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Christian Luthardt | Psychologe Nachwuchsfußball | FC Bayern München AG

Geschichte ist das Erforschen von Überraschungen. Wir erleben Geschichte, Überraschung nach Überraschung. Und gerade, wenn wir beginnen zu denken, dass wir bereits alle großen Überraschungen erlebt haben, kommt eine neue. Wenn die ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts uns etwas gelehrt haben, dann ist es, dass Unsicherheit chronisch ist, Instabilität dauerhaft, Disruption allgegenwärtig und dass wir Ereignisse weder vorhersagen noch beherrschen können. Es wird keine „neue Normalität“ geben, es wird lediglich eine dauerhafte Serie von nicht normalen Episoden geben, die jeglichen Vorhersagen trotzen und von den meisten von uns nicht erkannt werden, bis sie geschehen“, schreibt der amerikanische Management-Experte Jim Collins in seinem im Dezember 2020 erschienenem Buch Beyond Entrepreneurship 2.0.

Die psychologischen Auswirkungen der Coronakrise

Die Coronakrise hat uns diese existenzielle Unsicherheit sehr deutlich bewusst gemacht: Covid-19 hat uns mit uns selbst, unseren Ängsten und der Beschränkung unserer Grundbedürfnisse nach zwischenmenschlicher Verbundenheit und Selbstbestimmung konfrontiert. War psychische Gesundheit ein Thema, das vor Corona oft vermeintlich andere betraf, so haben wir in den vergangenen Monaten unsere ganz persönlichen Erfahrungen gemacht, wenn wir an unsere Grenzen kamen beim Versuch, Optimismus, Durchhaltevermögen und unsere innere Balance zu wahren. Die Coronakrise lässt bereits jetzt ein enormes Echo im Bereich psychischer Gesundheit erwarten, welches alle Teile der Gesellschaft betrifft.

Der konstruktive Umgang mit Unsicherheit und die Entwicklung psychischer Widerstandsfähigkeit, von Resilienz, wurde während der vergangenen Monate auch für viele Leistungssportler*innen zu einer wesentlichen Herausforderung. Gerade für diejenigen Sportler*innen, deren Identität und Selbstwert zu großen Teilen auf sportlichen Erfolgen, auf dem Erreichen persönlicher Zielsetzungen basieren, wurden Trainingsverbote, Wettkampfabsagen und sich ständig verändernde Regelungen zu Stressfaktoren, welche sie in ihrer gesamten Persönlichkeit (be)trafen. Dazu kamen der Wegfall der sonst so klaren und getakteten Tagesstruktur des Leistungssports, aber vor allem auch das Getrenntsein von den Teamkollegen.

Vertrauensvolle Beziehungen - Das Fundament psychischer Gesundheit

In dieser Zeit waren es weniger weitere Anstrengungen der Selbstoptimierung oder eines eisernen Durchhaltevermögens, sondern vielmehr das Schaffen von Momenten der Verbundenheit und Gemeinschaft, welche von den jungen Sportler*innen als besonders hilfreich empfunden wurden: Aus dem virtuellen Austausch mit Teamkollegen und Teamkolleginnen und dem Teilen von persönlichen Erfahrungen entstand bei vielen Sportler*innen das stärkende Bewusstsein, dass man in dieser herausfordernden Zeit nicht alleine war. Die Coronakrise gab auch Trainer*innen Gelegenheit, ihre Beziehung und das Vertrauensverhältnis zu den jungen Sportler*innen zu vertiefen und zu verdeutlichen, dass sie sich vor allem für den Menschen interessieren, unabhängig von seiner sportlichen Leistungsfähigkeit.

Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen eine Gemeinschaft, in der wir uns akzeptiert und wertgeschätzt fühlen, in der wir emotionale Unterstützung und Rückhalt erfahren, insbesondere in herausfordernden und schwierigen Situationen. Und ehe wir mit dem Abklingen der Pandemie gedankenlos in unsere alten Gewohnheiten zurückkehren, sollten wir diesen Moment nutzen, um die Art und Weise, wie wir zusammenkommen, wie wir zusammenarbeiten und im Privaten, Sportlichen oder Beruflichen miteinander umgehen, zu reflektieren. Um den Einschnitt, den uns die Coronakrise beschert hat, als eine Gelegenheit zu erkennen, das Alte zu hinterfragen, aus den Erfahrungen der vergangenen Monate zu lernen und Raum zu geben für einen offenen Austausch untereinander.

