Die Basketballer des FC Bayern München haben es tatsächlich vollbracht: Die Mannschaft von Cheftrainer Andrea Trinchieri besiegte am Donnerstagabend in einem dramatischen Krimi Litauens Aushängeschild Zalgiris Kaunas 71:70 (37:36) und qualifizierte sich aufgrund der parallelen Niederlage von Verfolger Baskonia als erstes deutsches Team überhaupt vorzeitig für die Playoffs der EuroLeague. Für die Bayern war es der 20. Sieg, ebenfalls eine Rekordmarke.
In einem kraftraubenden Duell mit befreit aufspielenden Gästen geriet das Finish zu einer Nervenschlacht: 2,4 Sekunden vor Schluss wurde Vladimir Lucic beim Stand von 69:70 im Wurf gefoult und verwandelte eiskalt beide Versuche von der Linie zur Führung. Auch den letzten Wurf von Kaunas blockte der Serbe mit Unterstützung von Leon Radosevic - die Münchner sprangen danach vor Glück über das Parkett des Audi Dome.
Die Playoffs der Königsklasse (best-of-five) steigen nur zwei Tage nach dem Top Four um den deutschen Pokal (16./174.) im Audi Dome, der Gegner des FCBB ab dem 18:/19. April steht erst nach dem 34. und letzten Hauptrunden-Spiel am kommenden Freitag bei Tabellenführer FC Barcelona fest. Derzeit belegen die Bayern Platz sechs.
In der BBL folgt die Fortsetzung bereits am Samstag auswärts in Gießen und am kommenden Dienstag gegen Bayreuth.
FC Bayern Basketball – Zalgiris Kaunas 71:70 (36:35)
FCBB:
Nick Weiler-Babb 11, Wade Baldwin 8, David Krämer, D.J. Seeley 5, Jalen Reynolds 12, Vladimir Lucic 13/6 Rebounds, Diego Flaccadori, Paul Zipser 2, James Gist 8, JaJuan Johnson 3, Zan Mark Sisko 3/6 Assists, Leon Radosevic 6/2Dreier.
Topscorer Kaunas:
Thomas Walkup (16 Punkte)
Schiedsrichter
Ilija Belosevic, Saso Petek, Carlos Carte
Die Punkteverteilung nach Vierteln (aus Sicht des FCBB): 21:22, 16:14, 20:18, 14:16
Zahlen & Fakten - Zweier-Quote: 48 % (FCBB) // 47 % (Kaunas); Dreier-Quote: 38 % // 52 %; Freiwurf-Quote: 91 % // 77 %; Rebounds: 26 // 32; Assists: 17 // 18; Ballverluste: 12 // 19.
Die Stimmen:
Andrea Trinchieri: „Ich bin sehr glücklich, zuerst natürlich für meine Spieler, die Geschichte für den deutschen Basketball geschrieben haben und auch für den FC Bayern Basketball. Mein Team war heute bereit zu kämpfen. Wir haben kein tolles Spiel gehabt. Aber das Spiel hatte seinen Ursprung vor vielleicht 15 Tagen. Wir verfolgen einen Traum seit dem ersten Spiel gegen Mailand, als wir nach Verlängerung verloren. Denn wir haben damals kapiert: Wir können etwas leisten. Aber in den letzten 15 Tagen haben wir eben gefühlt, wie nah wir dran sind – aber auch nie nah genug. Du denkst, du gehst voran, doch die Distanz bleibt die gleiche. Die letzten Spiele waren sehr schwer. Zalgiris hat heute sehr gut gespielt, denn sie hatten keinen Druck. Natürlich hatten unsere Spieler den Gedanken: Was, wenn wir es nicht schaffen. Es sah zwischenzeitlich danach aus wie im Winter, wenn es kalt ist und du heiße Schokolade in den Händen hast - dann wird die Schokolade dicker und dicker und dicker. Du kannst nicht mehr deinen Löffel darin bewegen.
So war das letzte Viertel. Ich war darauf vorbereitet. Wenn du mit so viel Druck spielst und das andere Team keinen Druck hat, wird alles schwieriger. Das war unser 16. Spiel in 34 Tagen. Ich weiß nicht, wie wir das geschafft haben – ich weiß es wirklich nicht. Wir haben nie trainiert, haben verletzte Spieler, reisten durch ganz Europa. Diese Gruppe von Spielern hat etwas Unglaubliches geschafft. Zu Beginn wurden wir auf Platz 16 oder 17 eingestuft in der EuroLeague. Ich bin stolz. Stolz, weil wir einen Weg fanden, dass diese Gruppe Spieler zusammenspielt. Wir haben vielleicht nicht geglänzt, wir mussten fast jedes Spiel nach Rückstand gewinnen. Wir hatten oft die Schlinge um den Hals, sind aber nie gestorben. Das ist vielleicht unser Schicksal. Lasst uns genießen, wie wir sind. Ich möchte keinen meiner Spieler eintauschen. Wir gewannen gegen Efes, Barcelona, zwei Mal gegen Maccabi, bei Fenerbahce in Istanbul und die reguläre Saison wird kürzer und kürzer. Und du denkst Dir: Wir haben was geschafft - aber es ist nie genug. Mit 19 Siegen erreichst du nicht die Playoffs, das gibt es zum ersten Mal in der Geschichte der EuroLeague. Hätte uns einer gefragt, ob wir glücklich wären mit 19 oder 18 Siegen, wir hätten den Vertrag mit unserem eigenen Blut unterzeichnet vor der Saison.
