Seit 2018 steht er dem FC Bayern als Aufsichtsrat zur Seite – im Sommer wird Michael Diederich neuer stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Im „51“-Interview erklärt der Nachfolger von Jan-Christian Dreesen, wie er die Aufgaben einer Führungskraft definiert, wie er über 100-Millionen-Transfers denkt – und warum ihn immer „eine Art konstruktive Ungeduld“ antreibt.
Das Interview mit Michael Diederich
Viele Menschen fragen sich: Warum wechselt jemand von einer Großbank zum FC Bayern?
„Nun, ich war mit Leib und Seele mehr als 20 Jahre Banker – aber mein Herz schlug bereits als Zehnjähriger für den FC Bayern, obwohl ich in Koblenz aufgewachsen bin. Gerd Müller hat mich fasziniert – jeder von uns wollte wie er sein. Es gibt viele tolle Spiele, an die ich gern zurückdenke, zum Beispiel der Sieg im Champions League-Finale 2001 in Mailand mit den drei gehaltenen Elfmetern von Oliver Kahn. Seit 2018 stehe ich dem Club nun im Aufsichtsrat mit Rat und Tat zur Seite, und diese neue Rolle im Vorstand ist jetzt die Erfüllung eines Kindheitstraums. Sie bedeutet für mich eine große Freude und Ehre.“
Bei der UniCredit gab es mit dem Vorstandssprecher Michael Diederich an der Spitze einen Kulturwandel: Ihnen eilt der Ruf voraus, nahbar zu sein…
„Ja, weil mir der unmittelbare Kontakt wichtig ist. An meinem ersten Tag als Vorstand wollte man mich damals in ein Einzelbüro setzen. Das habe ich abgelehnt und stattdessen einen Schreibtisch mitten im Handelsraum bezogen, weil ich dort den Pulsschlag des Teams fühlen und ein echter Teil davon sein konnte. Ich musste nie sagen, dass meine Tür offen ist – ich hatte ja gar keine.“
Sie haben mit der HypoVereinsbank ein Unternehmen mit einer Bilanzsumme von 300 Milliarden Euro geführt. Der FC Bayern macht 700 Millionen Euro Jahresumsatz. Ist das jetzt ein einfacherer Job?
„Es wäre nicht richtig, Komplexität oder Schwierigkeitsgrad an der Umsatzgröße festzumachen. Jedes Unternehmen hat seine Besonderheiten. Ich kenne den FC Bayern sehr gut und weiß genau, vor welchen Herausforderungen der Fußball steht – und wie die Konkurrenz alles versucht, unserem Verein seine Spitzenposition streitig zu machen. Grundsätzlich bin ich kein Typ, der die Dinge unterschätzt. Ich habe in meinem Leben zu viele um mich herum scheitern gesehen, weil sie dachten, sie könnten alles mit links lösen. Wir reden hier vom FC Bayern – von den höchsten Ansprüchen!“
Welche Strategie werden Sie bei dieser Aufgabe verfolgen?
„Den FC Bayern zeichnet aus, den sportlichen Erfolg mit wirtschaftlicher Vernunft stets in Einklang zu halten. Das, was alles erreicht wurde, muss auch die Messlatte für die Zukunft sein. Ich werde mich mit neuen Ideen einbringen.“
„Diese neue Rolle im Vorstand ist jetzt die Erfüllung eines Kindheitstraums. Sie bedeutet für mich eine große Freude und Ehre.”
Michael Diederich
Wird ein 100-Millionen-Euro-Transfer mit dem Finanzchef Diederich beim FC Bayern möglich sein?
„Es geht hier um zwei Aspekte: Können wir uns einen solchen Transfer leisten – und wollen wir uns einen solchen Transfer leisten? Grundsätzlich schließe ich im Leben nichts aus. Aber ich wäre immer der Mahner, der sagt: Freunde, Achtung! Wir müssen auch den zweiten Teil der Waage, unsere Wirtschaftlichkeit, im Blick behalten. In erster Linie ist Hasan Salihamidžić für Transfers zuständig, aber so eine Tragweite würden wir natürlich gemeinsam im Vorstand und im Aufsichtsrat intensiv diskutieren. Ob wir einen solchen Transfer letztlich umsetzen wollen, hängt – übrigens in jeder Größenordnung – auch immer primär davon ab, ob der Spieler ins Team und zu uns als Club passt.“
Wie viel Risiko darf man, muss man als guter Manager gehen?
