Es ist eine Mammutaufgabe historischen Ausmaßes, die den FC Bayern am Mittwochabend in der Champions League erwartet: Eine Mammutaufgabe, weil es gegen Manchester City, eine der besten Mannschaften der Welt, ein 0:3 aus dem Hinspiel wettzumachen gilt. Historisch, da es selbst in der langen und einmalig erfolgreichen Geschichte des deutschen Rekordmeisters noch keine vergleichbare Aufholjagd gab – noch!
„Wir wissen, dass im Fußball schon ganz andere Dinge passiert sind“, sagte Thomas Müller, nachdem Teil eins des Viertelfinals im City of Manchester Stadium abgepfiffen worden war. Die Ausgangslage sei natürlich „schwierig“, aber „wir behalten den Kopf oben“. Schließlich dürfte auch dem Ur-Bayern klar sein, dass – wenn die richtigen Dinge zusammenkommen – auch das Comeback gegen City möglich ist. Die einzelnen Puzzleteile dafür sind in der Vergangenheit des FCB durchaus zu finden.
Ein frühes Tor als Grundlage
Gelingt es den Münchnern beispielsweise im Rückspiel früh, die Partie in die richtigen Bahnen zu lenken, wächst auch die Hoffnung auf das Weiterkommen. Und in Sachen frühe Tore sind die Bayern immer noch die Instanz in der Königsklasse: Im März 2007 ging der Rekordmeister mit der Hypothek einer 2:3-Niederlage bei Real Madrid ins Rückspiel in der bayerischen Landeshauptstadt. Doch die Hausherren waren von Beginn an gewillt, das Hinspiel-Ergebnis zu drehen und wurden belohnt. Unmittelbar nach dem Anstoß der Madrilenen hatte der heutige Sportvorstand Hasan Salihamidžić bereits den Ball erobert und blitzsauber auf Roy Makaay weitergeleitet. Der Niederländer traf nach nur 10,12 Sekunden zum 1:0 - das bis heute schnellste Tor der Wettbewerbsgeschichte. Danach lief es für die Heimelf, die sich am Ende mit einem 2:1-Sieg für die nächste Runde qualifizierte.
„Die Chancen haben sich nicht verbessert, aber wir wissen, dass im Fußball schon ganz andere Dinge passiert sind. Wir behalten den Kopf oben.”
Thomas Müller nach dem Hinspiel
Auch im Achtelfinal-Rückspiel der Vorsaison legten die Bayern los wie die Feuerwehr: Etwas mehr als 22 Minuten waren gespielt, da hatte Robert Lewandowski mit dem bis dato frühesten Hattrick der Champions League-Geschichte das 1:1 aus dem Hinspiel beim FC Salzburg vergessen gemacht. Letztlich gewannen die Münchner mit 7:1 und zeigten, was möglich ist, wenn sie erst einmal ins Rollen kommen. Das musste so auch bereits der FC Basel erfahren, dessen Hoffnungen aufs Viertelfinale im März 2012 nach dem 1:0 im Hinspiel in der Schweiz durch ein 0:7 in München jäh zunichtegemacht wurden.
Faktor Allianz Arena
Im Rückspiel vor den eigenen Fans aufzulaufen, ist auch ein Faktor, der am Mittwoch für Optimismus sorgt: „Wir spielen zuhause und werden unsere Chancen suchen“, forderte Sportvorstand Salihamidžić noch in Manchester. „In der Allianz Arena ist alles möglich“, brachte es Leon Goretzka auf den Punkt. Die jüngste Bilanz stützt diese These: Von den 18 Champions League-Heimspielen seit Beginn der Saison 2019/20 wurden 16 gewonnen, ganze acht Mal sogar mit einem Ergebnis, das am Mittwoch zumindest für die Verlängerung reichen würde. Und: Ein Gegentor sahen die Fans im Heimstadion des Rekordmeisters in der laufenden CL-Saison noch nicht – die Basis in der Defensive steht also.