Wir sind in keiner guten körperlichen Verfassung, wir spielen gerade nicht gut, aber das ist das 16. Spiel in 34 Tagen. Das ist nicht menschlich. Ich bin sehr, sehr stolz, dass mein Team einen Weg fand, ohne in Form zu sein, ohne gut zu spielen, ohne Würfe zu treffen, ohne das zu machen, was wir tun können in vielen Spielen. Es ist nicht einfach, unter diesem Druck zu spielen, aber wir taten es. Wir sind das erste Team, die das geschafft haben. Ich hoffe, das ist keine Eintagsfliege. Ich hoffe, dass wir es jedes Jahr schaffen können. Ich glaube, das hier ist ein toller Ort des deutschen Basketballs. Es ist eine großartige Nacht für den FC Bayern. Wir mussten während der Covid-Pandemie eine Mannschaft zusammenstellen, was nicht einfach war. Aber jeder Spieler kam hierher, um sein Bestes zu geben. Wade Baldwin kam mit einer kleineren Rolle von Olympiakos, Jalen Reynolds kam mit 13 Minuten Spielzeit von Maccabi, Vladimir Lucic spielt die beste Saison seiner Karriere – er ist unser Leader. Jeder versucht, über sein Limit zu gehen. Nick-Weiler Babb spielte vor der Saison noch kein EuroLeague-Spiel in seinem Leben, Zan Mark Sisko war nicht in der Rotation letztes Jahr. Wir sind glücklich, wer wir sind. Ich will nichts ändern. Wir sind weit davon entfernt, perfekt zu sein. Wir sind weit davon entfernt, normal zu sein. Aber du brauchst so etwas, um einen Traum zu jagen.“
Herbert Hainer, Präsident FC Bayern: „Ich gratuliere unserer Mannschaft, unserem Trainer und einfach allen anderen, die mitgeholfen haben. Es als erstes deutsches Team in die Playoffs der EuroLeague geschafft zu haben, ist ein grandioser Erfolg. Der gesamte FC Bayern ist wahnsinnig stolz auf diese historische Leistung.“
Vladimir Lucic: „It is a great moment. We were dreaming about this since the day we started in early August, so it is a big accomplishment for everybody - for the team, for the organization, being part of the first German team who ever reached the EuroLeague Playoffs. But a lot of really important games are yet to come and we need to be ready for the next steps. It was not easy, especially after the loss against Fenerbahce. I think we obviously had a lack of energy today, but we showed character, as many times this year, in the end. First of all, James [Gist] with the rebounds, really gave us energy to find the way to finish this game.“
Wade Baldwin: „It has been a long season. To turn around the program with the year that we had, the transition this team has made from the start has been good. Everybody has been locked in, everybody has been pushing to try to get this goal and I am so happy for the guys today. Lucic came up big tonight and everybody has been playing well all season. We stuck together, coaches, front office, team. it is an exciting time. We like giving our fans a little heart attack sometimes, but we are a greedy team and we are going to fight hard, and we are going to compete, and that has been our M.O. from the start - a lot of those situations come down to the end. Winning close games like this, it is something special and it makes us tough to beat."
