
Mit Beginn des 2. Schulhalbjahres 2019/2020 hat die Schachabteilung des FC Bayern München eV ihr Angebot an Schachunterricht an Münchner Schulen ausgeweitet und im Rahmen einer breit angelegten Initiative an mehreren Grundschulen Schach-Arbeitsgemeinschaften eingerichtet, die in Kooperation mit den jeweiligen Schulen im "Sport-nach-1" angeboten werden. Darüber sprach die Internetredaktion (IR) der Schachabteilung mit Abteilungsleiter Jörg Wengler (AL).
IR: Herr Wengler, Schachunterricht an Schulen wird ja vielerorts bereits seit Jahren mit großem Erfolg angeboten. Jetzt engagiert sich auch der FC Bayern München verstärkt auf diesem Gebiet. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
AL: Nun, wir sind ja auch in der Vergangenheit durchaus schon an Schulen aktiv gewesen. Allerdings war dies bisher meist nur auf die Initiative einzelner Mitglieder zurückzuführen, die sich in der Jugendarbeit engagieren wollten und dies irgendwie mit ihrem privaten und vor allem auch beruflichen Umfeld vereinbaren konnten. In Ergänzung dessen haben wir schon lange überlegt, wie wir es schaffen zu können, ein systematischeres Angebot auf die Beine zu stellen, um möglichst vielen Kindern nachhaltig die Möglichkeit zu eröffnen, die ersten Gehversuche auf den 64 Feldern zu unternehmen und sich mit dem königlichen Spiel vertraut zu machen.
IR: Was heißt denn „nachhaltig“ in diesem Zusammenhang?
AL: Das bedeutet zumindest zweierlei. Zum einen natürlich, dass wir uns organisatorisch so aufstellen, dass wir das Angebot auch dauerhaft aufrecht erhalten können. Zum anderen möchten wir natürlich auch einen qualitativ hochwertigen Unterricht anbieten. Nur dann können meiner Meinung nach die Kinder auch wirklich von dem Unterricht in der beabsichtigten Weise profitieren.
IR: Was würden Sie denn Eltern antworten, die sich genau danach erkundigen und wissen möchten, was ihren Kindern die Beschäftigung mit dem Schach bringt?
AL: Da könnte ich es mir ganz einfach machen und auf die sowohl deutschlandweit als auch international gemachten Erfahrungen in den letzten Jahren verweisen, die eindrucksvoll belegen, dass Schachunterricht eine leistungsfördernde Ergänzung zum normalen Schulunterricht ist. Konzentrationsfähigkeit, planvolles Denken und Handeln, aber auch soziale Kompetenzen wie etwa sportliche Fairness und respektvolles Verhalten in Wettkampfsituationen, oder auch der Umgang mit Sieg und Niederlage werden durch den Schachunterricht gefördert. Und dann ist da noch etwas ganz wichtiges: Spaß! Auch das wollen wir natürlich rüberbringen, gerade bei den Jüngsten, bei denen es ja in keinster Weise um einen sportlichen Leistungsgedanken geht.
IR: Das ist ein gutes Stichwort. Es geht also nicht darum, Nachwuchstalente für den Verein heranzuziehen?
AL: Das ergibt sich alleine schon aus unserer Zielgruppe. Mit unserer Initiative sprechen wir ja im Wesentlichen Grundschüler, das heißt Schüler der 1. bis 4. Klassen an. Das sind Kinder, denen wir hier einfach die Gelegenheit geben möchten, Schach einmal auszuprobieren, um eben zu sehen, ob es Spaß macht. Und das ganz zwanglos und ganz bewusst auch ohne Verpflichtung gegenüber einem Verein. Sollten sich daraus Talente entwickeln, die sich irgendwann dann auch sportlich weiterentwickeln wollen, ist immer noch die Möglichkeit da, sich einem Verein anzuschließen und dort dann etwas leistungsorientierter zu trainieren.
IR: Irgendeinem Verein, oder dem FC Bayern München?
