Ena Mahmutovićs Papa wollte eigentlich nie so richtig, dass sie ins Tor geht. „Er sagt immer noch, ich wäre draußen besser gewesen, weil ich beide Füße gut einsetzen kann“, erzählt sie und lacht. Doch schon als Elfjährige wollte Ena es anders. Bei ihrem Jugendverein, dem MSV Duisburg, fiel die Torhüterin aus, und spontan erklärte Ena sich bereit, einzuspringen. „Ich glaube, ich habe fast alle gehalten. Den entscheidenden Elfer auch“, erinnert sie sich. Danach stand für die Trainerin sofort fest: „Du bleibst jetzt da drin.“ Ihr Vater seufzte wahrscheinlich - aber seine Einwände mussten zurückstehen.

Diese Entscheidung prägt sie bis heute: Mut zur Improvisation, die Fähigkeit, Chancen zu erkennen, egal, ob im Elfmeterschießen oder auf der großen europäischen Bühne. „Manchmal entscheidet einfach die Situation, und dann muss man da sein“, sagt sie heute.
Geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet, spielte Ena zuerst auf dem Feld, als rechte Verteidigerin und später auf dem Flügel. Bis sie elf war, prägten diese Positionen ihr Spielverständnis. Dann kam die Liebe zum Torwartspiel. Auf dem Feld mag sie es nach wie vor, doch zwischen den Pfosten entfaltet sie ihre ganze Kreativität.
„Wir hatten zwei Torhüterinnen auf der Bank, also haben wir beide Feldspielertrikots bekommen. In der Nachspielzeit hat mich der Trainer dann eingewechselt. Ich durfte zwei Sprints machen. So war eben mein Debüt.”
Ena Mahmutovic über ihr kurioses Bundesliga-Debüt für den MSV Duisburg
Ihr Bundesliga-Debüt vor etwas mehr als fünf Jahren sollte Mahmutovic aber nicht auf jener Position feiern. Mai 2020, Pandemie, Quarantäne: Duisburg hatte nur noch 14 Spielerinnen zusammen. Ena, gerade 16 Jahre alt und dritte Torhüterin, bekam zur Sicherheit auch ein Feldspielertrikot, damit die Mannschaft überhaupt antreten konnte. „Wir hatten zwei Torhüterinnen auf der Bank, also haben wir beide Feldspielertrikots bekommen. In der Nachspielzeit hat mich der Trainer dann eingewechselt. Ich durfte zwei Sprints machen. So war eben mein Debüt“, erzählt sie heute lachend. Diese ungewöhnliche Premiere lehrte sie frühe Anpassungsfähigkeit und Gelassenheit, Eigenschaften, die ihr im Verlauf ihrer Karriere noch nützlich sein sollten.
Zwischen Poldi & Neuer
Idole begleiteten sie stets auf ihrem Weg. Lukas Podolski stand auf ihrem ersten Trikot, ein Geschenk von ihrem Papa. Später wurde Manuel Neuer zum Maßstab. „Mit seinem Wechsel zu Bayern und seinen Leistungen bei der Weltmeisterschaft 2014 hat er das Torwartspiel neu definiert. Auf dem Rathausbalkon ein Foto mit ihm zu machen, das war schon ein unglaubliches Gefühl.“ Heute ist der einstige ferne Held, der wie Mahmutovic aus dem Ruhrgebiet stammt, ein Kollege. Für Ena ein Moment, in dem Kreise sich schließen und Kindheitserinnerungen auf der großen Bühne lebendig werden.
Der Wechsel nach München 2024 war ein durchaus großer Sprung für die heute 21-Jährige. „Vom Letzten der Liga zum Ersten – das war eine Umstellung“, sagt sie. Plötzlich trainierte Ena höchstem Niveau, Schüsse wurden härter und schneller, Verletzungen verlangten Geduld. Muskelfaserriss, Umknicken – zweimal musste sie zurückstecken. „Vielleicht war ich übermotiviert, ich wollte zu viel, zu schnell“, gesteht sie. Doch aus diesen Rückschlägen wuchs Stärke. Sie lernte, Geduld, Kontrolle und Ruhe in entscheidenden Momenten zu bewahren. Heute trägt ihr Spiel Münchner Handschrift: kontrolliert, fußballerisch stark, mutig im Eins-gegen-Eins, präzise im Herauslaufen. „Ich war schon immer gut mit Ball, weil ich lange draußen gespielt habe. Aber hier habe ich nochmal einen Schritt nach vorne gemacht.“
Bodenständig, herzlich, ein bisschen zerstreut