Paul Zipser: „Es musste natürlich wieder so ausgehen. Wir waren mit, keine Ahnung wie vielen Punkten, vorne. Ich habe heute viel gespürt vor dem Spiel, während des Spiels. Ich habe gespürt, dass wir es heute fertig machen. Es hat sich nicht so angefühlt wie sonst bei jedem Spiel. Wahnsinn! Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Jetzt gerade brauche ich ein bisschen. Aber später oder morgen begreife ich das. Wild, ein wildes Ding! Das ist einfach ein besonderes Team, das ist einfach ein besonderes Team!“
Marko Pesic, Geschäftsführer FCBB: „Vor der Saison hätte ich dazu gesagt: Du bist verrückt! Aber zu dem Zeitpunkt haben wir dieser Mannschaft eben noch nicht gekannt. Ich hatte heute einfach nur die Sorge, dass diese Gruppe von Menschen mit den Spielern, Trainern, den Physios und allen anderen, die um das Team herumsind, es auf eine unglückliche Art und Weise nicht schaffen könnten. Aber irgendwie haben wir wieder einen Weg gefunden, das Spiel zu gewinnen und Efes hat nach Overtime bei Baskonia gewonnen. Wir sind alle unheimlich stolz, was diese Mannschaft und alle Beteiligten geschafft haben – und das alles ohne unsere tollen Fans. Wir haben wohl die beste Heimbilanz, da kann man sich vorstellen, was hier los wäre, wenn noch 7.000 in der Halle wären. Das ist ein Wehrmutstropfen, aber ich hoffe, die Fans haben es zuhause genossen und feiern ein wenig wie wir. Wir sind noch nicht fertig und in den Playoffs ist immer alles möglich, aber das ist jetzt schon ein historischer Erfolg für unseren Verein.“
Das Spiel:
Die Bayern starteten mit Wade Baldwin, dem kurz vor dem Spiel bereiten Nick Weiler-Babb (Trinchieri: „Er hat mit einem Bein gespielt“), Vladimir Lucic, Paul Zipser und Jalen Reynolds in das historische EuroLeague-Spiel gegen Kaunas. Noch abhängig vom Parallelspiel aus Vitoria spielten die Bayern – angeführt von Center Reynolds - zunächst befreit auf (11:8/5.). Doch auch der Gast, der sich trotz eines Siegs gegen Berlin vergangenen Spieltag aus dem Playoff-Rennen verabschiedet hatte, traf zu Beginn hochprozentig und erwies sich trotz fehlender sportlicher Relevanz als ebenbürtiger Kontrahent - 22:21 für die Litauer.
Keine Mannschaft vermochte sich abzusetzen, die Führung wechselte bis zu einem erfolgreichen Drei-Punkt-Wurf von Lucic quasi ständig (26:24/14.). Doch die Gastgeber konnten ihre Führung nach einem Radosevic-Dreier (!) und Freiwürfen von Baldwin maximal auf fünf Punkte ausbauen (35:33/18.). Mit einem 6:0-Lauf drehten die Gäste die Partie vor der Pause sogar erneut, doch Gist von der Freiwurflinie bescherte den Bayern die knappe 37:36-Pausenführung.
Zur Pause war klar, dass den Münchnern ein Sieg zum sicheren Einzug in die Playoffs genügen würde – die Spieler in der Kabine wussten natürlich Bescheid. Kaunas kam zwar besser aus der Kabine, konnte aber auch nie mehr als vier Punkte davonziehen (46:50/27.). Diesen Vorsprung verteidigten die treffsicheren Gäste (52 % Dreier) bis 100 Sekunden vor dem Schlussabschnitt. Dann eroberten sich die Münchner durch einen 9:2-Lauf und bereits den zweiten Dreier von Radosevic den 57:54-Vorteil vor dem Schlussabschnitt.
Zwei Freiwürfe und ein finaler Block von Lucic!
Das vierte Viertel startete mit schwacher Offense auf beiden Seiten, was aber den Bayern in die Karten spielte. Nur zwei Punkte ließen sie in den ersten fünf Minuten des Schlussviertels zu, die Führung konnten sie dennoch nur auf sieben Punkte ausbauen (63:56/35.) - weshalb sich eine dramatische Schlussphase entwickelte. Nigel Hayes brachte Zalgiris zweieinhalb Minuten vor dem Ende die erneute Führung (65:66/38.). Die inzwischen spürbar nervösen Bayern taten sich schwer, aus dem Spiel eine Antwort zu kreieren, Kaunas baute die Führung mit zwei Freiwürfen weiter aus. Nach einem Lucic-Fehlwurf setzte Routinier Gist am offensiven Brett stark nach und brachte die Bayern mit diesem wichtigen Zeichen wieder bis auf einen Punkt ran (67:68/39.).
Erneut war es Hayes, der den Bayern in der Schlussphase mit zwei Punkten weh tat – wieder war Gist zur Stelle, auch defensiv. Bei einem Punkt Rückstand und noch 24 Sekunden zu spielen, hatte der FCBB den vermeintlich letzten Ballbesitz. Baldwin übernahm Verantwortung, ließ die Uhr bis auf drei Sekunden herunterlaufen und verlor fast den Ball. Doch eine mehrminütige Überprüfung der TV-Bilder entschied letztlich: Bayern-Ball! Sisko fand nach dem Einwurf Lucic, der sofort nach oben ging und beim Zweier-Versuch gefoult wurde. Der Co-Kapitän verwandelte die letzten beiden Würfe der Münchner von der Linie sicher, noch gut zwei Sekunden. Kaunas bekam nach Auszeit den Ball in der Hälfte der Bayern, der Ball kam zu Joffrey Lauvergne, der eng von Radosevic gedeckt wurde und dennoch zum Notwurf kam – aber Lucic war zur Stelle, blockte den Wurf und sorgte für ausgelassenen Jubel.
Foto-Credit: Eirich, Pahnke