„Risiko darf man nicht scheuen – aber es muss kalkulierbar, kontrollierbar sein. Entscheidungen haben ab einem gewissen Level nun mal gewisse Risiken in sich. Es wird immer mal Weggabelungen geben, an denen man überlegen muss, was und wem man die Vorfahrt gibt. Aber wenn wir aus unserer wirtschaftlichen Balance geraten würden, würde uns ein Großteil unseres Alleinstellungsmerkmals abhanden kommen. Im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain haben wir es mit den teuersten Fußballern der Welt zu tun bekommen – und uns durchgesetzt. Im Fußball geht es um die Mannschaft, den Spirit und den Teamgeist. Auch ich, der sein Berufsleben in einer Bank verbracht hat, kann sagen: Geld allein schießt keine Tore. Und das ist gut so.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat Sie einmal als „einen neuen Typus Banker“ beschrieben. Bekommt der FC Bayern einen neuen Typus Vorstand?
„Viele Menschen haben ein bestimmtes Bild von einem Bankmanager im Kopf. Aber mir liegt nichts an Klischees. Weil ich innerhalb der Bank groß geworden bin, wusste ich immer, zu was wir in der Lage sind, wenn wir als Team konstruktiv zusammen agieren. Als Führungskraft muss ich den Kolleginnen und Kollegen Vertrauen geben. Ich bin jemand, der ermuntert und unterstützt – aber auch kritisch und selbstkritisch Dinge hinterfragt, wenn sie nicht laufen.“
In dem Zeitungsartikel wird Ihnen neben Nahbarkeit zugeschrieben, dass Sie gewissenhaft und respektvoll sind …
„Ich möchte immer verstehen, warum wir was machen und was man verbessern kann. Respektvoll und kommunikativ zu sein, sind für mich ureigenste Eigenschaften einer Führungskraft. Die Zeiten, in denen einer oben auf der Kanzel irgendetwas ausruft, sind in unserer Arbeitswelt vorbei. Wenn du möchtest, dass alle für ein gemeinsames Ziel brennen und in eine Richtung laufen, musst du sie von dir überzeugen und mitnehmen. Zum Thema Gewissenhaftigkeit: Ich lasse nicht locker, wenn mir etwas wichtig ist. Da bin ich hin und wieder etwas anstrengend – wobei es mir immer um die Sache geht.“
Ihr Karriereweg lief vom Trainee bis an die Konzernspitze – wie wichtig ist Ihnen Kontinuität?
„Mein Sternzeichen ist Jungfrau. Denen sagt man nach, nicht besonders sprunghaft und spontan zu sein. Mir waren Kontinuität und Loyalität immer von Bedeutung. Nicht, weil ich Veränderungen scheue. Aber ich glaube, du brauchst im Leben ein paar Pfeiler, an denen du dich orientieren kannst – insbesondere, wenn es mal schwierig oder herausfordernd wird. Man sollte immer Kraft aus seinen Wurzeln ziehen können. Konstanz zeichnet auch den FC Bayern aus.“
„Man sollte immer Kraft aus seinen Wurzeln ziehen können. Konstanz zeichnet auch den FC Bayern aus.”
Michael Diederich
Wie haben Sie Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić früher auf dem Platz wahrgenommen – und wie sehen Sie sie heute?
„Beide waren als Spieler hochprofessionell und sind durch unfassbaren Einsatz herausgestochen. Genau diese Attribute charakterisieren sie auch heute in ihren neuen Aufgaben. Diese Hingabe, diese Energie, dieser Einsatz für den FC Bayern – das sind Persönlichkeiten, die den Club in die Zukunft führen. Ich freue mich sehr auf unsere Zusammenarbeit, auch mit unserem Marketingvorstand Andreas Jung. Uns alle verbindet ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis.“
Das Fachmagazin „Börse am Sonntag“ bezeichnet Sie als „Teamplayer unter den Spitzenbankern“ …
„Weil ich fest an die kreative Kraft innerhalb eines Teams glaube. Übrigens je heterogener, desto leistungsfähiger. Wenn du als Team zusammenhältst, bist du in der Lage, Berge zu versetzen. Mich persönlich treibt auch eine Art konstruktive Ungeduld: Du musst immer wieder innehalten und dich fragen: Was können wir verbessern, was können wir gemeinsam anpacken, um noch besser zu werden?“
In Ihrem ersten Jahr bei der UniCredit hat sich der Gewinn verdreifacht, zudem war Ihr Leitmotiv, innere Kräfte zu mobilisieren. Klingt nach gelebtem „Mia san mia“ …
„Du kannst dir die Situation, in der du agierst, nicht immer aussuchen – aber du kannst dir aussuchen, wie du damit umgehst. Ich bin jemand, der Gläser lieber halb voll als halb leer sieht. Das lebe ich als Führungskraft auch vor.“
Die Pandemie hat die Bankenwelt erschüttert – und auch die Fußballwelt. Ist die Krise jetzt überwunden?
