
Derrick Williams hat sich in Rekordzeit in München eingelebt und in sein neues Team integriert. Dabei spielt der NBA-erfahrene US-Forward der Bayern erstmals in Europa. Ein ausführliches Interview mit dem 27-Jährigen über seine bisherige Karriere und sein neues Abenteuer beim FCBB. Das Gespräch ist im aktuellen FCB-Vereinsmagazin „51“ erschienen.
Der Wechsel nach München
Derrick, wie gefällt es Dir in München?
Ich wusste nicht so richtig, was mich hier erwarten würde, aber: Ich liebe es. Die Stadt und der Klub sind sehr familiär, die Fans sind toll, das Essen schmeckt mir super. Ich habe schon Weißwürste probiert und eine bayerische Ente mit Knödel und Blaukraut - fantastisch.
Hast du schon eine Wohnung?
Ja, das war mir sehr wichtig. Im Hotel kann man sich nie so entspannen wie zuhause. Ich habe eine möblierte Wohnung, die zentral gelegen ist. In der Gegend gibt es viele Restaurants und einiges zu entdecken. Ich fühle mich wirklich sehr wohl. Rund um Weihnachten wird meine Familie aus den USA kommen, dann werden wir ein paar schöne Dinge unternehmen, mal in die Berge fahren und Ausflüge machen.
München ist Deine achte Profistation. Wie sehr befasst man sich als Basketballer mit der Stadt, in der man gerade arbeitet?
Ich weiß, dass man im Fußball normalerweise längere Verträge unterschreibt und viele Europäer häufige Ortswechsel als ungewöhnlich empfinden. In den USA gehört es zum Profisport fast dazu. Ich habe mich aber tatsächlich über München sehr gut informiert, habe mit einem guten Freund, der in Spanien aktiv ist, über den europäischen Basketball gesprochen. Ich suchte einen lebenswerten Ort mit den bestmöglichen Basketball-Bedingungen – und dafür war München perfekt. In der EuroLeague wird sehr guter Basketball gespielt. Nach ein paar wechselhaften Jahren wollte ich mich wieder auf mein Spiel konzentrieren und mich weiterentwickeln.
Wie ist Dein Eindruck von München?
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich bisher noch nicht viel gesehen habe. Nur nach dem Medizincheck war ich ein bisschen in der Innenstadt unterwegs. Da war ich echt überrascht, wie schön es hier ist. Der erste Eindruck ist also bestens. Mal schauen, ob ich die Stadt in den nächsten Wochen noch besser kennenlernen kann. In der Vorbereitung waren wir auch viel unterwegs, demnächst kommen die vielen Reisen. Aber ich glaube, als abwechslungsreicher Rückzugsort ist diese schöne, entspannte Millionenstadt perfekt.
Deine letzte Station vor München war die chinesische Sieben-Millionen-Stadt Tianjin.
Ja, das war schon ein bisschen verrückt. Wahnsinnig spannend, interessant, aber auch hart. Der Zeitunterschied zu Kalifornien beträgt 16 Stunden. Zudem konnte ich mich in China – ganz anders als hier übrigens – mit niemandem unterhalten. Von all meinen Mitspielern und Trainern sprach genau ein anderer Englisch. Und das in einem Sport wie Basketball, in dem es durch die Geschwindigkeit auf dem Court viel um Kommunikation geht. Hätte ich keinen Übersetzer gehabt, wäre ich verloren gewesen.

Identifikation
Du hast die Unterschiede von Basketball und Fußball selbst schon angesprochen. Im Fußball ist die Identifikation mit seinem Klub sehr wichtig. Geht das im Basketball-Business überhaupt, wenn man nach einem Jahr schon wieder die Stadt wechselt?
