
Auch die Fußballerinnen des FC Bayern sollen die Nummer eins werden – national wie international. Für dieses Vorhaben wird mit vereinten Kräften angeschoben - aus der aktuellen Ausgabe von Säbener 51.
Frauenpower beim FCB
Vom finalen Saisonspiel 2009 kann Bianca Rech bis heute jede Szene abrufen, im Minutentakt. Und wenn sie es genau überlegt, hat sie sogar auch aus den Tagen zuvor alles detailgetreu parat: Eines der letzten Meisterschaftsspiele ihres FC Bayern wurde wegen eines Gewitters einmal verschoben, kurz vor der Abfahrt nach Crailsheim musste dann Trainer Günther Wörle ins Krankenhaus; und bereits unmittelbar nach dem Anpfiff hatte sie eine erstklassige Torchance, spielte aber lieber ab, weil sie dachte, das sei eine gute Idee. Später erzielte sie das 1:0, die Bayern gewannen 3:0 – aber es reichte nicht: Ein einziges Tor mehr, und sie wären Meister geworden.

Trotzig, optimistisch, frech
Manchmal, so heißt es, muss man im Fußball dahin gehen, wo es wehtut. Bianca Rech schmerzt die Erinnerung an Crailsheim zehn Jahre später noch immer. Ihre Bayern hätten damals einen unheimlichen Teamgeist gehabt, sagt sie, „wir haben eine außergewöhnliche Saison gespielt“. Und dann hatten sie in Crailsheim, das bereits abgestiegen war, Torchancen ohne Ende. Hätte allein sie selbst gleich zu Beginn nicht nach links, sondern direkt aufs Tor geschossen… müßig, heute darüber nachzudenken, aber es lässt einen irgendwie nie los, wenn man es verpasst hat, Geschichte zu schreiben. „Ja, es tut mir immer noch extrem weh, denn ich wäre sehr gerne mit dem FC Bayern Meister geworden“, sagt Bianca Rech. Ihr Lächeln ist in diesem Moment alles gleichzeitig: bitter, trotzig – und, das auch, optimistisch, frech: „Dann muss ich das halt in einer anderen Funktion nachholen.“
Der Grundstein ist gelegt
Der Start in die Saison 2020/21 war in dieser Hinsicht schon mal vielversprechend; zwölf Siege in Serie, darunter ein 4:1 gegen den Branchenführer VfL Wolfsburg, Tabellenspitze – Bianca Rech, die vor vier Jahren als Teammanagerin zu ihrem früheren Verein zurückgekehrt ist und inzwischen als Sportliche Leiterin fungiert, könnte eventuell bald nachholen, was ihr 2009 durch die Lappen gegangen ist. Allerdings spielt sie lange genug im Geschäft mit, um zu wissen, dass es noch ein weiter Weg ist. Bereits mit 13 erdribbelte sie sich ihren Spitznamen, denn im Fußball sagt niemand Bianca zu ihr, sondern Jay. Eine Anlehnung an ihr früheres Idol Jay-Jay Okocha, die ehemalige Bundestrainerin Silvia Neid sorgte für diese nachhaltige Namenskorrektur. Jay Rech, 39, weiß aus ihrer eigenen sportlichen Laufbahn nur zu gut, wie der Erfolg an Kleinigkeiten hängen kann. Schmerzhafte Erinnerungen können hilfreiche Leitplanken sein. Im Fußball lohnt es sich zuweilen, dahin zu gehen, wo es wehtut.

Ziele fest im Blick
In den vergangenen eineinhalb Jahren haben sie bei den Frauenfußballerinnen des FC Bayern insgesamt an vielen Kleinigkeiten gewerkelt, erzählt Jens Scheuer. Wenn der Trainer die Zeit seit seinem Amtsantritt in München Revue passieren lässt, beginnt er einen langen Monolog, der säuberlichst die holprige Startphase thematisiert, dann die Trendwende analysiert und gar nicht groß in der ansehnlichen Gegenwart anhält, sondern schnell die Ziele der Zukunft ins Zentrum rückt. Die Mentalität in der Mannschaft sei der Schlüssel, sagt er: „Ich habe bei unseren Spielerinnen immer die Gewissheit, dass sie auf dem Platz keine Kompromisse eingehen.“ Und er selbst habe sich im Laufe der Monate auch entwickelt: Vor einem Jahr sei er nach einem Spiel selten bis gar nie zufrieden gewesen, „heute weiß ich, es gibt auch mal so einen Tag, da kann ich fünfe gerade sein lassen – weil die Spielerinnen am nächsten Tag wieder alles geben werden“. Sich zufrieden zurückzulehnen, sei nicht immer das Gleiche, wie den Augenblick zu genießen, findet Scheuer. „Da ist ein Unterschied.“ Seine Spielerinnen wissen: Ausruhen dürfen sie sich nicht.