AL: Wir haben natürlich auch ein Jugendtraining unter dem Dach des Vereins, das allen schachbegeisterten Kindern offen steht, die sich gerne sportlich etwas weiterentwickeln wollen. Aber wie gesagt, Kinder, die unsere Schulschach-AGs besuchen, verpflichten sich zunächst erst einmal zu nichts. Im Übrigen glaube ich, dass wir uns auch mit unserem vereinsinternen Jugendtraining nicht zu verstecken brauchen. Das ist aber der zweite Schritt. Der erste Schritt ist eindeutig, Schach an Schulen weiter zu etablieren und damit befassen uns uns im Moment vorrangig.
IR: Gut, dann zurück zur Schulschach-Initiative. Auf der letzten Mitgliederversammlung der Schachabteilung war da der Arbeitstitel „Mit Köpfchen Tore schießen!“ zu hören. Ist dieser Titel noch aktuell?
AL: Ja, und ist eigentlich ist das inzwischen mehr als nur ein Arbeitstitel. Ich denke, das ist doch für eine Schachabteilung eines großen Fussballvereins ein ganz passendes Motto, oder? Ein Tor schießen bedeutet ja im Prinzip immer, sich voranzubringen. Und dabei wollen wir den Kindern bestmöglich helfen.
IR: Heißt das also, um noch einen Moment in der Fussballersprache zu bleiben, den Kindern einen Elfmeter hinzulegen?
AL: Also ich weiß nicht. Das klingt jetzt so, als würden wir den Schülern komplett alle "Arbeit" abnehmen. Aber muss man sich nicht im Leben seine Chancen auch mal selbst herausspielen? Wir liefern dafür gerne die Steilvorlage!
IR: Und wer spielt die "Steilpässe"?
AL: Das sind unsere Schachlehrer. An der Qualität der Lehrer hängt wirklich alles und wir haben uns sehr stark darum bemüht, eine Gruppe von Lehrern für unserer Initiative zu gewinnen, die dieser Aufgabe auch wirklich gewachsen ist. Ansonsten können wir die schon erwähnte Nachhaltigkeit auch keinesfalls gewährleisten. Unsere Schachlehrer bringen umfangreiche Erfahrungen im Bereich des Schulschachs sowie in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit. Unter ihrer Anleitung kann Schach zu einem integrativen Bestandteil des Lernprozesses für jedes Kind werden.
IR: Der Schachunterricht findet ja direkt an den Schulen statt, das heißt die Lehrer kommen zu den Schülern und nicht umgekehrt. Ist das generell so organisiert oder gibt es da auch Ausnahmen.
AL: Nein, gibt es nicht. Wir bieten an Grundschulen derzeit ausschließlich Schach-AGs in Kooperation mit den Schulen im Ranhem des "Sport-nach-1" an. Das bedeutet, dass es sich um schulische Veranstaltungen handelt, im Rahmen derer die Kinder dann auch entsprechend versichert sind. Auf diese Weise ist der Schachunterricht auch ganz normal in den schulischen Alltag der Kinder integriert. In den regulären Schulwochen ist jeweils eine Unterrichtseinheit vorgesehen. Und Ferien bleiben natürlich Ferien!
IR: Nun gibt es ja in München derzeit 137 staatliche Grundschulen plus noch etliche private. Zu wie vielen dieser Schulen hat sich denn bereits herumgesprochen, dass der FC Bayern ein Schulschach-Angebot hat?
AL: Das sollte eigentlich bei allen Schulen bekannt sein. Zumindest haben wir im Herbst letzten Jahres alle Schulen angeschrieben und uns mit unserer Schulschach-Initiative vorgestellt. Daraufhin haben wir von vielen Schulen Anfragen bekommen, ob wir eine oder mehrere Schach-AGs einrichten können. Nicht überall realisiert sich das dann am Ende, wofür es die verschiedensten Gründe gibt. Aber nach einigen Monaten der Vorbereitung sind wir jetzt soweit, dass wir nach den Faschingsferien, d.h. ab Anfang März, an 6 Schulen starten werden. Ob dann im Laufe der Zeit noch weitere Schulen dazukommen, muss man sehen, möglich ist dies gewiss.
IR: Wäre denn auch vorstellbar, alle Schulen flächendeckend zu bedienen?
