
„Du kannst mir gratulieren, das war mein erster BBL-Sieg!“ Erleichtert war Pablo Laso schon, als am Freitagabend die große Premierenshow samt Glasboden-Spektakel und diversen Debüts erfolgreich über die Bühne des BMW Park gegangen war. 22 Titel mit Real Madrid, eine eigene erfolgreiche Karriere, das alles mag er ja bereits erlebt haben – doch das Abenteuer in München, Deutschland, ist auch für den bald 56-jährigen Basketballlehrer aus dem spanischen Baskenland eine Reise ins Ungewisse.
Am Sonntag führt sie nach Oldenburg, wo der FCBB am Montag (20 Uhr, DYN) antritt. Ein „51“-Gespräch mit einem, der insgesamt doch sehr entspannt mit großen Erwartungen umgeht.
Coach Laso, Entschuldigung für diese erste Frage, aber wie oft sprechen die Leute mit Ihnen über die „Ted Lasso“-Stream-Serie?
(lacht) Ich werde tatsächlich oft darauf angesprochen – und alle erzählen mir, wie toll diese Serie ist. Gesehen habe ich sie noch nicht, aber ich hole das nach, wenn wir demnächst viel unterwegs sind.
In der Serie geht es um einen Trainer, der seinen Spielern hilft, die beste Version ihrer selbst zu werden und nicht nur Spiele zu gewinnen . . .
Das ist, was einen Trainer ausmacht: jemand zu sein, der das Beste aus den Spielern herausholen kann. So wie ein Vater, der seinen Söhnen helfen möchte, besser zu werden. Ein Trainer versucht dasselbe und hat dazu noch den Druck, Spiele zu gewinnen, weil das die Fans und Medien von ihm erwarten.
Alles für den Sieg? „Das ist kurzsichtig“
Sie haben von der „Tyrannei des Ergebnisses“ gesprochen und gesagt, dass Sie nicht daran glauben. Was haben Sie damit gemeint?
Ich möchte auf jeden Fall alle Spiele gewinnen. Aber wir alle wissen: Es ist unmöglich. In Madrid gab es Zeiten, in denen wir gewonnen haben und ich nicht zufrieden war, weil ich fand, dass wir es besser hätten machen können, und manchmal haben wir nicht gewonnen, aber ich war trotzdem sehr zufrieden. Ergebnisse sind sehr wichtig, sie sind Teil unseres Lebens. Dennoch halte ich es für kurzsichtig, wenn man denkt, dass Siege das Wichtigste sind. Vielmehr möchte ich meine Spieler formen, um sagen zu können: Wir haben vielleicht nicht jede Trophäe geholt, und trotzdem war die gemeinsame Zeit ein Gewinn.
Aber die meiste Zeit haben Sie in Madrid gewonnen, stolze 22 Titel. Würden Sie anders denken, wenn Ihre Titelsammlung nicht so groß wäre?
(lächelt) Natürlich ist es einfacher, in Ruhe nach meinen Ideen weiterzuarbeiten, solange ich gewinne. Aber mein Ziel hier ist nicht, einfach nur das nächste Spiel zu gewinnen. Ich möchte der Mannschaft helfen. Für mich ist das Gewinnen ein Teil des Gesamtprozesses.

Sie hatten letztes Jahr einen Herzinfarkt. Sind Sie bereit für die große Aufgabe in München?
Ich hatte nie das Gefühl, dass es um Leben oder Tod ging. Ich wachte nachts auf, fühlte mich nicht gut, ging auf die Toilette, kam zurück und schlief wieder ein. Am nächsten Morgen bat mich meine Frau, dass ich mich untersuchen lassen sollte. Dort wurde mir dann gesagt, was los war. Der Infarkt war an einem Samstagabend, am Sonntag und Montag war ich in der Klinik zum Check. Danach habe ich zu meinem Doc gesagt, dass ich jetzt wohl mein Leben ziemlich umstellen müsse. Und er meinte nur: „Pablo, mach, was du willst, du bist jetzt gesünder als noch am Freitag.“ Die ganze Geschichte hat mir dennoch geholfen, Dinge anders zu sehen. Aber es geht mir gut, ich fühle mich topfit.
