Vor zehn Jahren schoss Arjen Robben den FC Bayern zum Champions League-Titel. Heute kocht „Mr. Wembley“ Risotto für seine Kinder, trainiert ein Jugendteam – und fühlt sich fit wie nie. „51“ besuchte ihn zu Hause in Groningen.
Das Flutlicht macht, was es will. Mal geht es an, mal aus, doch unten auf dem Kunstrasenplatz interessiert das niemanden. 17 Jungs jagen in der Dämmerung dem Ball hinterher. Es ist eine Szene, wie sie jeden Tag bei Amateurclubs zu beobachten ist. Nur dass hier, auf dem hintersten Platz von Be Quick 1887 in Groningen, jemand die Anweisungen gibt, den man in der Welt des Amateurfußballs nicht erwartet: Arjen Robben. Der 39-Jährige hat in den Niederlanden, in England, Spanien und Deutschland Meisterschaften gewonnen, vor zehn Jahren schoss er den FC Bayern zum Champions League-Titel. Jetzt steht er auf einem abgespielten Kunstrasenplatz, auf seinem Rücken ist das Wort „Trainer“ zu lesen. „Lekker, Owen!“, ruft er. Oder: „Fantastisch, Jesper!“ Und: „Oh, wenn du den richtig triffst …!“ Seine Stimme fegt über den Platz, so wie er früher selbst gespielt hat: mit Wumms.
Dreimal pro Woche trainiert Robben die U15 von Be Quick. Gerade geht es beim Fußballtennis hoch her. Man hört die Jungs laut lachen und diskutieren, ob der Ball noch im Feld war oder nicht. „Jetzt ein bisschen Spaß, dann noch mal zehn Minuten seriös“, sagt der Trainer, während er die Leibchen für die nächste Übung vom Spielfeldrand holt. An der Säbener Straße in München erzählt man sich bis heute halb staunend, halb ehrfurchtsvoll Geschichten von Robbens Trainingseifer. Wie sein T-Shirt schon vor dem eigentlichen Training komplett verschwitzt war. Wie die Fensterscheiben der Büros wackelten, wenn er mal neben das Tor schoss. Da darf man schon mal nachfragen: Muss man sich Sorgen machen um die Jungs, die er trainiert? Robben grinst. „Nein, nein“, beschwichtigt er, „du kannst nicht erwarten, dass alle so sind wie du.“ Er überlegt und sagt: „Ganz ehrlich: Das fiel mir anfangs schwer. Ich musste lernen, dass andere den Fußball anders sehen als ich, dass manche mit ein bisschen Spaß zufrieden sind. Weil das ein Amateurverein ist. Daran musste ich mich gewöhnen und mich auch anpassen.“
„Du kannst nicht erwarten, dass alle so sind wie du. Ich musste lernen, dass andere den Fußball anders sehen als ich, dass manche mit ein bisschen Spaß zufrieden sind.”
Arjen Robben
Ein bisschen Spaß war für Arjen Robben nie genug. Ganz oder gar nicht, keine Kompromisse, so hat er Fußball gespielt und alle Höhen und Tiefen des Sports erlebt. Triumphe genauso wie Tragödien, Tore genauso wie Fehlschüsse. Dabei hat er etwas geschafft, was nicht allen gelingt, die auf der Bühne des Profifußballs Menschen auf der ganzen Welt in Erstaunen versetzen: Arjen ist immer Arjen geblieben, einer, der ein ganz normales Leben leben will.