„Niemals aufgeben!“
Zu welchen Höchstleistungen die Bayern-Anhänger ihre Mannschaft im eigenen Wohnzimmer treiben können, zeigte sich auch sinnbildlich im Viertelfinale der Saison 2014/15. „NIEMALS AUFGEBEN“, malten die Fans mit einer beeindruckenden Choreografie in die Südkurve und bewiesen ihrer Mannschaft so, dass sie trotz der 1:3-Niederlage im Hinspiel beim FC Porto weiter fest ans Weiterkommen glaubten. Von dieser Unterstützung beflügelt, fegten die Bayern im eigenen Stadion mit 6:1 über die Portugiesen hinweg und zogen souverän ins Halbfinale ein.
Niemals aufzugeben, egal wie aussichtslos die Ausgangslage ist, ist seit jeher fest in der Vereins-DNA verankert. Exemplarisch dafür steht das Wahnsinnsspiel in Getafe im UEFA-Cup 2008, als die Bayern erst durch ein Last-Minute-Tor die Verlängerung erzwingen konnten und dort dann auch einen erneuten Zwei-Tore-Rückstand zum Erreichen des Halbfinales egalisieren konnten. Oder 2010 bei Manchester United, eine der vielleicht „schönsten Niederlagen der Vereinsgeschichte“ (Franz Beckenbauer), als die Bayern trotz zwischenzeitlichem Drei-Tore-Rückstands noch auf 2:3 verkürzen und so die nötigen Auswärtstore fürs Weiterkommen in der Königsklasse nach dem 2:1-Hinspielsieg erzielen konnten. Auch die elektrisierende Schlussphase im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League 2015/16 gegen Juventus ist einer dieser Belege dafür, wozu die Münchner vor heimischem Publikum fähig sind. Nach einem 2:2 im Hinspiel und einem frühen 0:2-Rückstand glich der FCB durch späte Tore von Robert Lewandowski und Müller noch aus und siegte letztlich mit 4:2 nach Verlängerung.
„Es ist erst vorbei, wenn wir unter der Dusche sind“
„Es ist erst vorbei, wenn wir nach dem Rückspiel unter der Dusche stehen“, erklärte daher auch Chefcoach Thomas Tuchel vor einer knappen Woche kämpferisch. Das hat man auch in Manchester registriert: „Bayern hat vor allem zu Hause die Qualität in der Mannschaft, gegen jeden Gegner mehrere Tore zu erzielen“, warnte İlkay Gündoğan, deutscher Nationalspieler in den Reihen der Cityzens, in einem Interview und verwies auf all die verrückten Spiele, die sich schon in der K.o.-Phase des wichtigsten Vereinswettbewerbs Europas zugetragen hatten. „Es gab etliche Comebacks, mit denen absolut niemand gerechnet hatte.“
Vorbilder Real und Liverpool
Der 32-Jährige musste das vor nicht einmal einem Jahr am eigenen Leib erfahren. Im Halbfinale gegen Real Madrid stand Man City nach einem 4:3-Sieg im Hinspiel und einer 1:0-Führung im Rückspiel kurz vor Ende der regulären Spielzeit mit eindreiviertel Beinen im Endspiel. Doch die Königlichen retteten sich durch zwei Treffer in der Nachspielzeit in die Verlängerung, in der sie die geschockten Engländer durch ein weiteres Tor niederrangen.
In ähnlicher Situation, wie es die Bayern heute sind, gelang auch dem FC Liverpool vor fünf Jahren noch der Turnaround: Als bislang letztes Team (und viertes überhaupt) erreichten die Reds trotz eines Drei-Tore-Rückstands noch die nächste Runde. Die Engländer bezwangen damals den FC Barcelona im Halbfinale nach einem 0:3 im Camp Nou noch mit 4:0 im eigenen Stadion – genau der Spielverlauf also, den jeder, der es mit dem FC Bayern hält, am Mittwoch nur allzu gern unterschreiben würde. Es bleibt weiter alles offen, oder wie es Thomas Müller nannte: „Wir werden sehen, was der Fußballgott sonst noch so bereithält.“
Hier gibt es die Fakten zum Rückspiel:
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