© Fotos: Magdalena Jooss
552 Mal lief Klaus Augenthaler für den FC Bayern auf und hat damit seinen Platz in der Hall of Fame des deutschen Rekordmeisters sicher. An diesem Montag wird die Vereinslegende 65 Jahre alt. Anlässlich seines Jubiläums sprach der Weltmeister von 1990 im „51“-Interview über Heimatverbundenheit und seine Reisen für und mit dem FC Bayern.
Das Interview mit Klaus Augenthaler
Herr Augenthaler, Sie leben am Ammersee. Welche Bedeutung hat Wasser für Sie?
„Ich bin in Vilshofen aufgewachsen, dort wo die Vils in die Donau mündet. Das hat mich geprägt. In den Ferien bin ich mehr oder weniger nur am Wasser gewesen. Der Vater eines Freundes war Berufsfischer. Wir haben im Garten gezeltet und um vier, fünf Uhr früh sind wir mit dem Außenborder rausgefahren, um Netze auszulegen. Das Fischen ist mir geblieben.“
Den Niederbayern hat man immer gehört…
„… und in meiner Anfangszeit in München hat mich nicht jeder verstanden (lacht). Der Dialekt, mit dem ich aufgewachsen bin, ist auch wirklich hart. In meinem ersten Trainingslager war ich mit Jupp Kapellmann auf dem Zimmer. Der kam aus Nordrhein-Westfalen und meinte zu mir: ‚Lern erst mal Deutsch.‘ Ich habe mich dann bemüht, mich verständlicher auszudrücken. Vor Kurzem hatte ich ein schönes Erlebnis im Tierpark. Da habe ich an allen Ecken Menschen Niederbayerisch sprechen gehört. Da kamen gleich Heimatgefühle auf.“
Thomas Müller hat sich nach der WM 2014 erst mal eine Leberkässemmel gekauft. „Dann war ich wieder daheim“, hat er gesagt. Wann fühlen Sie sich nach einer Woche in Brasilien wieder zu Hause?
„Sobald ich am Münchner Flughafen lande und bayerischen Boden unter mir habe. Das ging mir schon als Spieler so und auch später, als ich Trainer in Wolfsburg oder Leverkusen war. Ich muss dazusagen: Egal, wo in der Welt ich war, überall waren die Menschen freundlich, überall habe ich schöne Dinge gesehen - nur: München ist einfach München, Bayern ist Bayern. Hier gehöre ich hin.“
Was ist hier anders?
„Die Lebensqualität. Ich finde das Leben in Bayern gemütlicher, weniger hektisch. Selbst wenn ich im Stau stehe, fühlt es sich hier angenehmer an als woanders. Geht’s guad, ist’s guad, geht’s ned guad, macht’s auch nix. Man muss warten können, sagt man in Bayern.“
Wann haben Sie gemerkt, dass die Welt größer ist als Niederbayern?
„Von der großen weiten Welt habe ich als Erstes mit der Jugendnationalmannschaft etwas gesehen. Wir waren in Schweden, in Dänemark… und einmal bei einem Turnier in Duschanbe, fast in Afghanistan. Dort hatte es an einem Tag 25 Grad, am nächsten lagen 15 Zentimeter Schnee. Es war meine erste große Flugreise. Erst nach Moskau und dann noch vier Stunden weiter mit einer Propellermaschine. Alles hat gewackelt, vor mir saß ein Mann, der Hühner dabei hatte. Mir war so schlecht (lacht).“
Für den FC Bayern Youth Cup und den World Squad waren Sie in Brasilien, Mexiko, Thailand, China, Nigeria… Welche Eindrücke bringen Sie mit nach Hause?
„Ich bin immer wieder erschüttert, unter welchen Bedingungen viel zu viele Menschen leben müssen. In Mumbai waren wir in dem Viertel, in dem der Film ‚Slumdog Millionär‘ gedreht worden war. Wir durften bei einer Familie ins Haus oder besser gesagt: Hütte – das vergisst man nie wieder. Oder in China: Da sind wir mit dem Hochgeschwindigkeitszug durch das Land gefahren und haben die Reisbauern gesehen, arme alte Männer und Frauen – und dann kommst du in riesige Städte, wo zehn, zwanzig Millionen Menschen leben und durchleuchtet werden. Überall hängen Kameras."
Was machen diese Erfahrungen mit Ihnen?
„Wenn du nach zwei, drei Wochen heimkommst, bist du demütig. Und du siehst, wie gut es uns geht. Ich denke mir oft: Warum sich über jeden kleinen Schmarrn aufregen? Sei froh, wenn du jeden Morgen gesund aufstehst, auch wenn das eine oder andere wehtut. Aber eineinhalb Wochen später schimpfe ich dann doch wieder, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin. So sind wir Menschen eben.“
Wie geht es Ihnen, wenn Sie sehen, wie ungerecht es auf der Welt zugeht?
„Man fühlt sich hilflos. In Afrika verhungern jedes Jahr zwei Millionen Kinder, hat man mir gesagt. Dabei wird viel Geld und Essen gespendet, aber wegen der Korruption kommt davon nur ein Bruchteil bei den Menschen an.“
Auf dem Fußballplatz war es viel einfacher, sich zu wehren. Da haben Sie gerne mal Zeichen gesetzt. Legendär ist Ihre Stier-Geste im Halbfinale des Landesmeistercups gegen Real Madrid 1987.