„Die Folgen der Pandemie werden noch lange nachwirken – und von einem Ende der Krisen kann leider keine Rede sein: Wir haben einen Krieg mitten in Europa, eine Energie-, eine Klima-, eine Vertrauenskrise. Mehr denn je müssen wir der Zukunft mit Zuversicht und guten Ideen begegnen. Wir müssen uns fragen: Was macht uns aus? Welche Lösungen finden wir?“
Sind Sie ein Bauch- oder Kopfmensch, und gibt es da bei Ihnen eine berufliche wie private Unterscheidung?
„Ich glaube, ich bin ein starker Kopfmensch. Aber ich versuche immer, auch auf meinen Bauch zu hören. Herausforderungen analysiere ich primär im Kopf – das gilt beruflich wie privat.“
In Ihrer Freizeit machen Sie Yoga – hilft Ihnen das für Ihr Berufsleben?
„Ich mache Yoga, treibe aber auch anderen Sport, weil es mir für meinen Beruf hilft, mich und meine Fitness in der Balance zu halten. Sport ist ein Ausgleich, um den Kopf frei zu bekommen und abzuschalten. Danach fällt es mir leichter, kreativ zu sein. Zwei-, drei-, viermal die Woche versuche ich, Sport zu machen. Ich probiere mich im Golfen, und ich laufe regelmäßig. Ich laufe wesentlich besser, als ich Golf spiele.“
Herbert Hainer joggt auch leidenschaftlich. Wird man Sie beide künftig in der Mittagspause um die Säbener Straße laufen sehen, für einen Austausch fern vom Schreibtisch?
(lächelt) „Da müsste ich mich ganz schön anstrengen, weil Herbert, der auch gerne in den Bergen unterwegs ist, eine super Ausdauer hat. Trotzdem wäre es mal eine nette Idee, mit ihm ein paar Runden ums Vereinsgelände zu drehen.“
Was werden für den FC Bayern die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren sein?
„Die Herausforderungen für den Fußball generell sind vielschichtig – vom Investorenthema über Digitalisierung bis hin zur Nachhaltigkeit, die immer wichtiger wird. Auf den Sport kommt eine ganze Menge zu, was in den nächsten Jahren viel verändern wird. 50+1 ist auch ein großes Thema. Meine Meinung ist, dass es nicht richtig ist, dogmatisch daran festzuhalten. Jeder Verein sollte das selbst entscheiden können – und dabei seine Fans einbeziehen.“
„Die Herausforderungen für den Fußball generell sind vielschichtig – vom Investorenthema über Digitalisierung bis hin zur Nachhaltigkeit, die immer wichtiger wird. Auf den Sport kommt eine ganze Menge zu, was in den nächsten Jahren viel verändern wird.”
Michael Diederich
Wie viel Regulierung braucht die Fußballbranche?
„Der Baukasten für Regulierung ist ja schon da. Es wird nun darauf ankommen, dass das Financial Sustainability auch konsequent eingehalten wird. Die UEFA muss ihrer Kontrollfunktion nachkommen und darf bei Sanktionen auch keinen Halt vor großen Namen machen.“
Der FC Bayern hat neulich die Schallmauer von 300.000 Mitgliedern durchbrochen. Was bedeutet das für Sie?
„Dass wir eine große Verantwortung in diesem Club haben. Die Fans und Mitglieder sind unsere wichtigste Säule. Bei unserer Veranstaltung zur Erinnerungskultur neulich gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde habe ich eine Gruppe Fans kennengelernt, die extra nach dem Spiel für unseren Holocaust-Gedenktag über Nacht in München geblieben sind. Ich fand das großartig. Es zeigt, dass unsere Fans auch ein großes Interesse an gesellschaftlichen Themen haben. Ich denke, der FC Bayern kann sehr stolz auf seine riesige Fangemeinde sein.“
Jan-Christian Dreesen hat diesen Posten zehn Jahre ausgefüllt. Wo sind Sie in zehn Jahren?
„Jan übergibt mir ein gut bestelltes Haus. Er hat einen super Job gemacht. Mein Ziel ist es, diese Erfolgsgeschichte nahtlos fortzusetzen – mit Open End.“ (lächelt)
Wie belohnen Sie sich nach Erfolg?
„Mit einem guten Stück Schokolade.“
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des FC Bayern Mitgliedermagazins „51“ erschienen.
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