In Amerika ist es viel schnelllebiger: Dort ist es wirklich nichts Ungewöhnliches, wenn ein Spieler für zehn oder mehr Klubs in der NBA gespielt hat. Aber in den USA wird die Verbindung eines Sportlers zu seinem Klub auch weniger erwartet wie in Europa. Hier gibt es in jedem Team Spieler, die für den Klub spielen, seit sie 16 sind. So etwas verstärkt das Gefühl der Verbundenheit extrem. Der Drang, gemeinsam für seinen Klub zu gewinnen, wird immer ausgeprägter, je länger man zusammenspielt. Genau das liebe ich.
Das klingt ja ziemlich nach dem „Mia san mia“ der Fußballer . . .
In den Katakomben des Audi Dome hängen Bilder der Meistermannschaft von 2014. Mit Nihad Djedovic ist noch ein Spieler von damals hier, dazu viele Leute im Support-Team. Diese Bilder berühren mich jeden Tag aufs Neue. Man merkt hier allen an, dass sie sich für den Verein zerreißen – und dieses Gefühl möchte ich selbst auch leben. Ich spiele mein achtes Jahr professionell Basketball und war verdammt viel unterwegs. Es wird an der Zeit, mich sportlich heimisch zu fühlen. Und das Gefühl habe ich in München. Ich hoffe, noch eine ganze Weile.
Und in den USA gibt es das nicht?
Doch. Schau dir Nowitzki an – der hatte in den vergangenen 20 Jahren unzählige Möglichkeiten, den Verein zu wechseln, noch mehr Geld zu verdienen, vielleicht weitere NBA-Titel zu holen. Aber Dirk wurde offenbar so erzogen, dass der Sport ihm mehr bedeutet als das Geschäft. Er hat sich von Anfang an mit seinem Team und der Stadt identifiziert, hat eine fantastische Karriere gemacht und wird für seine Art nicht nur von den Fans in Dallas geliebt.
In den USA spielt man zunächst für ein College und wird dann von einem Profiklub im „Draft“ ausgewählt. Ist also das Collegeteam die wahre Herzensangelegenheit?
Ja, die Leute bei uns lieben ihre Collegeteams, egal ob Basketball oder Football. Daran hängt man mit dem Herzen. Ich selbst war in Arizona auf dem College, eine der erfolgreichsten Adressen im Basketball. Dazu gibt es dort auch ein Football-Team, zu dessen Heimspielen 50.000 Leute ins Stadion kommen. Jeder, der die Uni abschließt und später irgendwo anders als Anwalt, Arzt oder was auch immer arbeitet, bleibt „seinen“ Teams immer verbunden.
In den USA können Spieler sogar 10-Tages-Verträge unterschreiben. Du selbst hast das 2017 in Cleveland gemacht. Braucht es im Basketball keine Eingewöhnungszeit?
Im Gegenteil. In diesem Spiel hängt viel von der Kommunikation und der Abstimmung ab. Und das ist mit lauter neuen Kollegen, deren einstudierte Spielzüge man nicht kennt, kaum möglich. Man versucht also, so wenig Fehler wie möglich zu machen und einen zweiten 10-Tages-Vertrag zu erhalten. Und wenn einen der Klub danach immer noch möchte, muss er den Spieler bis zum Saisonende verpflichten.
„"Werde LeBron James immer dankbar sein."”
Derrick Williams

Europa und die NBA
So wie in Deinem Fall.
Ja. Und dafür werde ich LeBron James für immer dankbar sein. Denn am Tag meiner ersten Unterschrift haben wir in Oklahoma gespielt. Ich war wahnsinnig nervös. LeBron merkte das, kam vor dem Spiel zu mir und sagte: „Versuch nur die einfachen Dinge und mach dir keine Gedanken darüber, wenn ein Fehler passiert. Niemand macht dir Vorwürfe, weder die Mannschaft noch der Trainer. Wir wissen alle, wie schwierig deine Situation ist. Also geh raus und spiele dein Spiel."
Sagte LeBron. Einer der größten Basketballer aller Zeiten.
