Am Sonntag bestritt Thomas Müller sein 710. Pflichtspiel für die Profis des FC Bayern und löste damit Sepp Maier (709 Einsätze) als alleinigen Rekordhalter ab. Bereits vor ein einigen Wochen hat das Club-Magazin „51“ mit Weggefährten gesprochen, die alle etwas ganz Besonderes mit dem 34-Jährigen verbindet. Für Pep Guardiola ist Müller „einer der größten Spieler in der Geschichte des Fußballs“. Hermann Gerland findet: „Wenn Thomas nicht da ist, fehlt etwas.“, und für Miroslav Klose steht fest: „Thomas versteht einfach Fußball“ – hier ist die zweite Episode des Dreiteilers über Thomas Müllers Karrierebegleiter:
Hermann Gerland
Der „Tiger“ kennt Thomas Müller so lange wie kaum jemand beim FC Bayern und förderte ihn bereits bei den Amateuren.
Herr Gerland, Sie haben Thomas Müller schon in der Jugend erlebt. Was macht ihn so besonders?
„Wenn Thomas Müller nicht da ist, dann fehlt etwas. Das war schon immer so. Der Junge hat von klein auf Tore, Tore, Tore gemacht – aber das ist nur ein Teil seiner grandiosen Fähigkeiten. Thomas hat eine Gabe: das richtige Näschen, auf und neben dem Platz. Ein unvorstellbar schlauer Typ, ein Geschenk für jede Mannschaft, für jeden Verein.“
Können Sie seine Fähigkeiten noch näher beschreiben?
„Gespür – das ist es: ein einzigartiges Gespür für die Situation. Das kann man nicht erklären, das kann man nicht lernen. Er ist nie greifbar auf dem Platz, und er weiß auch daneben immer genau, was zu tun ist. Ich erinnere mich noch an seine jungen Jahre: Thomas und David Alaba haben immer angeschoben. Solche Spieler kommen in jedes Training mit einer positiven Einstellung, die sich auf das ganze Team überträgt. Andere ließen damals nach einem Fehlpass Minuten lang den Kopf hängen – Thomas sagte zu mir, wenn er mal ein schlechtes Spiel gemacht hat: ‚Tiger, im nächsten bringe ich wieder Top-Leistung!‘ So muss man die Dinge angehen, dann wird man was! Er bestätigt mich im Übrigen auch in der Meinung, dass es sich lohnt, in der Jugend hart zu trainieren. Wer Thomas anschaut, denkt, er bricht nach zwei Metern zusammen – aber von wegen: über 700 Spiele als Profi des FC Bayern, das sagt doch alles aus!“
Wo ist er im internationalen Spitzenfußball einzuordnen?
„Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo spielen spektakulär. Thomas Müller spielt unspektakulär – unspektakulär, unfassbar gut! Er ist seit fast zwei Jahrzehnten im Weltfußball nicht nur ein Mitläufer, sondern ein Spieler wie kein Zweiter. Keiner konnte diese Karriere erahnen, aber Thomas Müller hat seinen Platz in der Historie des FC Bayern sowie der gesamten Fußballgeschichte in einer Reihe mit all den Münchner Größen wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller absolut verdient. Thomas Müller steht für die Neuzeit des FC Bayern.“
Miroslav Klose
Am 15. August 2008 feierte Müller sein Bundesliga-Debüt, er wurde im Spiel beim HSV in der 79. Minute eingewechselt –für Miro Klose.
Miro, was hast du dir gedacht, als der junge Thomas Müller mit seinen dürren Beinen in der Sommervorbereitung 2008 zu den Profis stieß?
„Thomas hat nicht wirklich wie ein Fußballer ausgesehen (lacht). Er war anfangs auch recht unscheinbar. Damals war sein Fußball noch nicht so vielschichtig wie heute. Aber ich habe schnell einen Draht zu ihm gefunden. Wir haben uns super verstanden, weil wir einen ähnlichen Blick auf den Fußball haben. Über all die Jahre hat oft ein Blickkontakt gereicht, weil wir beide beim Abwehrspieler etwas gesehen hatten.“
Was hat Thomas Müller, was andere nicht haben?
„Thomas bringt das volle Paket mit: Er hat ein super Näschen; kann Tore auflegen oder selber schießen; er weiß, sich in Räume zu bewegen; er hat das Timing, um Räume zu attackieren; und er rennt auch noch für andere. Aber das größte Kompliment, das man ihm machen kann, ist: Thomas versteht einfach Fußball.“
Im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien hat er dir deinen WM-Rekordtreffer aufgelegt.
„So gut war seine Vorlage auch nicht, ich habe ja zwei Versuche gebraucht, um den Ball reinzukriegen (lacht). Im Ernst: Ich habe unheimlich gern mit Thomas gekickt.“
Hast du einen speziellen „Thomas-Müller-Moment“?
„Vor dem Viertelfinale bei der WM 2010 sind die Argentinier tanzend und mit Musik aus dem Bus gestiegen. Auch als wir uns in den Katakomben aufgestellt haben, haben sie Alarm gemacht. Da dreht sich Thomas um und sagt: ‚Männer, ich glaube, heute kommt was auf uns zu.‘ Wir haben uns alle kaputtgelacht. Mit diesem Spruch hat er alles aufgelockert – und das Ergebnis ist bekannt (Deutschland gewann 4:0, Anm. d. Red.). Das ist halt Thomas. Er wirkt vor den Spielen immer total entspannt, telefoniert noch in der Kabine mit seiner Frau. Aber sobald angepfiffen wird, ist er voll da.“
Pep Guardiola
Der Spanier arbeitete von 2013 bis 2016 beim FC Bayern. Er coachte so viele Müller-Spiele wie kein anderer Trainer.
Haben Sie als Trainer noch einmal einen Spieler wie Thomas Müller gecoacht?
„Kein anderer Spieler ist wie Thomas Müller! Er ist einer der größten Spieler in der Geschichte des FC Bayern und des Fußballsports. Nicht nur wegen seiner vielen Titel, sondern weil er immer da ist, wenn sein Team ihn braucht.“
Ist Thomas Müller ein unterschätzter Weltstar?
„Nein. Die Fußballfans auf der ganzen Welt kennen seinen Wert auf dem Spielfeld. Er ist ein schlauer, unberechenbarer Spieler, der immer weiß, wohin er sich bewegen muss.“
Wie war es, mit ihm bei Bayern zu arbeiten?
„Mein Start in München war nicht einfach. Jupp Heynckes hatte mit dem Triple-Sieg einen unglaublichen Job gemacht, wir waren viel unterwegs, und ich habe versucht, neue Ideen einzubringen. Aber Thomas war stets positiv und offen. Er hat verstanden, dass wir versuchen, bei Bayern München etwas aufzubauen, das Bestand hat.“
Ihr Lieblingsmoment mit Thomas Müller?
„In der Champions League 2016 spielten wir gegen Juventus Turin und lagen eine Minute vor Schluss mit 1:2 zurück. Er schoss den 2:2-Ausgleich, der uns in die Verlängerung brachte. Wir gewannen das Spiel mit 4:2. Am beeindruckendsten an Thomas fand ich immer, wie bescheiden sein Jubel ist: Wenn Fußballer heutzutage ein Tor schießen, dann laufen sie allein los und feiern sich. Thomas ist anders, großzügiger vielleicht, er will nach dem Torerfolg vor allem seine Mitspieler umarmen.“
Rummenigge, Neuer, Lewandowski. Hier geht es zum ersten Teil von Thomas Müllers Weggefährten:
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