Robben öffnet in Socken die Tür. Das Haus ist noch recht neu, erst seit zwei, drei Jahren lebt die Familie hier. Dass sie nach Groningen zurückkehren würden, war immer klar. Hier hat ja alles angefangen. Beim FC Groningen wurde Robben Profi, im kleinen Örtchen Bedum, nur ein paar Kilometer weiter, wuchs er auf. Seine Frau Bernadien stammt ebenfalls aus der Stadt, die ganze große Familie lebt hier. „Zu Hause bleibt zu Hause“, sagt Robben. Mit 18 hat er Groningen verlassen, um bei der PSV Eindhoven seinen ersten großen Karriereschritt zu machen. Er ging und war dennoch nie ganz fort. Die Leute der Region gelten als bodenständig, nüchtern, prinzipientreu. „Vielleicht ist das wirklich so“, meint Robben und wiegt den Kopf. „Ich habe jedenfalls immer gesagt: ‚Ich bin, wie ich bin, und verbiege mich nicht, nur um anderen zu gefallen.‘“
Küche und Stadion
Am frühen Nachmittag herrscht Ruhe im Hause Robben. Die drei Kinder sind noch in der Schule. Nur die zwei Familienhunde Cooper und Maxi beschnuppern den „51“-Besuch aufgeregt. „Wir haben uns wieder gut eingelebt“, erzählt Robben. Seine Frau ist Lehrerin und hat wieder begonnen zu arbeiten, zwei Tage die Woche. „Dann bin ich Hausmann, kümmere mich um die Kinder und koche“, sagt Robben und blickt sich um. „Meine Frau ist gerade nicht da, deswegen darf ich das sagen: Die Kinder finden, mein Risotto ist besser als das von Mama. Das ist ein schönes Kompliment.“ Er grinst. In 20 Jahren Profifußball kam die Familie oft zu kurz, Familienmensch Robben hat das immer gespürt. Jetzt holt er vieles nach. „Die Zeit mit der Familie ist im Moment am wichtigsten für mich.“ Besonders die Samstage genießt er. Dann hat er selbst ein Spiel mit seiner Mannschaft und schaut auch seinen beiden Söhnen (Fußball) sowie seiner Tochter (Hockey) bei ihren Spielen zu. „Der Samstag ist der schönste Tag der Woche für mich.“
„Ich hatte am Ende meiner Karriere auch ganz andere Angebote. Aber das hier ist zu Hause. Ich habe dem Verein viel zu verdanken. Man darf nicht vergessen, wo man herkommt.”
Arjen Robben
Regelmäßig ist Robben auch beim FC Groningen im Stadion, wo die Ehrenloge nach ihm benannt ist. Der Club ist stolz auf seine Schützlinge, auch Ronald Koeman und Virgil van Dijk stammen von hier, aber Robben kehrte zum Ende seiner Karriere zurück. Nicht, um noch ein paar Titel mehr zu gewinnen oder viel Geld zu verdienen – er wollte etwas zurückgeben. Ob er Fußballromantiker sei? Robben überlegt: „Vielleicht ein bisschen. Ich hatte am Ende meiner Karriere auch ganz andere Angebote. Aber das hier ist zu Hause. Ich habe dem Verein viel zu verdanken. Man darf nicht vergessen, wo man herkommt.
Also schnürte Robben 2020 noch mal seine Fußballschuhe, ein Jahr, nachdem er seine Karriere in München eigentlich schon beendet hatte. „Der Ruhestand hat nicht lange gedauert“, sagt er und lacht. Robben erzählt von seinen letzten Wochen beim FC Bayern, als er nur noch mit Schmerzmitteln spielen konnte. Das Schambein, sagt er: „Wer sich auskennt, weiß: Da geht dann nicht viel.“ Aber er biss auf die Zähne, schoss in seinem letzten Bundesliga-Spiel noch ein Tor und verabschiedete sich mit Meisterschale und DFB-Pokal. „Ich habe mich irgendwie durchmanövriert. Aber es war klar: So kann es nicht weitergehen. Der Abschied vom Fußball fiel mir dadurch ein bisschen leichter.“
Nochmal dorthin, wo alles begann
Es folgte: die pure Entspannung. Kein Druck mehr, kein ständiges Streben nach Top-Leistung – „und auf einmal war der Schmerz weg. Es war unglaublich“, erzählt er. Schon bald begann er, wieder Sport zu machen, und wer Robben kennt, weiß, dass er nicht einfach ein bisschen schwitzen wollte. Robben will an seine Grenzen, sucht die Herausforderung – da kam der Vorschlag eines Freundes, des Eisschnelllaufweltmeisters Erben Wennemars, gerade recht, einen Marathon zu laufen. Gemeinsam trainierten sie. „Ich hatte keine Probleme, null, gar nichts“, erzählt er, „ich fühlte mich so was von fit. Und genau da kam Groningen und hat gefragt, ob ich etwas für den Verein machen würde.“ Manager? Trainer? Nein, in so einer Rolle sah sich Robben noch nicht. „Wenn ich zurückkehre, dann musste es auf dem Platz sein. Also habe ich gesagt: Ich greife noch mal an.“
„Für mich war es immer das Schönste, in der Allianz Arena auf dem Rasen zu stehen, Tore zu schießen, Vorlagen zu machen, ins Dribbling zu gehen, na ja, manchmal muss man auch ein bisschen verteidigen – dafür macht man das alles.”