AL: Nein, das ist nun wirklich nicht unser Ziel. Uns kommt es hier auch überhaupt nicht auf die Masse an, sondern vielmehr auf die Qualität des Unterrichts und den damit verbundenen positiven Effekt für die Kinder. Wir sagen lieber auch mal einer Schule ab, wenn wir den Eindruck haben, dass wir das kapazitätsmäßig nicht stemmen können, als uns in ein Abenteuer zu stürzen und dann irgendwann auf die Nase zu fallen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir unser Angebot nicht schrittweise weiter ausbauen wollen. Das wollen wir durchaus, nur aber eben maßvoll und überlegt und erst, wenn wir auch die erforderlichen Ressourcen an Bord haben. Im übrigen ist es ja auch nicht so, dass alle Schulen bei uns einen Bedarf angemeldet haben. Auch ein höfliches „Nein, danke“ haben wir dann und wann gehört. Entweder, weil schon ausreichend Angebot im Nachmittagsprogramm vorhanden war, oder auch schon mal, weil andere Schulschach-Anbieter bereits vor Ort aktiv sind. Wir sind mit unserer Offerte natürlich auch nicht alleine auf der Welt.
IR: Andere Anbieter im Sinne von „Konkurrenz“?
AL: So würde ich das hier nicht nennen. Wir bewegen uns im Bereich eines sozialen und gemeinnützigen Engagements. Hier ist jede Aktivität im Interesse der Kinder positiv zu werten. Insgesamt gibt es hier so viel zu tun, dass ein Konkurrenzgedanke von vornherein schon gar nicht aufkommen kann. Ich sehe unsere Initiative als Ergänzung dessen, was seit nun schon über 10 Jahren an vielen Münchner Schulen erfolgreich praktiziert wird, zum Beispiel von der Münchner Schachakademie und der Münchner Schachstiftung, die hier in München eine Vorreiterrolle in Sachen Schulschach eingenommen haben und denen wir in entscheidendem Maße zu verdanken haben, dass Schach an Schulen schon längst kein „exotisches Konzept“ mehr darstellt.
IR: Kann man denn von den Erfahrungen, die im Bereich Schulschach gemacht wurden profitieren, oder ist jedes Projekt doch irgendwie anders und lässt sich nicht vergleichen?
AL: Letzteres stimmt zwar auch irgendwie, aber man kann natürlich immens profitieren und lernen, wenn man sich in der Szene umschaut und umhört. Das hilft auf jeden Fall, Fehler zu vermeiden oder Problemen aus dem Wege zu gehen, die anderenorts womöglich aufgetreten sind. Wir haben natürlich auch das Glück, dass wir auch auf ganz persönliche Erfahrungswerte zurückgreifen können, sowohl was die ganzen administrativen und organisatorischen Fragen angeht, als auch die schachpädagogischen Aspekte. Unser Cheftrainer in der Schachabteilung, Roman Vidonyak, der federführend in den Aufbau unsere Schulschach-Initiative involviert ist, hat vor Jahren schon einmal ein derartigen Projekt realisiert, im Landkreis Miesbach-Tegernsee, wo er insgesamt 6 Jahre direkt im Schulschach tätig war. Ich denke, es ist selbstredend, dass diese Erfahrungen aus erster Hand für uns extrem nützlich sind.
IR: Vielleicht noch eine Frage zum Abschluss. Wenn wir uns in fünf Jahren wieder zusammensetzen und noch einmal über dieses Thema unterhalten, welches Fazit möchten Sie dann ziehen können?
AL: Gute Frage! Gar nicht so einfach zu sagen. Wenn sich bis dahin unsere Schulschach-AGs an einer gewissen Anzahl an Schulen fest etabliert haben, problemlos und stabil laufen und gutes Feedback erhalten, wäre ich schon sehr zufrieden. Und wenn ich noch etwas weiter in die Zukunft blicken darf, dann träume ich eigentlich davon, dass in 20 Jahren die dann erwachsenen Kinder mal zu mir sagen „Es war gut, in dieser Schach-AG gewesen zu sein.“ Das wünsche ich mir.
IR: Vielen Dank, Herr Wengler, und viel Glück beim Tore schießen mit Köpfchen!