Zusammenhalt auf allen Ebenen
Das mit der Mentalität in der Mannschaft zeigt sich in vielen Facetten; auch neben dem Platz. Jovana Damnjanović steht für das Feuer im Team, und als sie im Champions-League-Viertelfinale gegen Lyon einen Kreuzbandriss erlitt, liefen ihre Kolleginnen im nächsten Heimspiel mit eigens kreierten Shirts auf – eine gemeinschaftliche Idee. „Team Brovi“, stand da zu lesen, eine Anspielung auf Jovis Spitznamen und den für sie typischen Ausspruch „Hey Bro“. Ein paar Wochen später wiederholten die Münchnerinnen die Mutmacherbotschaft an eine verletzte Kollegin; diesmal hatte es Giulia Gwinn am Knie erwischt. Die Nationalspielerin trägt als Markenzeichen einen Zopf, und so zeigte das Aufwärm-shirt einen Zopf in Form ihrer Rückennummer sieben – gezeichnet von Lea Schüller, was auch viel über den kreativen Zusammenhalt beim FC Bayern aussagt. Jovi Damnjanović, sagt Jay Rech, sorge im Übrigen seit ihrer Verletzung auf der Tribüne für Feuer.
Neue Perspektiven
Hanna Glas hat das alles schon in den Vorgesprächen gespürt, als ihr Wechsel nach München im vergangenen Winter angebahnt wurde. „Something is happening here – at highest level“, sagt die Schwedin, hier passiert etwas, auf höchstem Niveau: „Der Klub ist sehr, sehr ambitioniert.“ Hanna Glas kommt von Paris Saint-Germain, und so ein Transfer ist ein ziemlicher Coup, denn der französische Frauenfußball galt auf Klubebene über Jahre als Nonplusultra. „Normalerweise haben wir Spielerinnen immer in Richtung Frankreich verabschieden müssen“, sagt Rech, „wir können stolz sein, dass wir Hanna von uns überzeugen konnten – denn genau darum geht es inzwischen: Du musst Spielerinnen von deinem Projekt überzeugen.“ Und wenn Hanna Glas nun beim Quervergleich der Spitzenklubs ein Urteil pro Bayern fällt, ist das ein neuer Meilenstein: Die Möglichkeiten am Campus seien viel besser als in Paris, erzählt sie, „der FC Bayern ist bereit, ein großes Bild zu malen“. Hier wurde nicht nur für ein, zwei Pinselstriche angesetzt – dem Gesamtkunstwerk liegt eine klare Skizze zugrunde.

Überzeugungskraft auf Top-Niveau
Das mittelfristige Ziel lautet, die deutsche Nummer eins zu werden – und sich auch in Europas Spitze zu etablieren. Um das zu erreichen, hat Rech ein Strategiekonzept erstellt. Der Blick auf die internationale Konkurrenz macht klar: bloß keine Zeit verlieren! Beim FC Barcelona ernten sie gerade, was sie mit einem klugen Plan vor sechs Jahren gesät haben, in England investieren nahezu alle namhaften Premier League-Klubs in die Frauensparte, und auch Italien entdeckt, dass hier charmantes Potenzial schlummert. Real Madrid baut neben Barcelona etwas auf, es mischen nun klangvolle Namen mit wie Juventus Turin, AS Rom, Milan, Arsenal, Chelsea, die beiden Klubs aus Manchester – und im kommenden Jahr wird die Champions League der Frauen reformiert; es wird eine Gruppenphase eingeführt, mehr Spiele bedeuten mehr Sicherheit, und das bedeutet mehr Argumente für Sponsoren, sich zu engagieren.
Erst der Anfang
„Es wird viel passieren in den nächsten Jahren“, sagt Jay Rech, „der deutsche Frauenfußball muss aufpassen, dass er den Zug nicht noch mehr verpasst.“ In München wollen, können und werden sie nicht warten, bis sich zum Beispiel Klubs wie Borussia Dortmund auch einbringen. „Wenn der BVB im Frauenfußball etwas aufbaut, wäre das toll“, sagt Scheuer, „wir freuen uns, dass in Leipzig etwas wächst – denn letztlich ziehen die Namen der Vereine die Zuschauer an.“ Dafür muss man nur in alle anderen Top-Ligen schauen.
Nachwuchsförderung im Fokus
Die zunehmende Professionalisierung im internationalen Frauenfußball macht die Kaderplanung stetig komplexer. Für Rech und ihr Trainerteam bedeutet der Boom, dass sie sich mit speziellen Marktentwicklungen auseinandersetzen müssen: Die Zahl der Spitzenspielerinnen wächst nicht analog mit der Zahl der Klubs mit höchsten Ambitionen; man muss sehr schnell sein, um Top-Spielerinnen zu verpflichten – oder klug planen wie die Münchnerinnen, denn wie im Männerfußball wird auch hier großer Wert auf eigene Talente gelegt. Sydney Lohmann werde „definitiv mal eine Spielerin von Weltklasse, sie ist jetzt schon auf einem sehr guten Weg“, sagt Scheuer, und Rech stellt klar, wie wichtig es ist, solche Spielerinnen lange zu binden. „Wir haben beim FC Bayern ein besonderes Gen“, sagt die Sportliche Leiterin, „unsere Talente am Campus bekommen das früh mit.“
Unterstützung im Verein befeuern die Aufbruchstimmung