Arjen Robben
Sieben Spiele bestritt Robben 2020/21 für den FC Groningen, ein Tor gelang ihm nicht mehr. Er hatte sich viel mehr erhofft. Aber in der Vorbereitung knickte er um, im ersten Spiel erlitt er einen Muskelfaserriss. „Und dann läufst du schon wieder hinterher. Es war brutal schwer“, erzählt er. Sein Körper spielte nicht mit, wie so oft in seiner Karriere. Das Portal transfermarkt.de listet auf, wie viele Spiele Robben während seiner zehn Jahre beim FC Bayern wegen einer Verletzung verpasst hat: 176, das sind vier Saisons! „Ich sage immer: Ich habe das Beste draus gemacht“, meint Robben. Wie er es geschafft hat, sich immer wieder zurückzukämpfen? Aufgeben war einfach nie eine Option, sagt er. „Für mich war es immer das Schönste, in der Allianz Arena auf dem Rasen zu stehen, Tore zu schießen, Vorlagen zu machen, ins Dribbling zu gehen, na ja, manchmal muss man auch ein bisschen verteidigen – dafür macht man das alles. Und das sage ich nicht, weil es für eine Geschichte im Bayern-Magazin ist.“
Ehrenrunde und Marathon
In Groningen schuftete Robben fast die ganze Saison über, um am Ende noch ein paar Spiele machen zu können, in einem gelangen ihm zwei Vorlagen. „Das war die Belohnung für die viele Arbeit.“ Danach war endgültig Schluss. Die Achillessehne schmerzte. „Jeden Tag hat es eine Viertelstunde gedauert, bis ich normal gehen konnte.“ Also endete 2021 zum zweiten Mal Robbens Karriere. Der Abschied in Groningen sei ihm schwerer gefallen als in München, erzählt er. Weil er dabei nicht im Trikot auf dem Platz stehen konnte. Im Anzug lief er eine Ehrenrunde im Groninger Stadion. „Meine Familie amüsiert sich heute noch darüber, wie flink ich war. Gefühlt eine Minute, dann war ich weg“, erzählt er. Er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Danach mied er das Stadion monatelang. „Weil da immer der Gedanke kam: Ich will noch mal.“ Mit der Zeit ließ das Jucken im Fuß nach.
Sport spielt natürlich immer noch eine große Rolle in Robbens Leben. Die eine Hälfte seines Gartens besteht aus einem Padel-Tennis-Feld, auf der anderen steht ein Fußballtor. Vor allem aber ist der einstige Flügelsprinter tatsächlich unter die Marathonläufer gegangen. Letztes Jahr trat er in Rotterdam erstmals zu einem Rennen an. Seine Zeit: drei Stunden, 13 Minuten und 57 Sekunden. „Auf dem letzten Kilometer bin ich gestorben“, erzählt er. 42,195 Kilometer sind eben lang. „Und das ohne Ball“, fügt er lachend hinzu. Gerade trainiert er wieder, letztes Wochenende sei er 36 Kilometer gelaufen, erzählt er. Ein paar Wochen später wird er wieder in Rotterdam an den Start gehen – und schneller sein als im Vorjahr. Mit zwei Stunden, 58 Minuten und 33 Sekunden wird er die Drei-Stunden-Marke knacken und sagen: „Das kommt dem Gewinn eines großen Fußballtitels sehr nahe.“
Der nimmermüde Titeljäger
Robben muss es ja wissen. Mit Eindhoven, Chelsea, Real Madrid und vor allem dem FC Bayern hat er 32 Titel gewonnen. 32! Meisterschaften, Pokale, Supercups. Über allem stehe der Champions League-Sieg 2013, sagt der Holländer: „Als Spieler hast du Ziele, und das höchste Ziel ist die Champions League.“ Und dann erzielte er im Endspiel in Wembley auch noch das entscheidende Tor zum 2:1-Sieg über Borussia Dortmund. Mehr geht nicht – das war seinem Gesicht auch abzulesen, als er nach seinem Treffer auf die Fankurve zulief. Die Arme ausgebreitet, der Mund offen, die Augen aufgerissen. Glück, Erlösung, ungläubiges Staunen, alles gleichzeitig.
