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Schach

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Zwischen Diamanten, Perlen und Seifenblasen

Wie die Schachbundesliga um eine neue Identität ringt

Ein Kommentar.

Ich sitze bei Günther Jauch auf dem Stuhl, bin auf dem besten Weg zur Million und endlich kommt sie, die Schachfrage. Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schief gehen, und schon wird mir vorgelesen: „Was trifft auf die Schachbundesliga zu?“ Super, denke ich. Da kann mir doch der Jauch nichts vormachen. Dann höre ich weiter: „A) Die Schachbundesliga spielt immer mit 16 Mannschaften, oder B) In der Schachbundesliga spielt die absolute Weltelite, oder C) Die Internetseite der Schachbundesliga verzeichnet mehr Zugriffe als die Internetseiten aller Bundesligisten zusammen, oder D) Die Vereine der Schachbundesliga unterrichten deutschlandweit an mehr als 50 Schulen Schach“. Oops, jetzt muss ich erstmal schlucken. Das klingt doch eigentlich alles ganz plausibel. „Sie meinen: Was trifft auf die Schachbundesliga nicht zu? Oder?“ frage ich etwas zögerlich in der Hoffnung, dass ich hier nur eine falsche Antwort aussortieren muss. „Nein, nein, die Frage lautet: Was trifft zu? Drei Antworten sind falsch. Ist die Frage klar?“ OK, also muss ich mal logisch nachdenken. In der Schachbundesliga spielen 16 Mannschaften, das muss es sein, das ist eindeutig. Nein, das ist zu einfach, bestimmt eine Fangfrage. Wieso „immer“? Vielleicht hat das was mit den vielen Rückzügen zu tun, oder mit Karlsruhe 2020. Nee, das war keine echte Liga. Hmm, erstmal weiter. Weltelite ja, das könnte auch passen. Oder was meinen die Macher immer, wenn sie von der stärksten Schachliga der Welt sprechen? Braucht man dazu alle Schachdiamanten dieser Welt oder reichen da nicht auch die ebenfalls hochkarätigen 2600er, die man inzwischen zu Dutzenden in der Schachbundesliga antrifft? Auch unklar. Wirklich eine selten blöde Frage, diese Schachfrage. Die Internetseite ist vielleicht heißer Tipp. Ist ja gerade erst zur zentralen Endrunde in Berlin renoviert worden und muss doch eigentlich jetzt wunderbar laufen. Es sei denn, es hat sich noch nicht herumgesprochen. Grrr. Aber dann ja Schulschach möglicherweise. Damit protzen doch manche Bundesligisten so gerne. Ist auf jeden Fall ein heißes Thema in ganz Schach-Deutschland. Aber bringen die Bundesligavereine 50 Schulen zusammen? Davon hätten doch die „Perlen“ bestimmt schon mal Wind bekommen. Verflixt, ich war mir so sicher, dass bei einer Schachfrage nichts passieren kann. Auch das neue Leitbild des Schachbundesliga e.V. hatte ich mir extra noch mal heruntergeladen und kann es inzwischen fast auswendig. Passt doch eigentlich alles ins Bild. Oder eben nicht. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Platzt jetzt mein Traum von der Million wie eine Seifenbase? Ich bin drauf und dran auszusteigen…

Plötzlich klingelt der Wecker. Alles nur ein böser Traum und vorbei. Aber noch nicht ganz vorbei. Auch beim Zähneputzen lässt mich das Geträumte noch nicht wieder los. Warum bin ausgerechnet ich an einer Frage zur Schachbundesliga gescheitert? Als Teamchef einer Bundesligamannschaft müsste ich es doch eigentlich wissen. Natürlich war die Frage trickreich formuliert. Aber das gilt schließlich für alle Fragen jenseits der 500 und darf kein Hindernis sein. Der da in meinem Traum auf dem Stuhl saß, war ganz sicher ein Schachspieler und Schachliebhaber. Aber von der Schachbundesliga wusste er offensichtlich zu wenig.