Plötzlich waren Sie aber dann erst einmal raus aus der Basketball-Dauerschleife …
Ehrlich gesagt, war das am Anfang total seltsam. Seit ich 16 bin, spiele ich Basketball und trainiere. Und plötzlich musste ich mich nicht auf ein Spiel vorbereiten. Ich habe viel Basketball im TV gesehen und denke, ich habe jetzt noch einmal einen neuen Blickwinkel auf den Sport.
„Der deutsche Basketball ist im Kommen“
Und dann haben Sie sich entschlossen, nach München zu kommen. Warum?
Ich kenne Marko Pesic und seine ganze Familie seit Jahrzehnten, wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Und seit dem ersten Tag, an dem ich mit ihm über Bayern gesprochen habe, hatte ich das Gefühl, dass wir die gleiche Vision haben. Außerdem scheint es der ideale Moment zu sein: Der deutsche Basketball ist im Kommen, nicht nur wegen des WM-Siegs, sondern auch weil sich die Liga stark verbessert hat. Es war, als ob etwas in mir sagte, dass ich mich für das Richtige entschied.
Vor ein paar Jahren schien die Weltmeisterschaft für Deutschland noch unmöglich. Was glauben Sie, hat zu dieser einmaligen Chance geführt?
Die Deutschen haben großartige Spieler, die eine enorme Entwicklung hinter sich haben. Und dazu hat Gordon Herbert eine perfekte Mischung zusammengestellt. Die Deutschen hatten die nötige Geduld, um die WM zu gewinnen. Sie haben letztes Jahr bei der EM im Halbfinale gegen Spanien verloren. Ein starkes Spiel, das sie genauso hätten gewinnen können. Aber niemand hat sich verrückt gemacht. Sie haben abgewartet und wussten, dass sie jetzt konkurrenzfähig sind.
Wie wichtig ist Geduld im Profisport?
Geduld ist das Wichtigste, was man haben muss, aber das Schwierigste, was man bekommen kann. Und ich erkläre Ihnen auch, warum: Wir Profis haben jede Woche ein, zwei, drei Spiele, und jeder wird Sie danach beurteilen, ob Sie gewinnen oder verlieren. Aber wenn man etwas aufbauen will, braucht das Zeit. Die deutsche Basketballmannschaft hat gezeigt, dass man mit Geduld zum Ziel kommt.
Wie wollen Sie die neue Energie, die Ihre drei Weltmeister haben, in Ihr Team bringen?
Kurz nach dem Titelgewinn sagte Andi Obst, er wolle unbedingt nach München und mit mir trainieren. Aber er brauchte ein paar Tage frei. Wenn die Jungs ihren Erfolg genießen und verinnerlichen, hilft mir das viel mehr, als wenn ich sie ein paar Trainingseinheiten früher bei mir hätte. Andi, Niels und Isaac kommen mit all ihrer Energie. Alle hier in München waren glücklich, dass sie gewonnen haben. Das zeichnet ein Team aus, wenn die Kollegen sich über den Erfolg der anderen freuen.
Sind die Erwartungen an die Mannschaft mit drei Weltmeistern noch höher?
Erwartungen müssen beim FC Bayern immer hoch sein. Wir wollen vom ersten Tag an konkurrenzfähig sein. Wütend sein, wenn wir verlieren. Glücklich sein, wenn wir gewinnen. Gleichzeitig müssen wir aber auch die richtige Perspektive für die Zukunft haben. Und das ist etwas, das man sich Tag für Tag erarbeiten muss. Mir geht es darum, dass wir ein Team haben, in dem jeder das Gefühl hat, dass es wichtig ist, jeden Tag sein Bestes zu geben.
„Es ist egal, was du vorher gemacht hast“
Sie haben ein Buch über das Gewinnen geschrieben, das in Spanien ein Bestseller ist. Müssen die Spieler es lesen?