Spielerinnen wie Hanna Glas hingegen sind so routiniert, dass sie sich die Vereinsphilosophie schnell aneignen. Als im Herbst das „Human Race“-Trikot offiziell vorgestellt wurde, war die Schwedin neben David Alaba und Serge Gnabry eine Figur des FC Bayern, die die Botschaft des Shirts, Vielfalt und Toleranz, transportierte. Das sei eine Ehre für sie gewesen, erzählt Glas, „und solche gemeinsamen Aktionen sind wichtig, denn sie zeigen, dass wir Frauenfußballerinnen ein Teil des FC Bayern sind“.
Diese Trikot-Präsentation wurde in der Branche registriert, „die Wirkung war auch international super“, sagt Rech, und Glas ergänzt: „Solche Aktionen zeigen, dass der Frauenfußball Tag für Tag wächst.“ Der Besuch von Präsident Herbert Hainer nach dem Saisonstart sowie die Tatsache, dass er und sein Vorgänger Uli Hoeneß auch beim Spitzenspiel gegen Wolfsburg auf der Tribüne saßen, haben zudem die Aufbruchstimmung in der Abteilung befeuert. Hainer hat nun schon mehrfach öffentlich das Ziel formuliert, dass die Münchnerinnen internationale Spitze werden sollen – bei Rech und Scheuer rannte er offene Türen ein. „Ich bin froh, dass der Verein mit solchen Aussagen beweist, was er mit uns plant“, sagt der Trainer. Allerdings gibt sich Scheuer keinen Illusionen hin: „Wolfsburg wird uns das Feld nicht kampflos überlassen, und international greifen viele andere Top-Klubs gerade an – wir dürfen in keinem Bereich auch nur ein Prozent nachlassen.“ Auf die Frage, ob das nicht anstrengend sei, lächelt der Coach und sagt: „Ja, das ist es. Aber wir sind der FC Bayern.“

Bereit für die nächsten 50 Jahre
2020 haben die FCB-Frauen ihren 50. Geburtstag gefeiert. Auf so eine lange Tradition können weltweit nur die wenigsten Fußballvereine zurückblicken. „Wir können stolz auf unsere Geschichte schauen – und selbstbewusst nach vorne“, sagt Jay Rech. Ihre Aufgabe kann man gerade als eine der spannendsten im europäischen Frauenfußball bezeichnen: Der FC Bayern hat einen grandiosen Ruf, er hat riesige Ressourcen – und verfolgt hohe Ziele mit enormen Ambitionen. Bereits mit 21 gewann Jay Rech die Champions League, die damals zum ersten Mal ausgetragen wurde. Auch dieses Finale hat sie bis heute detailgetreu parat, genauso den aufregenden Weg durch Fußballeuropa bis dorthin. Große Titel, schmerzhafte Niederlagen – Rech weiß, worauf es ankommt. Und sie sagt: „Wir haben hier beim FC Bayern gerade ausgezeichnete Möglichkeiten, um etwas Neues zu schaffen.“
Themen dieses Artikels