Und so wird es sicher vielen gehen, die sich in jüngster Zeit mit den neuesten Entwicklungen in der Schachbundesliga beschäftigen. Erst kürzlich wurden da Teilnahmevoraussetzungen definiert, die künftig als Bedingung für die Teilnahme an der Schachbundesliga ein ausreichendes Engagement der Vereine in Sachen Nachwuchsförderung und Förderung einheimisch ausgebildeter Spieler verlangen. Doch wer dieses nunmehr installierte Regelwerk in der Turnierordnung nachliest, kennt natürlich nicht die ganze Geschichte. Eine Geschichte, die damit beginnt, dass die Gründungsväter des Schachbundesliga e.V. im Jahr 2007 versucht haben, bestimmte gemeinsame Ziele zu definieren, von denen sie glaubten, sie in Eigenregie und losgelöst vom DSB besser erreichen zu können. Professionalisierung und Vermarktung waren zwei der damals vordringlichsten Motive. Seither haben sich Themen und Prioritäten mehrfach verschoben. Aber eines ist geblieben, und zwar das allgegenwärtige Hauptproblem, mit dem der Schachbundesliga e.V. von Anfang an zu kämpfen hatte. Nämlich die Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Daran sind die Vereine der Schachbundesliga ein ums andere Mal gescheitert. Warum ist das so? Ganz sicher hat das mit zwei grundsätzlichen strukturellen Problemen zu tun. Zum einen sind die 16 Vereine der Schachbundesliga Organisationen mit höchst heterogener Interessenslage und unterschiedlichen Ansprüchen an sich und die Liga. Und zum anderen sorgt der Auf- und Abstieg von nominell vier Vereinen nach jeder Saison dafür, dass jedes Jahr fast ein Viertel der stimmberechtigten Mitglieder des Schachbundesliga e.V. ausgetauscht werden. Dass unter diesen Bedingungen mittel- bis langfristige Planungen und inklusive zugehöriger Entscheidungsprozesse nur ein Wunschtraum sind, liegt auf der Hand. Viel zu sehr ist zumindest ein Teil der Liga permanent nur mit kurzfristigen Prioritäten beschäftigt, die sich nicht selten um das finanzielle, organisatorische oder sportliche Überleben drehen.  

Und so verwundert es auch nicht, dass der Schachbundesliga e.V. über die Jahre in eine Situation geschlittert ist, die man ohne Übertreibung als eine Identitätskrise bezeichnen kann. Wofür steht die Schachbundesliga überhaupt? Für wen ist sie interessant? Wem nützt sie? In welche Richtung soll sie sich entwickeln? Grundsatzfragen, auf die die Vereine unabhängig voneinander alle höchst unterschiedliche Antworten geben. Warum? Weil jeder die Schachbundesliga so „interpretiert“, wie er sie gerne hätte. Das große Ganze hat kaum jemand im Blick. Und das darf man den Betreffenden noch nicht einmal übelnehmen, denn wie kann man schon etwas im Blick haben, das – na ja bestenfalls – höchst unscharf definiert ist.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Entwicklungen des zu Ende gehenden Jahres 2021 zu sehen. Es begann mit einer Mitgliederversammlung im Januar, in der zum wiederholten Male ein Antrag auf dem Tisch lag, der einen mehr oder weniger gravierenden Eingriff in den Status Quo der Schachbundesliga darstellte und prompt durchfiel. Wenigsten setze sich diesmal die Erkenntnis durch, dass das klassische Antragswesen für tiefgreifende Veränderungen nicht ausreicht. Derartige Vorhaben im stillen Kämmerlein zu planen, dann fristgerecht beim Vorstand den entsprechenden Antrag einzureichen und darauf zu vertrauen, dass man im Rahmen der Versammlung eine Mehrheit gewinnen kann, ist einfach der falsche Weg. So wurde im Januar eine Arbeitsgruppe gebildet, die das Thema des gescheiterten Antrags wieder aufgreifen und Möglichkeiten eruieren sollte, zu einer zielführenden und tragfähigen Lösung zu kommen.

