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Rummenigge im Interview: „Diesen ‚Luxus‘ leistet sich der FC Bayern“

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„Diesen ‚Luxus‘ leistet sich der FC Bayern“

In seiner aktiven Zeit auf dem Rasen gehörte Karl-Heinz Rummenigge zu den besten Fußballern seiner Generation und erzielte für den FC Bayern 217 Tore – lediglich Gerd Müller (506) traf häufiger. Heute leitet der ehemalige Angreifer den deutschen Rekordmeister und führte diesen als Vorstandschef zur Weltspitze. Im Interview mit dem Club-Magazin „51“ spricht der 63-Jährige über den Wandel der Zeit, seinen möglichen Abschied vom FCB und den Luxus seines Klubs, menschlicher als andere zu handeln.

Das Interview mit Karl-Heinz Rummnigge

Herr Rummenigge, der Saisonausklang war sehr emotional mit dem Abschied von Franck Ribéry, Arjen Robben und Rafinha. Können andere ausländische Spieler wieder so identitätsstiftende Figuren werden?
Karl-Heinz Rummenigge:
„Wir sind an Kontinuität interessiert. Franck Ribéry kam 2007 und wollte schon 2008 weg. Wir hatten unglaubliche Angebote. Aber im Lauf der Jahre wurde Bayern für ihn zur Heimat. Es ist kein Zufall, dass er nach seiner Karriere zurückkehrt. Der FC Barcelona hat den berühmten Slogan „Més que un club“ – „mehr als ein Club“.  Das trifft genauso auf den FC Bayern München zu. Wir pflegen unsere Kultur. Auch in Zukunft werden wir Top-Spieler finden, die im FC Bayern mehr sehen als nur einen Fußballverein. Einer wie Joshua Kimmich macht mir da viel Freude. Er hat den FC Bayern in seinen vier Jahren hier komplett verinnerlicht. Auch ein Niklas Süle wurde in seinem ersten Jahr vom Sonnyboy zum Mann. Er weiß, was es heißt, unser Trikot zu tragen.“

Wie war das damals eigentlich bei Ihnen?
Rummenigge:
„Ich bin 1974 mit zarten 18 Jahren zum FC Bayern gewechselt. Im ersten Training kam ich als Erster auf den Platz und habe mich zunächst in eine Ecke verzogen. Rund 10.000 Zuschauer waren da. Dann erschienen alle frischgebackenen Weltmeister der Reihe nach, als Erster Gerd Müller, als Letzter Franz Beckenbauer. Jedes Mal brandete Riesenbeifall auf. Da dachte ich: „Mamma mia, was ist denn hier los?“ Mein Respekt war riesig. In den ersten zwei Wochen habe ich alle Spieler gesiezt. Bis Gerd Müller zu mir gesagt hat: „Ich bin der Gerd.“ Nach vier Wochen war mir klar: Hier zählen nur Siege, darauf ist der ganze Klub aufgebaut. Das ist die Schule FC Bayern. Wer das nicht verinnerlicht, wird es hier niemals schaffen.“

Was blieb Ihnen von Ihrer Anfangszeit am meisten hängen?
Rummenigge:
„Unter anderem Manager Robert Schwan. Er war knallhart und trotzdem großzügig. Wir hatten mal ein Viertelfinale gegen Eriwan. Es gab 15.000 Mark Prämie. Auf meiner Lohnabrechnung standen nur 3.000 Mark. Ich bin ins Manager-Büro: „Herr Schwan, da ist ein Fehler passiert.“ Da sagte er: „Raus! So schlecht, wie du g‘spielt hast, kannst‘ froh sein, überhaupt 3.000 zu bekommen.“ Danach schoss ich richtig viele Tore. Zwei Monate später bekam ich eine Nachzahlung von 15.000 Mark. Ich ging wieder zum Manager: „Herr Schwan, jetzt habe ich zu viel gekriegt. 15.000 plus 3.000 sind 18.000.“ Da hat er gesagt: „Und bled bist auch noch!“ Schwan war ein sehr ausgeschlafener Manager. Uli Hoeneß, der sein Nachfolger wurde, hat viel von ihm gelernt.“