So schoss „Mr. Wembley“ die Bayern auf den Thron Europas:
Robben hat jede Menge sehenswerter Treffer erzielt, mal mit Wucht, mal mit Gefühl. Legendär ist sein Tor nach einem Dribbling über den ganzen Platz gegen Schalke oder sein Volleytreffer gegen Manchester United. Alles Meisterwerke. In Wembley hoppelte der Ball wie in Zeitlupe ins Tor. „Das macht es umso schöner“, findet er, „alles musste so schnell gehen, da habe ich den Ball nicht perfekt getroffen – aber es war genau richtig.“ Endlich, nach zwei verlorenen Endspielen, war er mit dem FC Bayern am Ziel. „2010 war es überhaupt schon eine große Leistung, dass wir im Finale waren“, meint er. „2012, im eigenen Stadion, hätten wir gewinnen müssen. 2013 war es dann fällig. Ich weiß noch genau, wie ich im Bus zum Stadion saß, am Fenster, Musik auf den Ohren – ich war so was von überzeugt: Was auch passiert, heute gewinnen wir! Natürlich war ich auch 2010 und 2012 überzeugt, aber 2013 war noch mal anders. Gewinnen, Schluss, Punkt.“
Betitelt und besungen
Irgendwie musste es so sein, dass Robben mehrere Anläufe zum CL-Titel brauchte. In seiner Karriere musste er immer wieder Widerstände überwinden, sich zurückkämpfen und wurde am Ende belohnt. So war es bei seinen vielen Comebacks, so war es bei seinen beiden Abschieden vom Fußball, so war es in der Champions League. Allein die Saison 2012/13 ist ein Sinnbild seiner Karriere. Im Sommer, nach dem tragischen „Finale dahoam“, in dem er einen Elfmeter verschoss, war er plötzlich der Buhmann. In der Hinrunde kämpfte er wieder mit Verletzungen, kehrte erst in die Stammelf zurück, als Toni Kroos im Viertelfinal-Hinspiel gegen Juventus Turin einen Muskelbündelriss erlitt. Und am Ende schoss er Bayern zum Champions League-Titel. Seitdem ist Arjen Robben „Mr. Wembley“, und die Fans singen: „Ich hab geträumt von dir, von unsrer Wembley-Nacht. Wir ham den Cup gewonnen, den Thron erklommen, der Arjen hat’s gemacht.“
„Das Lied und der Name ‚Mr. Wembley‘, das macht mich schon stolz“, sagt Robben, „Titel sind schön, klar, aber die Wertschätzung der Fans ist mir mehr wert.“ Das ist schon ein überraschender Satz für einen Fußballer, der immer dem nächsten Tor, dem nächsten Sieg, dem nächsten Titel hinterhergejagt ist. Am Ende ist Robbens größter Erfolg, die Herzen der Menschen erreicht zu haben. Weil ihre Liebe fortlebt, während die Pokale Staub ansetzen. „Es geht darum, wie sich die Leute an dich erinnern, auch als Mensch“, meint Robben, „deswegen sage ich immer: Bleib wie du bist, egal wie viele Titel du gewinnst.“
„Das Lied und der Name ‚Mr. Wembley‘ machen mich schon stolz. Titel sind schön, klar, aber die Wertschätzung der Fans ist mir mehr wert. Es geht auch darum, wie sich die Leute an dich erinnern, auch als Mensch.”
Arjen Robben
Das Training bei Be Quick 1887 endet nach 75 Minuten. „Gut gemacht, Jungs!“, klatscht sich der Trainer mit seinen Spielern ab. Viele Spielformen auf engem Raum standen auf dem Programm. Nur den Robben-Move ließ er nicht trainieren. Diesen explosiven Richtungswechsel vom rechten Flügel nach innen, abgeschlossen mit einem präzisen Torschuss, für den er gefürchtet war. Jeder Verteidiger wusste, was Robben machen würde, aber es war einfach nicht zu verteidigen. „Das ist keine Übung, die bei mir auf dem Plan steht“, erzählt er und grinst. Ab und zu spiele er mit, und dann könne es schon sein, dass sein altes Können aufblitze. Ob er sich eine Zukunft als Trainer vorstellen kann? „Es macht schon Spaß“, meint er, „aber mal schau’n.“ Dann steigt er aufs Rad und fährt nach Hause. Wie es in Groningen alle machen.
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