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Andrea Trinchieri über den Charakter seines neuen Teams, Talente und Corona

Foto-Credit: Christina Pahnke

Nicht nur der FCBB-Tross war diese Woche in Bruneck, auch  Medienvertreter machten einen Abstecher nach Südtirol ins Trainingsquartier der Münchner. Cheftrainer ANDREA TRINCHIERI stellte sich im „Hotel Majestic“ mit Blick auf den Kronplatz den Fragen der Journalisten.

Hier ein ausführlicher Überblick über die wichtigsten Aussagen des 52-jährigen Italieners, der die Bayern zurück in die Erfolgsspur bringen möchte. Trinchieri über . . .

 

. . . den Grad seiner Zufriedenheit nach den ersten beiden intensiven Trainingswochen:

„Wie viele zufriedene Trainer kennt ihr?! Null, oder? Trainer sind vielleicht am Ende der Saison mal zufrieden, wenn sie etwas gewonnen haben. Ich bin nie zufrieden, vor diesem Zustand habe ich eher Angst. Zufriedenheit im September, das ist unmöglich.“

 

. . . den Fitnesszustand des Teams nach einem Frühjahr und Sommer in der Corona-Pandemie:

„Das Schwierigste ist, das Team komplett auf das gleiche physische Level zu bekommen. Es gibt Spieler, die sechs Monate gar nichts gemacht haben, weil die Hallen zu waren, wie etwa in den Staaten. Dann gibt es welche, die bis Juni gespielt haben, etwa hier in der BBL. Also: Alle sind nicht auf derselben Linie. Das nervt mich, aber das wussten wir ja vorher. Wir müssen das jetzt überstehen und dabei zuallererst ohne Verletzungen bleiben. Diesbezüglich sind wir ok, wir haben da nur kleine Probleme. Aber derzeit ist natürlich jeder Tag eine neue Erfahrung. Unser Job ist es, das Team durch diese Phase zu navigieren – indem wir ohne Verletzungen bleiben und alle auf ein physisches Level bringen.“

 

. . . die Position des klassischen Point Guards in seinem Kader:

„Wer arbeitet denn 2020 noch alles mit klassischen Point Guards? Auf die Antwort wäre ich gespannt. Ich tue es nicht. Auch ein Peyton Siva in Berlin ist kein klassischer Point Guard. Ein klassischer Point Guard sagt ein Play an, passt den Ball, geht in die Ecke und so weiter. Man nennt ihn ,Floor General‘. Es gibt aber viele Arten, ein Team zu führen. Wer es bei uns machen wird, das ist noch zu früh zu sagen. Ich habe Ideen dazu, aber wir werden sehen, wie sie aufgehen. Meine Idee ist grundsätzlich, dort Spieler zu haben, die: Defense spielen können, die mehrere Positionen spielen können, die physisch und athletisch sind. Ich denke, DAS ist der moderne Basketball, und wenn du den haben willst, musst du dich sicher von etwas anderem trennen. Gerade jetzt in der Pandemie kannst du eben nicht alles haben (aus finanziellen Gründen; d.Red).“

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. . . den Kaderbau rund um die Guards:

„Es gibt viele Wege, einen Kader zu bauen. Du kannst die Positionen eins bis fünf haben, dazu deren Backups. Das ist aber etwas old school, finde ich. Das soll nicht heißen, dass das schlecht ist, aber jedes Jahr gibt es eben doch weniger Old school-Spieler. Deshalb denke ich, dass ein Trainer flexibel sein muss und anpassungsfähig. Wir haben speziell bei den Guards viele Spieler mit guten Bodys, sie können drei Positionen spielen. Es wird etwas mehr Zeit brauchen, das ist bei einem Projekt ohnehin notwendig. Aber ich denke, dass dieses Projekt sehr interessant sein kann, wenn wir gut daran arbeiten.“

 

. . . den generellen Vorgang der Kaderplanung:

„Zunächst hatten wir mehrere Spieler unter Vertrag, das war der Ausgangspunkt. Die Zukunft dieser Spieler bezüglich ihrer möglichen Entwicklung in einem anderen System mussten wir vorempfinden. Dann wollten wir von außen Multifunktionalität dazu geben, vielseitige Athletik. Der Plan ist also, aggressiv zu verteidigen, im flow und schnell zu spielen.

 

„Wir haben Spieler, die uns auf ein höheres Level bringen können“

Für alle Teams war es eine spezielle Transferphase. Erst haben alle gesagt: ,Wir haben kein Geld, kein Geld!‘ – und die ersten fünf Deals gingen dann gleich für unglaubliches Geld über die Bühne. Wir dagegen haben Spieler geholt, die uns auf ein höheres Level bringen können, indem sie sich zu besseren Spielern entwickeln. Wir brauchen jetzt zwei Dinge: als Gruppe ein besseres Team werden, Tag für Tag. Und die Entwicklung der einzelnen Spieler, dass sie sich verbessern. Das ist die große Herausforderung.“

 

. . . den Umstand, dass es sich bei den Zugängen um fünf Amerikaner handelt? Zufall?