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Inzwischen fädeln Sie Seite an Seite mit Hoeneß Transfers ein. Die kuriosesten Verhandlungen fanden einst im Wohnzimmer des Klubchefs von Olimpia Asuncion statt, als Sie Roque Santa Cruz aus Paraguay holten, erzählte der Präsident in der April-Ausgabe von „51“.
Rummenigge:
„Ja, aber er hat nicht erzählt, dass es nach der Einigung erst so richtig lustig wurde: Die Verhandlungen hatten sich ewig gezogen, Uli und ich mussten danach zum Flughafen hetzen, um nach Buenos Aires und von dort nach München zu kommen. 20 Minuten vor Abflug sprinten wir also durchs Terminal. Ich bin etwas voraus, da höre ich, ich werde es nie vergessen, wie Uli hinter mir aufschreit. Ich drehe mich um und er sagt: „Muskelriss!“ Dann habe ich mir einen Gepäckwagen geschnappt, unsere Taschen draufgepackt und zu ihm gesagt: „Setz dich drauf!“ Und so sind wir zum Gate gefahren. Aber natürlich kamen wir so zu spät, die Maschine rollte bereits übers Startfeld. Wir haben mit Engelszungen auf die Dame am Schalter eingeredet, und tatsächlich wurde der Flieger zurückbeordert. Als wir einstiegen, haben uns alle böse angeschaut. Aber wir waren happy und haben mit einem Whiskey angestoßen. Uli ist drei Wochen lang gehumpelt.“

Sie leiten seit 17 Jahren einen Klub, der längst wie ein Konzern aufgestellt ist. Bleibt da die Fußballromantik irgendwann auf der Strecke?
Rummenigge:
„Nein, ich bin noch immer Romantiker. Ich wurde neulich gefragt, ob ich während eines Spiels ans Geld denke. Ich war ganz verwundert. Nein, ich denke während eines Spiels ans Spiel. Im Büro interessieren mich die Finanzen, das ist mein Job. Wir können stolz sein, dass wir Jahr für Jahr eine seriöse Finanzierung gewährleisten – und gleichzeitig ein familiärer Verein sind, wie es ihn auf diesem Niveau in einer zunehmend irrationalen Fußballwelt nicht mehr oft gibt. Aber außerhalb des Büros schaue ich Fußball wie früher als Kind in Lippstadt. Ich liebe Fußball. Mein schönster Sonntag ist, wenn ich drei bis vier Spiele im Fernsehen anschaue.“

Wie haben Sie sich in den 17 Jahren verändert?
Rummenigge:
„Ich bin gelassener. Im Herbst nach unserem grotesken 3:3 gegen Düsseldorf war ich emotional geladen – Uli übrigens mindestens eine Stufe über mir. Wir haben diskutiert, was ja normal ist in der Lage: Wir waren Fünfter, so etwas darf sich der FC Bayern nicht erlauben. Dann aber haben wir uns gesagt: Wir fahren jetzt heim, schlafen zwei Nächte drüber und diskutieren am Montag um neun Uhr im Büro weiter. Früher hätten wir uns in so einer Situation eher hochgeschaukelt.“

Jede Ihrer Entscheidungen wird in der Öffentlichkeit diskutiert. Wie geht man damit um? Gerade im vergangenen Herbst sorgte die Pressekonferenz des FC Bayern für viel Häme.
Rummenigge:
„Kritik müssen wir akzeptieren. Das tun wir auch. Diese Pressekonferenz haben wir ein Mal gemacht, sie war ein Fehler, das geben wir ehrlich zu. Für uns ist sie abgehakt, so etwas kommt nie wieder vor. Wenn wir sie jetzt acht Monate später immer noch um die Ohren kriegen, blättere ich aber langsam auch weiter. Es muss ja mal gut sein. Das heißt noch lange nicht, dass wir aus unseren Fehlern nicht lernen. Kritik an sich ist nichts Schlechtes, solange sie sachlich bleibt.“