„Ein Spanier hat mich auf Brusthöhe weggegrätscht. Das war heftig. Als ich mich aufrappelte, habe ich den Madrilenen die Hörner gezeigt. Ich wollte sagen: Wir sind hier nicht beim Stierkampf.“
Wie kam die Botschaft in Madrid an?
„Im Rückspiel im Bernabéu gab es einen schönen Empfang. Es flogen Eisenstangen auf den Rasen. Im Spiel habe ich Rot gesehen.“
Nach einer Watschn für Hugo Sanchez.
„Ich habe ihn ja gar nicht g’scheid erwischt (lacht). Es war nur ein Datscher auf den Hinterkopf. Aber der Linienrichter hat es gesehen. Rote Karte. Ich dachte: Mist! Wir lagen 0:1 hinten. Das Hinspiel hatten wir zwar 4:1 gewonnen, aber bei einem 0:3 wären wir draußen gewesen. Und es war noch eine Stunde zu spielen. Ich musste in die Kabine, habe nichts mehr vom Spiel gesehen. Ganz allein saß ich da, habe alle fünf Minuten die 100.000 im Stadion aufschreien gehört. Ich bin fast verrückt geworden. Irgendwann habe ich alle Duschen aufgedreht, um nichts mehr zu hören.“
Es hat geklappt mit dem Finaleinzug, das zweite Landesmeistercup-Endspiel Ihrer Karriere – und wieder hat es nicht gereicht. Trauern Sie dem Henkelpott noch hinterher?
„Ich jammere jetzt nicht, wenn ich die Titel auf meiner Autogrammkarte sehe. Aber natürlich wäre es nicht schlecht, wenn noch ein Europapokalsieg draufstehen würde. Das Finale 1982 gegen Aston Villa war eines meiner besten Spiele, aber ausgerechnet mein Gegenspieler macht das entscheidende Tor. Gegen Porto 1987 war ich gesperrt und musste eh an der Bandscheibe operiert werden. Alles in allem bin ich mit mir im Reinen. Ich habe viele Titel und Endspiele erlebt und meine Zeit als Spieler in vollen Zügen genossen.“
War der WM-Titel 1990 ein Trost für die verpassten Europapokale?
„Was heißt Trost? Ich war damals fast 33 und wusste, dass das mein letztes Turnier war. Und dann wurden wir Weltmeister! Mehr kann man nicht erreichen.“
Warum sind Sie später Trainer geworden?
„Als ich mit dem Spielen aufhörte, hatte ich Job-Angebote, unter anderem von adidas. Aber ich habe mich gefragt: Ist das deine Welt? Was brauchst du eigentlich? Und mir war schnell klar: Ich brauche den Rasen! Ich bin Bayern heute noch dankbar, dass der Verein mir ermöglichte, den Trainerschein zu machen. Als ich damit fertig war, hat mich Fritz Walter aus Kaiserslautern angerufen und gesagt, dass sie mich als Trainer wollten. Ich dachte: Lautern? Jetzt? Gleich als Cheftrainer? Ich habe mich fast nicht getraut, Nein zu sagen.“
Sie sind in München geblieben.
„Ich habe das so gesehen: Wenn du mit der Lehre fertig bist, kannst du auch nicht gleich den Meisterbrief machen. Ich wollte erst noch lernen, Erfahrungen sammeln. Also bin ich noch fünf Jahre Co-Trainer bei Bayern geblieben. Erst dann habe ich mich reif gefühlt.“
1997 sind Sie nach Graz gegangen, dann nach Nürnberg, Leverkusen, Wolfsburg. Brauchen Sie heute immer noch den Rasen?
„Ja, leider (lacht). Denn inzwischen zwickt es überall. Ich habe eine künstliche Hüfte, keinen Knorpel mehr im linken Knie – aber dann spiele ich doch wieder 15, 20 Minuten mit den Legenden. Oder wenn wir mit dem World Squad trainieren, spiele ich auch im Kreis mit. In Thailand waren wir bei 40 Grad drei Stunden auf dem Platz, danach war ich zwei Tage fix und fertig. Aber wenn ich einen Ball sehe, muss ich halt draufhauen – das geht einfach nicht weg.“
Sie haben einmal gesagt, als Spieler hätten Sie nur rot-weiß gedacht…
„… und das ist immer noch so. Ich bin nach wie vor froh und dankbar, dass ich bei Bayern angestellt bin. Das World Squad-Projekt in den letzten beiden Jahren war eine einmalige Erfahrung. Ich arbeite gern mit jungen Spielern. Es interessiert mich auch, die Hintergründe der Jungs kennenzulernen. Viele kommen aus schwierigen Verhältnissen.“
Jetzt steht Ihr 65. Geburtstag an. Gibt es eine große Feier?
„Ich glaube nicht, dass ich groß feiern werde. Ich kann mich noch gut erinnern: Als mein Großvater 56, 57 war, war er für mich als Kind ein alter Mann – und ich werde jetzt 65! Ich möchte alt werden, aber nur wenn ich im Kopf fit bleibe und nicht gebrechlich bin. Das ist mein Wunsch. Udo Jürgens hat gesungen: ‚Mit 66 Jahren fängt das Leben an‘ – das nehme ich mir jetzt zum Motto. Und ich werde ja noch nicht mal 66.“
Das vollständige Interview mit Klaus Augenthaler gibt es in der September-Ausgabe des „51“ – das Clubmagazin des FC Bayern:
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