Acht Jahre zählt Sven Ulreich schon zum Profikader des FC Bayern München – meistens aber steht der 36-Jährige gar nicht auf dem Platz. Der Torwart ist die Nummer zwei hinter Manuel Neuer – doch wenn dieser nicht spielt, muss Ulreich in die Bresche springen. „Wie ein Feuerwehrmann“, sagt er. Auch gegen Zagreb und in Bremen.
Am Samstagnachmittag im sonnigen Bremen, da hatte sich Sven Ulreich eigentlich schon auf einen Spieltag wie so häufig in seinen vergangenen fast acht Jahren beim FC Bayern vorbereitet: „Hotel, schlafen, Spaziergang, Mittagessen – und dann zum Spiel, das ist ja im Grunde immer dasselbe“, verrät der Torhüter, der nur mit einer kurzen Ausnahme (2020/21 spielte er für den Hamburger SV) seit 2015 schon beim FC Bayern ist. Bei der Teambesprechung von Chefcoach Vincent Kompany vor der Begegnung beim SV Werder gab es auch keine Überraschungen für Ulreich: Manuel Neuer sollte wie gewohnt beginnen, Ulreich hinter dem fünffachen Welttorhüter auf der Bank Platz nehmen und sich bereit halten.
Linker Handschuh, rechter Handschuh
Daher folgte auch in der Kabine für Sven Ulreich das immergleiche Ritual: „Erst den linken Schuh, dann den rechten. Dann den linken Handschuh, dann den rechten Handschuh – das mache ich aber weniger aus Aberglaube, sondern einfach, weil ich es mir so angewöhnt habe.“ Und doch stand nicht Neuer, sondern Sven Ulreich beim Anpfiff für den FC Bayern im Tor – zum 103. Mal bereits in einem Pflichtspiel des deutschen Rekordmeisters.
Manuel Neuer hatte eine leichte Reaktion im Oberschenkel verspürt, das Aufwärmprogramm aus Sicherheitsgründen abgebrochen. Bereits in der Champions League war der Stammkeeper zur Pause nach einem Zusammenprall als Vorsichtsmaßnahme in der Kabine geblieben, Sven Ulreich hütete gegen Dinamo Zagreb fortan das Bayern-Tor. Ohne einen einzigen Ballkontakt im Spiel musste der Ersatzmann postwendend mit seiner Mannschaft einen Doppelschlag von Zagreb hinnehmen – bei beiden Treffern wäre wohl aber auch Manuel Neuer machtlos gewesen. „Wenn der Ernstfall eintritt, muss man da sein und eine Topleistung abrufen. Das ist mein Job“, sagt Ulreich. Und weiter: „Das wird manchmal unterschätzt: Wenn man lang auf Bank sitzt und nicht spielt, ist es nicht so leicht, in den Rhythmus zu finden. Ich glaube aber, mir gelingt das trotzdem ganz gut, relativ schnell wieder drin zu sein.“ So war es gegen Zagreb, als Ulreich in der Folge mit einer Glanztat den Ausgleich verhinderte. „Feuerwehrmann sein – das kann man schon sagen zu meiner Aufgabe“, findet der 36-Jährige.
Der Feuerwehrmann Sven Ulreich war also auch am Samstag gegen Werder Bremen plötzlich gefragt. Brenzlig wurde es für den Ersatzmann da aber kein einziges Mal – die Defensive des FC Bayern stand derart gefestigt, dass sich der SV Werder in über 90 Minuten keinen einzigen Schuss aufs Tor erarbeiten konnte. 32 Ballkontakte hatte Ulreich dennoch, lief knapp über fünf Kilometer in diesem Spiel, zählte die Statistik.
„Das Torwartspiel hat sich seit meiner Jugend absolut verändert“, sagt Sven Ulreich. Noch beim VfB Stuttgart, für den er in 220 Profispielen zwischen den Pfosten stand, ging es vor allem ums Bälle halten allein. „In meiner Zeit beim FC Bayern habe ich dann viel im fußballerischen Bereich dazugelernt und mich hier sehr entwickelt.“ Früher, so der Keeper, gab es pro Spiel drei oder vier Rückpässe, „jetzt werden wir Torhüter fest ins Aufbauspiel eingebunden, haben viele Ballkontakte und auch besondere Aufgaben, gerade jetzt auch unter dem neuen Trainer“.
„Ich habe mich mit der Rolle angefreundet“
Gerade, wenn man dann ins kalte Wasser geworfen wird, wie am Samstag in Bremen, muss man sich da erst einmal die Sicherheit holen. Etwas, was für den jungen Sven Ulreich schwieriger war, als für den erfahrenen: „Ich bin viel ruhiger geworden, das macht das Alter und die Erfahrung. Ich habe mich mit meiner Rolle längst angefreundet und wirklich Spaß an der Situation. Es ist nicht mehr so, dass ich jeden Morgen aufwache und denke: Ich muss jetzt irgendwo als Nummer eins spielen. Nein, ich bin happy, so wie es ist.“
Sonderlob von Max Eberl
Auch Sportvorstand Max Eberl lobte die Nummer 2: „Wir wissen, dass wir uns auf Sven immer verlassen können.“ Die Herausforderung liegt für den Ersatzmann gerade im Ungewissen. Dann da sein zu müssen und Leistung zu bringen, wenn man im Vorfeld gar nicht damit rechnet – das ist die Aufgabe, die Sven Ulreich an seinem Job neben der täglichen Arbeit im Training mag. Mit Manuel Neuer verbindet ihn, wie er sagt, ein freundschaftliches Verhältnis. Neuer und Ulreich unterstützen sich, pushen sich, helfen sich – „und wir machen auch privat gern was zusammen“, verrät die Nummer 2. Konkurrenzdenken gibt es für den gebürtigen Schorndorfer nicht mehr: „Ich fühle mich superwohl beim FC Bayern. Ich schätze das sehr, was ich hier habe. Wir sind wie eine Familie.“ Eine Familie, bei der er sich jedes Mal aufs Neue freut, als Feuerwehrmann einspringen zu dürfen.
Hier gibt es den Rückblick auf das Spiel in Bremen:
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