Nein, vergessen Sie’s. Ich bin kein Typ, der sich zu sehr auf die Vergangenheit verlässt. Ich versuche, immer vorauszudenken. Ein kleines Geheimnis als Beispiel: Wenn man in der spanischen Liga 1.500 Assists macht, bekommt man ein Geschenk. Das habe ich als Spieler geschafft. Ich habe aber keine Ahnung, was es ist und wie es aussieht. Wahrscheinlich hat es meine Mutter in Vítoria, meiner baskischen Heimatstadt. Wenn ich an dem festhalte, was ich getan habe, bekomme ich keinen Pass nach vorne. Würde ich meinen Spielern sagen: „Hey, ich bin Pablo Laso, der Typ, der mit Real Madrid alles gewonnen hat“ – welche Antwort bekäme ich dann wohl? „Okay, cool, aber wir sind Bayern München. Wir wollen morgen gewinnen. Es ist uns egal, was du vorher gemacht hast.“
Sie waren elf Jahre lang Trainer in Madrid. Wie wichtig ist es für Sie, sich mit dem Verein zu identifizieren oder der Mannschaft lange Zeit treu zu bleiben?
Identität ist für alle sehr wichtig, für den Trainer, für die Spieler, für die Fans. Sie ist das Fundament dieses Clubs, sie bildet den Kern des Teams. Und wenn man in diesen Kern hineinkommt, kann man nicht so leicht von Außenstehenden verletzt werden. Bayern München hat das. Wenn Sie ein Kind in Südamerika fragen, wer die Champions League gewinnt, wird es fünf oder sechs Namen nennen, und Bayern wird dabei sein. Wie schaffen Sie das? Identität! Mir war sofort klar, dass ich zu einem außergewöhnlichen Club komme.
Warum gibt es im Basketball so selten Kontinuität – und warum gelingt das jedoch beim FC Bayern?
Wenn man hierherkommt, hört man sehr oft, dass sich die Menschen diesem Club verpflichtet fühlen. Das ist in der Tat ein wichtiger Aspekt bei Bayern. Es bedeutet eine tiefere Verbundenheit, als nur den persönlichen Vorteil zu suchen. Spieler wie Vladimir Lucic verkörpern dieses Engagement, er ist seit sieben Jahren bei Bayern und hat sich zu einem Aushängeschild entwickelt. Mein Ziel ist es, dieses Engagement in der Mannschaft zu kultivieren.
Die oft zitierte FC Bayern-Familie, zu der auch Ihr Freund Xabi Alonso gehört, der gerade mit Bayer 04 Leverkusen erfolgreich ist.
Xabi und ich kommen beide aus dem Baskenland und kennen uns schon lange. Wenn man mit ihm spricht, weiß man, dass er mal ein sehr erfolgreicher Trainer wird. Die Art, wie er sich permanent weiterentwickelt, spricht sehr für ihn: Er hatte als Spieler bereits alles erreicht, war Weltmeister, Champions League-Sieger – und wollte Real dann verlassen und zum FC Bayern kommen, um hier von Pep Guardiola lernen zu können. Dieser Typ liebt Fußball, ein wunderbarer Mensch.
Wie haben Sie den FC Bayern früher von Madrid aus gesehen?
Mir war immer klar, dass der FC Bayern auch im Basketball darauf bedacht sein wird, eine internationale Marke zu werden. Dafür brauchen wir auch eine Geschichte. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich so gerne dabei bin: Ich möchte Teil dieses Klubs sein, der immerzu wachsen will.
Für Real-Fans soll „la Bestia Negra“ der Spitzname für den FC Bayern sein . . .
Keiner will in Spanien gegen Bayern München spielen. Das wollen wir im Basketball auch erreichen. Für mich ist dieser Fakt noch wichtiger, als am Ende zu gewinnen: Jemand erkennt an, dass man sehr wettbewerbsfähig ist. Es sollte schwierig sein, gegen uns zu spielen. Wir wollen die Philosophie vermitteln, dass wir den anderen Teams Angst machen. Dass sie sagen: Okay, wir spielen gegen Bayern München, das wird schwierig. Wir müssen eine „Bestia Negra“ nicht nur für eine einzige Mannschaft sein. Was bringt es mir, gegen Real zu gewinnen und gegen alle anderen zu verlieren? Wir wollen eine „Bestia Negra“ f ür ganz Europa sein.
Die Interview-Strecke gibt es gedruckt in der aktuellen Ausgabe des FCB-Mitgliedermagazins „51“.
Foto Headerbild: Jonas Nefzger