Einer der Allergrößten! Aber so ist er, ein unglaublich empathischer Typ, der für alles und jeden ein Auge hat. Es ist nicht selbstverständlich, dass der Superstar des Teams zu einem Leihspieler kommt und einfach den ganzen Druck herausnimmt. Ich verdanke ihm unendlich viel. Denn seitdem bin ich insgesamt gelassener geworden und denke mir: Jeder macht Fehler. Aber so lange ich alles gebe und konzentriert das verfolge, was ich kann, habe ich mir nichts vorzuwerfen.
Du hast 428 Spiele für sechs NBA-Klubs bestritten und 2017 für Cleveland in den NBA-Finals gegen Golden State gespielt. War das der bisherige Höhepunkt Deiner Karriere?
Auf jeden Fall, auch wenn wir verloren haben. Ich stand auf dem Platz mit Superstars wie Stephen Curry, Kevin Durant, LeBron James und Kyrie Irving. Und da die beiden Teams damals bereits zum dritten Mal in Serie in den Finals aufeinandertrafen, gab es diese besondere Rivalität. Die Atmosphäre war unglaublich. Ich kann mich an diese Tage erinnern, als seien sie gestern gewesen.
Es heißt, die NBA ist spektakulärer. In Europa dagegen stünden eher Teamarbeit und Taktik im Fokus. Stimmt das?
Das trifft es ziemlich genau. In der NBA hat jedes Team ein, zwei Stars, auf denen der gesamte Fokus liegt. Ob man gewinnt oder verliert, hängt oft nur von diesen beiden ab. In Europa ist Basketball dagegen wirklich Teamsport. Alle fünf Spieler müssen für den Sieg zusammenarbeiten. Das gefällt mir viel besser, weil ich immer ein Teamplayer war. Meine persönlichen Statistiken haben mich noch nie allzu sehr interessiert. Ich will mit meinen Kollegen gewinnen, nur darum geht’s.
In Europa gelten sogar andere Regeln, Schrittfehler werden strenger geahndet, dafür ist die Dreipunkte-Linie in Amerika weiter vom Korb entfernt. Wie groß ist die Umstellung für einen Spieler?
Die Schiedsrichter nehmen es in den USA mit den Schrittfehlern gerne mal etwas lockerer – solange die Show gut ist. (lacht) In Europa wird technischer gespielt, dazu sind die Schiedsrichter strenger. Die einzig echte Umstellung für mich ist aber, dass wir in der EuroLeague und in der BBL mit zwei unterschiedlichen Bällen spielen. Samstags mit dem, dienstags mit dem anderen. Das ist schon ein bisschen merkwürdig.
In den USA ist der Sport öffentlicher als in Europa. Die Gehälter sind transparent, Reporter dürfen in die Kabine. Wie geht man damit um?
Es ist sehr entspannt. In den USA kommen immer Leute für Fotos, wenn man einfach mal mit seiner Familie in Ruhe essen möchte. Ich denke, die Fußballer können sich auch nicht so frei bewegen, aber generell habe ich schon mitbekommen, dass der Respekt vor der Privatsphäre in Deutschland deutlich höher ist.
Ein Treffen mit Ribéry und Lewandowski
Apropos: Wie sieht es eigentlich mit Deinem Fußballwissen aus?
Das klingt jetzt vielleicht ein wenig kitschig, aber ich bin schon seit vielen Jahren FC Bayern-Fan und habe mir in den USA oft Spiele angesehen. Mein Traum wäre es, mit Bayern das zu schaffen, was Real Madrid im Sommer gelungen ist: Die Basketballer gewinnen die EuroLeague, die Fußballer die Champions League. So etwas muss doch für einen Klub und seine Fans unglaublich sein! Wenn es unsere Spielpläne in den kommenden Wochen zulassen, werde ich auf jeden Fall in die Allianz Arena kommen. Und ich würde sehr gerne einmal Franck Ribéry und Robert Lewandowski treffen – immerhin spielen wir ja jetzt im selben Verein.
Derrick Williams
(Foto Credits: Constantin Mirchbach/FC Bayern)