Doch wie geht man eine derartige Aufgabe nun an? Was gilt es anders zu machen als bisher? Da sind auf jeden Fall zwei Faktoren, die nicht zu unterschätzen sind: Zeit und Kommunikation. Der Faktor Zeit ist eine Frage der Organisation und der Ressourcen. Die langfristige „Projektplanung“ bekommt man meist irgendwie in den Griff. Ob man dann auch über den gesamten Zeitraum regelmäßig am Ball bleibt, ist natürlich eine Frage der individuellen Verfügbarkeit der beteiligten Personen, die ja in aller Regel ehrenamtlich unterwegs sind. Der Faktor Kommunikation ist dagegen eine Frage der Disziplin. Dazu muss man sich einfach zwingen. Auch, wenn das natürlich noch einmal zusätzlich Zeit kostet. Reden, schreiben, wieder reden, wieder schreiben, anders geht es nicht. Und besonders wichtig: Unbedingt alle tangierten Parteien mit einbeziehen. Niemand darf überrascht oder sogar vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Deshalb auch die „offene“ Arbeitsgruppe, zu der immer alle Mitglieder des Schachbundesliga e.V. eingeladen waren.

Gut, das Organisatorische haben wir unter Kontrolle, aber worüber reden wir nun? Wenn wir zielführend unterwegs sein wollen, benötigen wir ein Ziel. Klingt einfach, ist aber schwierig in einer Situation, in der ein jeder unterschiedliche Vorstellungen hat. Wo ist da der Orientierungspunkt, auf den wir zusteuern können? Wir hatten in der Arbeitsgruppe anfänglich keinen, zumindest nicht hinsichtlich der Themen, um die es dort ging, also Nachwuchsförderung und Förderung einheimisch ausgebildeter Spieler. Und genau das war der Grund dafür, warum wir uns entschieden haben, uns im ersten Schritt mit dem neuen Leitbild des Schachbundesliga e.V. genau diesen Orientierungspunkt zu schaffen. Ein Orientierungspunkt wohlgemerkt, der im Juni ohne Gegenstimme angenommen wurde.

Ganz unabhängig davon, was die Arbeitsgruppe nun auf dieser Basis weiter erarbeitet hat, ist mit dem neuen Leitbild auch ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Identität erreicht. Denn die bereits erwähnten Grundsatzfragen werden in dem Leitbild beantwortet. Und das nicht nur bei den Themen die in der Arbeitsgruppe auf der Tagesordnung standen, sondern ganz allgemein. Natürlich soll die Schachbundesliga auch weiterhin den Anspruch haben, die stärkste Schachliga der Welt zu sein. Und auch, wenn sich die WM-Kandidaten in der Bundesliga eher weniger zahlreich blicken lassen, haben wir doch jede Menge Rohdiamanten, die es durchaus noch ganz nach oben schaffen können. Und genau die wollen wir doch auch unserem Publikum präsentieren. Oder etwa nicht? Und selbstverständlich soll von der Schachbundesliga eine Vorbildwirkung ausgehen. Mehr und sichtbarer als in der Vergangenheit. Das hierzu auch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit gehört, ist selbstredend. Auch dazu hält das Leitbild eine Vision bereit, an der man sich in Zukunft orientieren kann.

Vornehmlich ging es aber nun erst einmal um die Frage, welchen Beitrag zur Entwicklung des Schachs in Deutschland man von den Vereinen der Schachbundesliga erwarten kann. Diese Diskussion wurde über 11 Monate intensiv geführt. Und ich möchte nicht unbetont lassen, dass diese Diskussion trotz der teilweise weit auseinander gehenden Meinungen im Wesentlichen stets sachlich und konstruktiv geführt wurde. Natürlich gab es den einen oder anderen „emotionaleren Moment“. Alles andere hätte mich im Übrigen auch überrascht, denn jeder einzelne Verantwortliche engagiert sich für seinen Verein bzw. seine Mannschaft ja mit Leib und Seele und investiert dabei ganzjährig jede Menge Emotionen. Da darf man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Letztlich war entscheidend, dass vernünftig miteinander geredet wurde, und zwar so lange, bis eine Lösung gefunden war, die zukunftsfähig erschien.