Mahmutović ist ein Kind des Ruhrgebiets. Aufgewachsen mit ihren Eltern und ihrer drei Jahre jüngeren Schwester, in einer Gegend, in der man die Dinge beim Namen nennt. Diese Klarheit, dieser trockene Humor, sie prägen sie bis heute. München dagegen war anfangs eine andere Welt: Oktoberfest statt Schrebergarten, Residenz statt Fördertürme. „Zu Beginn war es schon ein kleiner Kulturschock, weil alles hier so anders ist“, sagt sie. „Mittlerweile fühle ich mich hier wirklich wohl. Meine Teamkolleginnen haben es mir sehr leicht gemacht, hier anzukommen.“
Wohl auch, weil sie sich selbst treu geblieben ist – sympathisch, unkompliziert und mit einem feinen Sinn für Selbstironie, auf wie abseits des Platzes. „Es ist mir schon zwei- oder dreimal passiert, dass ich ohne Handschuhe auf den Platz gegangen bin“, erzählt sie schmunzelnd. „Daran muss ich wohl noch arbeiten – aber das bin eben ich.“

Diese kleine Zerstreutheit steht im charmanten Kontrast zu ihrer minutiösen Spielvorbereitung, zu jener Ernsthaftigkeit, mit der sie auf dem Platz agiert. Zwischen Ruhrpott-Direktheit und bayerischer Präzision hat Mahmutović längst ihren eigenen Ton gefunden. Bodenständig, wach und mit einem Lächeln, das selbst den größten Kulturschock entwaffnet.
Auch ihr sportlicher Start in München hätte kaum besser verlaufen können. Gleich in ihrer ersten Saison gewann sie mit dem FC Bayern das historisch erste Double der Vereinsgeschichte – ein Erfolg, der Maßstäbe. Kaum war der Jubel verklungen, folgte schon das nächste Kapitel: die Nominierung für die Europameisterschaft 2025.
„Die Wochen in der Schweiz waren etwas Besonderes. Dieser Sommer mit den Erfolgen bei Bayern, dem World Sevens und der EM ging unheimlich schnell vorbei.”
Ena Mahmutovic über ihre Erfahrungen
Als dritte Torhüterin im EM-Kader sammelte Mahmutović wertvolle Erfahrungen – auch ohne selbst zu spielen. „Hier wollte ich als Kind immer hin“, sagt sie. „Von Anne (Anm. d. Red.: Ann-Kathrin Berger) und Stina (Anm. d. Red.: Stina Johannes) habe sie „unglaublich viel lernen“ können. Die Wochen in der Schweiz seien für sie „etwas Besonderes“ gewesen – ein Sommer, der mit den Erfolgen bei Bayern, dem World Sevens und der EM „unheimlich schnell vorbeiging“ und ihr zeigte, „wie weit ich gekommen bin – und wie viel noch vor mir liegt.“
Solche Erfahrungen formen Mahmutović. Keine großen Sprünge, sondern stetige Entwicklung, getragen von Geduld und dem Blick für das Wesentliche. „Step by step. Alles andere bringt nichts“, sagt sie – und klingt dabei ganz so, als sei sie längst auf dem richtigen Weg.
Auf der großen Bühne gefordert

Und jetzt: Barcelona. Allein der Name klingt nach Fußballkunst, nach Spielintelligenz und technischer Brillanz auf höchstem Niveau. Barcelona steht für Ästhetik, Dominanz und die absolute Herausforderung – ein Gegner, bei dem jeder Ballkontakt, jede Bewegung, jede Entscheidung unter höchstem Tempo geprüft wird. Spielerinnen wie Alexia Putellas, Aitana Bonmatí oder Caroline Graham Hansen fordern dich in jedem Moment.
Trotz der großen Herausforderung reist Mahmutović mit Rückenwind an: In den vergangenen fünf Pflichtspielen blieb sie ohne Gegentor, ein Beweis für ihre Konstanz und ihre Qualität. „Wenn eine auf dich zuläuft, musst du vorher wissen, was passieren könnte. Spontaneität allein reicht nicht“, erklärt sie. Jeder Reflex, jeder Schritt muss vorbereitet sein, jede mögliche Aktion antizipiert werden.

Ob Standards, Elfmeter, Bewegungsmuster, nichts wird dem Zufall überlassen. „Ich schaue mir jede gegnerische Spielerin an, ihre Lieblingsbewegungen, wo sie wahrscheinlich schießt, wie sie Flanken spielt“, sagt sie. Gleichzeitig bleibt Mahmutovics Blick auf das Duell mit dem dreimaligen Champions-League-Sieger nüchtern: Respekt ist da, Ehrfurcht nicht. „Wir haben selbst Weltklassespielerinnen in unseren Reihen. Deshalb müssen wir uns nicht verstecken.“
Auf Ena wartet am Dienstag ein Prüfstein, in dem Herkunft, Erfahrungen und persönlicher Ehrgeiz zusammenkommen. Dieser Abend wird ein weiterer wichtiger Schritt in ihrer noch jungen Karriere. Eine Torhüterin aus Duisburg, die einmal zufällig ins Tor sprang, nun im Estadi Johan Cruyff gegen den Mythos Barcelona. Und ihr Papa? Wahrscheinlich immer noch leicht skeptisch. Aber dieses Mal wird er mit Sicherheit applaudieren.
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