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Wie sehen Sie die Kritik, Bayerns Umbruch funktioniere nicht?
Rummenigge:
„Wir hätten uns gegen diese Umbruch-Diskussion mehr wehren müssen. Unser Kader hat einen guten Mix. Einen Umbruch kann man nicht nur mit 18-, 19-, 20-Jährigen auf dem Platz schaffen. Und man darf ihn auch nicht in einem Schritt machen, denn dann lädst du den Jungen zu viel Verantwortung auf. Unser Mix war der Vorteil, den wir in der Schlussphase der Saison gegenüber Dortmund hatten. Da hat sich die Erfahrung gewisser Spieler wieder mal in Titeln ausgezahlt.“

Wie schwer ist es, als Chef hart zu sein – und dennoch menschlich? Zum Saisonende bat James Sie, ihn gehen zu lassen. Aus finanziellen Gründen hätte man die Kaufoption ziehen müssen.
Rummenigge:
„Ja, aber der Mensch ist bei uns immer der wichtigste Faktor. Wir mussten das akzeptieren. Ich vermute, dass andere Vereine bei sowas anders ticken. Leider ist für viele Fußball ein Geschäft. Aber Fußball darf kein Menschenhandel sein. Es ist nicht der Stil des FC Bayern, aus einem Spieler ein Geschäft zu machen. Philosophie ist so viel wert, wie die Personen, die dahinterstehen. Wir können hier nicht immer über Werte sprechen und dann so ein Ding abziehen. Diesen „Luxus“ leistet sich der FC Bayern: Anders zu sein als viele andere. Menschlicher, ehrlicher. Die meisten Spieler zahlen das zurück. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass der Wohlfühlfaktor hier unbestritten hoch ist.“

Was sollen die Leute mal über Sie sagen?
Ich muss nicht gelobt werden. Aber Respekt ist mir wichtig. Als Spieler, da willst du, dass dir die Fans zujubeln. Wenn du ein Tor schießt in einem Stadion mit 70.000 Menschen, das ist eine Gefühlsexplosion. Ich werde nie vergessen, wie stolz ich damals nach Hause gegangen bin, als ich mein erstes Tor für den FC Bayern geschossen habe. Ich möchte meine Arbeit hinter den Kulissen jetzt gut machen, keine Frage. Aber die Fans werden am Ende immer mehr die Spieler als die Funktionäre in Erinnerung behalten. Und das ist auch vollkommen richtig so.“

Denken Sie schon an Ihren Abschied 2021?
Rummenigge:
„Nein, wir wollen ja noch einiges bewirken. Ich finde wichtig, dass man bereit ist, etwas in die Hände von Jüngeren zu geben. Das wird jetzt mit Oliver Kahn passieren. Ich habe mich nie für unentbehrlich gehalten. Als Franz Beckenbauer 1977 nach New York ging, waren alle der Meinung: Jetzt geht der Klub unter. Einige Monate war eine komische Stimmung. Aber dann wurde alles neu entwickelt. Seitdem weiß ich: Beim FC Bayern ist jeder ersetzbar.“

Sind diese zweieinhalb Jahre bis zum Abschied nun Ihre wichtigste Zeit?
Rummenigge:
„Wir haben beim FC Bayern immer die höchsten Ansprüche. Ich möchte mich gerne durchs große Tor verabschieden. Gekommen bin ich durchs kleine, fast reingeschlichen habe ich mich damals, so ehrfürchtig war ich. Ich werde dem FC Bayern immer dankbar sein, dass er mir diesen Posten anvertraut hat. Und irgendwo werde ich auch wieder ehrfürchtig gehen. Weil es einfach ein Verein ist, der mir als junger Bursche genauso imponiert wie heute.“

Das komplette Interview können Sie in der aktuellen Ausgabe von „51“ lesen. Darin spricht Rummenigge unter anderem noch über die Win-win-win-Situation nach seinem Wechsel zu Inter Mailand, die TV-Rechte der Bundesliga und erklärt, warum hohe Transfereinnahmen nicht alles sind. Außerdem erklärt er sein spezielles Ritual mit dem „finale dahoam“, lässt das Triple 2013 noch einmal Revue passieren und schätzt ein, wo der deutsche Fußball aktuell im internationalen Vergleich steht.

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