. Noch nicht als tragende Säule über 90 Minuten, aber als Teil einer Mannschaft, das mit ihr wieder ein Stück kompletter wirkt. Die großen Spiele kommen. In der Bundesliga, in der Königinnenklasse, und auch im DFB-Pokal. So bereits am kommenden Montagabend beim ersten Aufeinandertreffen mit Borussia Dortmund. Und vielleicht ist es gerade ihre Geschichte, die die FC Bayern Frauen auf dem Weg zu einer erfolgreichen Saison mitträgt. Denn wer sich so oft zurückgekämpft hat wie Giulia Gwinn, der bringt nicht nur Klasse mit, sondern auch einzigartigen Charakter.
Der Spielbericht zum Sieg gegen Freiburg:
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