„Ich glaube nicht an Zufälle. Ich denke, dass ist das Ergebnis unserer Möglichkeiten auf dem Markt und der Erwartungen dieser Spieler. Sie wollten alle fünf eine Herausforderung auf dem höheren Level, auf dem höchsten in Europa. Die EuroLeague ist ein Wettbewerb, der dich physisch und mental killt, deine Batterie leerzieht. So lange du aber als Team frisch bleibst, ist das ein Vorteil. Das heißt: Wir brauchten athletische Jungs; welche, die rennen können und die sich schnell regenerieren. Das haben wir auf dem Markt gesucht und sind bei unseren Amerikanern gelandet.“

 

. . . neun internationale Spieler im Kader, von denen in der BBL nur jeweils sechs eingesetzt werden können:

„Unser Antrag, mit neun zu spielen, wurde leider abgelehnt. Das nun zu handhaben, ist aber ganz einfach, denn es gibt klare Parameter: die physische Verfassung, die psychologische, die Anforderung des nächsten Spiels und was der Gegner verlangt; welches Lineup der hat, wie das eigene Team gerade performt und wie man dessen Energie austariert. Wenn du diese Dinge klar bewertest und alles fair anwendest, hast du deine sechs Spieler. Mein Ziel ist es, dabei fair zu bleiben, meine Spieler wissen das. Alles kommt auf den Tisch: Wenn du einen weiteren großen Spieler brauchst für die nächste Partie, nimmst du eben einen zusätzlichen Guard raus. Oder umgekehrt. Manchmal musst du jemanden schonen, dann spielt er weniger oder gar nicht. Das ist kompliziert und eine Challenge, aber ich mag Challenges.“

 

. . . über die Legende von Hunderten Systemen in seinem Playbook einst in Bamberg:  

„Es waren wohl ein paar weniger. Und ich wäre ein sehr mäßiger Trainer, wenn ich unseren Spielern jetzt dasselbe Playbook anbieten würde wie in Bamberg. Du kannst den Job des Trainers mit dem eines Chefkochs vergleichen: Du hast immer unterschiedliche Zutaten auf dem Tisch, scharfe, salzige, süße, Gemüse, Fleisch, Fisch, was auch immer. Aber dein Job bleibt es, ein gutes Essen zu machen. Nur muss man sich halt anpassen. Ich glaube nicht, dass hier mehr als fünf, sechs dieser Systeme überhaupt mal zur Anwendung kommen.“

 

. . . über das Detail der neuen sportlichen Ausrichtung, die Talente George, Grant und Rudan ins Profiteam zu integrieren.

„Ich wäre sehr glücklich, wenn sie am Ende verstehen, welche Chance sie hier haben. Ich hoffe, dass sie versuchen, die beste Version von sich zu zeigen. Wenn wir jedoch erwarten würden, dass junge Spieler keine Fehler machen, dass sie dir nicht auch mal ein Spiel kosten werden, würden wir es falsch angehen.

 

„Unsere jungen Spieler haben eine große Chance“

Sie haben eine große Chance bei uns, davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt. Alles beginnt allerdings damit, dass ein junges Talent die Priorität an den Tag legt, ein richtiger Spieler werden zu wollen. Das kostet viel Hingabe, du musst viel von dir selbst aufgeben und komplett committet sein. Ich versuche, ihnen dabei zu helfen und bin froh, diese Jungs zu haben. Der Schlüssel wird jetzt sein, ob sie dran bleiben, hart zu spielen und ihre Priorität, ein echter Spieler werden zu wollen, auch eine ganze Saison beibehalten. Denn wenn du jung bist, startest du mit viel Enthusiasmus – aber wenn die Dinge schwer werden, verlierst du den Enthusiasmus und deine Prioritäten. Bis hierhin läuft alles wie erwartet mit ihnen und sie machen es gut. Aber es ist eine alte Story: Was du heute getan hast, reicht morgen nicht mehr. Der Weg junger Spieler hat viele Aufs und Abs. Aber: Sie haben Talent. Jetzt schauen wir, ob aus dem Talent mehr werden kann.“

 

. . . über den Unterschied, Talenten zunächst einmal ,nur‘ Training auf EuroLeague-Niveau zu ermöglichen oder zugleich auch Spielzeit:

„Der Einstieg ist natürlich das Training auf höchstem Wettbewerbslevel. Doch ohne dann auch Minuten im Spiel zu bekommen, ohne einem Routinier im Ernstfall zu begegnen, der alle Tricks und Ellenbogen benutzt, um dich zu schlagen – ohne das wirst du kein echter Spieler. Unsere Youngster müssen sich ihre BBL-Minuten jedoch erarbeiten und wenn das aus unterschiedlichsten Gründen nicht geht, spielen sie auch in der ProB und werden herausragende Spieler auf diesem Level. Verantwortung auf deinen Schultern zu tragen, macht dich nur besser, wo auch immer du spielst. Ich habe ihnen von Nikos Zisis erzählt, einem meiner Lieblingsspieler überhaupt. Mit 19 war er Point Guard bei AEK Athen. Er hatte am Samstag 40 Minuten und 25 Punkte im Nachwuchsteam und am Sonntag als Backup bei den Profis zehn, zwölf oder 18 Minuten. Warum können unsere Spieler das nicht auch so machen?“

 

. . . über die Ansage, Alba Berlin angreifen zu wollen:

„Das ist halt vermutlich unser Job. Sie sind in der Burg und wir sind draußen. Sie sind fein eingerichtet mit Möbeln, wir holen noch im Wald das Holz. Sie sind der Champion und wir kommen von einer schlechten Saison. Aber diese Saison ist vorbei. Sie sind vorn und wir versuchen, sie zu bekommen. Das ist das Ziel und nicht irgendeine Rache. Eine Vendetta ist mir zu persönlich. Denn wenn du ein Spiel zu persönlich nimmst, gewinnst du nur einmal.“

 

. . . seine Sorgen, ähnlich wie vergangene Saison bei Partizan Belgrad erneut durch Corona um den Ertrag der Arbeit gebracht zu werden:

„Die Sorge habe ich nicht. Die EuroLeague zu spielen, wird dieses Jahr sicher etwas tricky, weil es um verschiedene Länder, Gesetze, Gesundheitssituationen und Reisebestimmungen geht. Hinter der EuroLeague ist also ein Fragezeichen, weil sich die Situation stetig entwickelt. Aber ich bin sicher, dass die BBL spielen wird. Sie haben mit dem Finalturnier in der allerschlechtesten Zeit überhaupt gespielt. Am BBL-Wettbewerb zweifle ich überhaupt nicht.“

 

. . . mögliche Spiele ohne Zuschauer bis Ende des Jahres:

„In Italien wird jetzt gerade der Supercup mit 25 Prozent der Zuschauerkapazität gespielt. Es wird auf 40 Prozent angehoben werden und dann auf 50. Die BBL war schlau und hat den Start in den November verschoben. Ich bin sicher, dass sie sich auch jetzt den Bedingungen anpassen werden. Die Zahlen der Infektionen sind aktuell unter Kontrolle und verhältnismäßig wirklich gering. Im April war alles zehnmal schlechter. Es kann auch bald einen Impfstoff geben. Deswegen bin ich positiv, die Lage wird sich verbessern. Es gibt also zwei Optionen: Du gibst auf und hisst die weiße Flagge – oder du passt dich an verschiedene Szenarien an und bleibst positiv. Wir bereiten uns jetzt auf den Start am 2. Oktober gegen Mailand vor; wenn es anders kommt, spielen wir kurz darauf den deutschen Pokal aus und danach die BBL. Anders zu denken, ist reine Energieverschwendung.“

 

. . . die Probleme der Reiseplanung:

„Es gibt ja klare Konzepte, mit Plan A, B, C und D. Bei A spielst du und wenn das nicht geht, weil du aus bestimmten Ländern vielleicht nicht einfach so zurückreisen kannst, musst du B hernehmen und vielleicht in ein Drittland gehen, um dort zu spielen. Vielleicht für wöchentliche Bubble-Events: Montag vor dem Flug wird du getestet, dann fliegst du in eine Bubble-Halle; du spielst da Dienstag und Donnerstag, am Freitagmorgen landest du dann und wirst daheim wieder getestet – und spielst am Wochenende in deiner nationalen Liga. Wenn das bis Dezember die Situation wäre, könnte das doch so gehen, wobei das jetzt wirklich nur meine schnellen Gedanken sind.

 

„Wir müssen zeigen, dass es einen Plan zurück ins normale Leben gibt“

Aber ich finde, wir müssen zurück zur Normalität kommen, zum möglichst normalen Leben. Der Frühling war schrecklich, viele waren zu recht depressiv. Der Lockdown und der soziale Abstand waren richtig und okay, aber jetzt müssen die Leute wieder zur Vitalität zurückkehren. Wir sind im Entertainment-Geschäft – wir müssen entertainen! Sicher nicht vor 20.000 Fans, aber dem Publikum gegenüber haben wir auch eine Verantwortung. Wir müssen den Leuten auch zeigen, dass es einen Plan zurück ins normale Leben gibt.“

 

. . . die Wahl des neuen Teamkapitäns:

„Wir haben dazu Ideen. Aber ich schaue jetzt erst, wie sich das Team entwickelt. Wenn du eine gute Pizza machst, lässt du Teig und Zutaten am besten auch erst mal 24 Stunden wirken. Ich denke, das Team wird es dann in ein paar Tagen entscheiden und ich werde nur meinen Stempel draufsetzen müssen: „genehmigt!“ 

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