Im Ergebnis wird es nun so sein, dass ab der Saison 2023/2024 nur noch Vereine in der Schachbundesliga mitspielen können, die sich in angemessenem Umfang für Nachwuchsförderung und die Förderung einheimisch ausgebildeter Spieler engagieren und dies auch entsprechend nachweisen können. Natürlich gab es Diskussionsbeiträge, die mit geläufigen Schlagworten einen bürokratischen Aufwand thematisierten oder bemängelten, dass Themen wie Vermarktung und Öffentlichkeitsarbeit nicht gleich mit angepackt wurden. Auch die „Perlen“ befürchteten im Oktober noch, dass die ausführliche Dokumentation der Überlegungen der Arbeitsgruppe eher der Befüllung des Papierkorbs dienlich sei. Was die „Perlen“ dabei womöglich nicht zur Gänze würdigen ist der Umstand, dass derartig komplexe Themen über einen längeren Zeitraum kaum effizient diskutierbar bleiben, wenn man den aktuellen Diskussionsstand nicht festhält. Sonst dreht man sich unweigerlich irgendwann im Kreis und wiederholt die Argumente wieder und wieder, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Und ein Ergebnis wurde ja nun letztlich erzielt.

Dabei ist es sicher kein Manko, dass nicht gleich alle Punkte des neuen Leitbildes in diesem Jahr adressiert wurden. Übrigens wurde auch das ganz offen in der Arbeitsgruppe diskutiert. Die Beschränkung auf den behandelten Themenkreis war sinnvoll, um sich nicht von vornherein zu verzetteln. Darin waren sich eigentlich alle einig.

Die beschlossenen Teilnahmevoraussetzungen sind ein erster Schritt in eine Zukunft der Schachbundesliga, die in jeder Hinsicht von Nachhaltigkeit geprägt sein soll. Dazu zählt ohne Zweifel die Nachwuchsarbeit. Aber dazu zählt eben auch die Stabilität und langfristige Ausrichtung der in der Schachbundesliga antretenden Vereine. Die in der Vergangenheit so häufig zitierten Seifenblasen, über die in den einschlägigen Foren natürlich ebenfalls so einiges zu lesen ist, können bestenfalls einen nachhaltigen Erinnerungswert für sich reklamieren, zumindest wenn sie mit den Diamanten der Liga um die Wette funkeln, bevor sie effektvoll zerplatzen. Das soll nicht polemisch klingen und auch nicht diejenigen grundsätzlich diskreditieren, die sich mit einer anderen Ausrichtung im bisherigen Umfeld der Schachbundesliga ihren Platz erarbeitet haben und bei ihrer Linie bleiben möchten. Wie ich aus vielen Gesprächen weiß, alles Schachfreunde, die ebenfalls mit einem Höchstmaß an Engagement bei der Sache sind und denen dafür Respekt gebührt, selbst wenn sie letztlich gegen die Einführung der Teilnahmevoraussetzungen gestimmt haben.

Aber – und das führt nun wieder auf das eingangs erwähnte „große Ganze“ zurück – es geht um die Zukunft der Schachbundesliga insgesamt, die wir alle gestalten wollen. Und übrigens sollte die Schachbundesliga dabei als höchste Spielklasse im deutschen Schach auch nicht nur im eigenen Saft schmoren. Was die Bundesligisten für sich als geeigneten Weg in die Zukunft definieren, ist automatisch auch für den Unterbau, aus dem ja die potenziellen Aufsteiger kommen, relevant. Einer der Gründe, warum auch die Bundespielkommission und der Arbeitskreis der Landesverbände an näheren Informationen zu diesem Thema bereits interessiert waren. Vielleicht findet das Konzept von Teilnahmevoraussetzungen sogar Eingang in die aktuellen Überlegungen des DSB zur Reform der 2. Bundesligen. Bereits Anfang Januar wird hierüber weiter diskutiert. Eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen Schachbundesliga e.V. und DSB weiter zu intensivieren. Und auch das ist ja ein Aspekt, den das Leitbild betont! (Wengler)

P.S. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die „Perlen“ verstehen sich in diesem Kommentar als Synonym für die Schachöffentlichkeit (in Anspielung auf einen bekannten Blog).

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