So schön es ist, wenn die Coronakrise nun langsam abklingt, sie hat sicher bei jedem von uns Spuren hinterlassen, sie wird in unseren Gedanken, Gefühlen und Gewohnheiten nachhallen. Und es wird wichtig sein, dass wir einander Raum geben, unsere Erfahrungen, Gedanken und Gefühle der letzten Monate miteinander zu teilen und eine Fähigkeit neu entdecken, welche uns im Lärm und der Hektik unseres Alltags vor Corona möglicherweise etwas verloren gegangen ist – das Zuhören.

Zuhören: Eine vergessene Disziplin?

Die Fähigkeit zuzuhören ist in unserem Alltag an vielen Orten ersetzt worden durch die Möglichkeit, jeden auszuschließen, besonders diejenigen, die eine andere Meinung vertreten oder die nicht schnell genug zum Punkt kommen. Deshalb ist es mittlerweile für viele Menschen so ungewohnt, wenn sie auf jemanden treffen, der ihnen wirklich zuhört. Wenn wir mit aufrichtigem Interesse auf das reagieren, was andere Menschen sagen und sie ermutigen, uns mehr zu erzählen, dann scheinen viele Menschen überrascht, als sei dies eine neuartige Erfahrung. Sie entspannen sich und formulieren ihre Gedanken klarer, in dem Wissen, dass wir sie nicht drängen, unterbrechen oder auf unser Smartphone schauen werden. 

Nur mittels unseres Zuhörens knüpfen wir Verbindungen zueinander, erweitern unser Verständnis, fühlen uns in andere Menschen und Situationen ein und entwickeln uns als Menschen. Zuhören ist die grundlegende Basis jeder erfolgreichen Beziehung - egal ob im persönlichen, beruflichen oder politischen Kontext. Wirklich zuzuhören heißt nichts anderes als körperlich, emotional und intellektuell bewegt zu werden durch die Geschichte eines anderen. Zuhören geht darüber hinaus, nur zu hören, was andere Menschen sagen. Es geht auch darum, aufmerksam dafür zu sein, wie sie es sagen und was sie tun, während sie es sagen, in welchem Kontext und wie das, was die andere Person sagt, bei uns auf Resonanz stößt. Es geht nicht einfach nur darum, stillzuhalten, während der andere spricht. Vielmehr das Gegenteil davon. 

Zuzuhören erfordert mehr als alles andere eines - Neugier. Aufrichtige Neugier und ehrliches Interesse an den Gedanken und Gefühlen der anderen Person. Es ist das Bestreben, die Perspektive eines anderen zu verstehen und die Erwartung, dass Du überrascht werden wirst von dem, was Du hören wirst und dass Du aus dieser Erfahrung etwas lernen wirst. Und das Gefühl, dass einem wirklich zugehört wird, hat eine heilende und stärkende Wirkung.

Die Coronakrise als Spiegel: Existenzielle Fragen

Die Coronakrise hat uns mit der Frage konfrontiert, was in unserem Zusammenleben wirklich wichtig ist. Was brauchen wir für ein sinnerfülltes und gelingendes Leben? Worauf können wir verzichten? Was ist Erfolg? An welchen Werten wollen wir unser Handeln ausrichten? Welches Vermächtnis wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Wie können wir in unseren Unternehmen, Sportvereinen oder Organisationen gemeinsam ein Umfeld gestalten, in dem wir uns zugehörig fühlen, dass unsere psychische Gesundheit achtet und fördert und in dem wir resiliente Teams entwickeln, die lernen, konstruktiv und flexibel mit chronischer Unsicherheit und ständigen Veränderungen umzugehen?

Keine Frage: Wir haben während Corona viel verpasst. Wir wollen wieder Dinge erleben. Freunde treffen, reisen, etwas erleben. Aber wir sollten bei all dem nicht vergessen, uns diesen Fragen zu stellen, um gemeinsam sinnstiftende und werteorientierte Antworten für die Zukunft zu finden.

 

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