Die historische Sensation ist ausgeblieben, aber für diese Performance sind alle Hüte zu ziehen: Die Bayern-Basketballer haben am Dienstagabend im ausverkauften Palau Blaugrana das große Finale um den Einzug ins Final Four der EuroLeague trotz einer mitreißenden kämpferischen Leistung verloren - die Playoff-Serie geht 3:2 an den erklärten Titelfavoriten. In einem faszinierend intensiven Duell fünf verlangte der Außenseiter dem spanischen Edelteam um Superstar Nikola Mirotic alles ab und führte zur Halbzeit 37:31, ehe sich Barças Tiefe bis zum 81:72-Endstand durchsetzte.
Zur Halbzeit 37:31 vorn
Im betäubenden Lärm von knapp 7.500 Katalanen eröffnete der Hauptrunden-Erste mit einem 7:2 - aber die Bayern waren da und blieben kühl: 17:11 nach acht Minuten. Der Favorit scorte viel über seine riesengleichen Big Men und früh entwickelte sich ein erbitterter Schlagabtausch. Barcelona holte ein paar Rebounds und offene Würfe mehr, doch die Münchner schufteten gegen alle Widerstände und ging dank des Buzzer-Dreiers von Ognjen Jaramaz (17 Punkte) mit Zuversicht in die Pause.
Topscorer Hunter trifft Dreier
128 Sekunden nach Wiederbeginn war der Vorsprung aber aufgebraucht (37:38). Mirotic versuchte zu übernehmen und dem FCBB glückten in fünf Minuten nur fünf Punkte gegen eine beinharte Defense. Das 48:61 (28.) war der bis dahin höchste Rückstand, 15:29 musste man das Viertel abgeben. Andrea Trinchieris Männer um Topscorer Othello Hunter (18/2 Dreier) ließen ihr Herz auf dem Parkett - doch den Unterschied machten letztlich die Dreier-Quoten (50 zu 36 %) und die übermächtige Fülle an Qualität beim vom Argentinier Laprovittola (26) angeführten Vorjahresfinalisten.
FC Barcelona - FC Bayern Basketball 81:72 (31:37)
FCBB:
Othello Hunter (18 Punkte), Ognjen Jaramaz (17), Nick Weiler-Babb (10), Zan Mark Sisko (8), Vladimir Lucic (6 Punkte, 10 Rebounds), Deshaun Thomas (6), Andreas Obst (5), Augustine Rubit (2), Leon Radosevic, Gavin Schilling, Jason George, Nihad Djedovic.
Topscorer Barcelona:
Laprovittola (26 Punkte)
Schiedsrichter
Borys Ryzhyk, Mehdi Difallah, Olegs Latisevs
Zuschauer
7.444
Die Punkteverteilung nach Vierteln (Sicht des FCBB): 19:18, 18:13, 15:29, 20:21
Zahlen & Fakten - Zweier-Quote: 53% (FCBB) // 44% (Barca); Dreier-Quote: 36% // 50%; Freiwurf-Quote: 75% // 92%; Rebounds: 29 // 35; Assists: 11 // 16; Ballverluste: 11 // 9
Die Stimmen:
Andrea Trinchieri, Chefcoach FCBB: "Erst einmal möchte ich Barcelona gratulieren. Sie haben ein großartiges drittes Viertel gespielt, wie ein Championship-Team spielt, und gehen zum Final Four. Ich wünsche ihnen dafür alles Beste. Mein zweiter Gedanke geht an meine Mannschaft: Ich war noch nie so stolz auf meine Spieler wie heute. Wir könnten jetzt stundenlang über Fehler sprechen, doch sie haben heute Abend wieder drei unglaubliche Viertel hingelegt und sind dabei über unser Limit gegangen; so weit, wie es eben ging. Das dritte Viertel hat uns das Spiel gekostet. Wir haben versucht, den Korb zu attackieren, kamen aber nicht an die Freiwurflinie. Der andere Faktor war die Laprovittola-Nacht, er hat eine unglaubliche Leistung gebracht. Ich bin nicht deprimiert – ich bin stolz wie nie zuvor auf mein Team. Es war eben auch eine andere Mannschaft mit auf dem Feld und im dritten Viertel haben sie meisterhaft gespielt. Deswegen haben sie gewonnen. (…)
Ich habe meinem Team gesagt, sie sollen nach diesem Spiel nichts mehr im Tank haben. Sie haben alles gegeben. Nur ein kompliziertes Viertel nach der Pause hat es verhindert, ein ganz enges Spiel zu haben. (…) Wir waren richtig drin in dieser Serie und sind hierhergekommen, um zu gewinnen. Ich will jetzt nicht zu weit gehen, ich bin einfach stolz auf meine Spieler und das ist das Einzige, was ich von diesem Spiel behalten will. Ich fühle, was für einen Charakter mein Team gezeigt hat und alles versucht, gegen jeden Nachteil anzukämpfen. Wegen dieser Kultur und Werte bin ich so stolz. (…)
Othello ist ein großartiger Profi, ein echter Veteran. Ich denke, unser Verein hat sehr gut verstanden, einen Veteranen wir Othello zu stimulieren. Er hat uns nicht weniger als sein Bestes gegeben, in der Kabine und auf dem Court. Mit Lucic zusammen ist er unser Kernstück. Ich hoffe, dass ich ihn ein weiteres Jahr vom Rücktritt abhalten kann. Er hat jetzt mit Emilio (Kovacic) begonnen, an seinem Dreier zu arbeiten, das war heute das Resultat. Solche Spieler sind wie ein guter Rotwein, sie werden mit den Jahren noch besser.“
Ognjen Jaramaz: "Ich bin sehr stolz auf dieses Team. Wir haben die ganze Saison über gekämpft, mit allem: Corona, Verletzungen – denk daran, Corey Walden fehlt, Hilliard fehlt. Aber wir sind trotzdem in die Playoffs gekommen, ins fünfte Spiel, und deshalb bin ich sehr stolz. Natürlich bin ich traurig wegen der Niederlage, ich denke, wir hätten in der zweiten Hälfte besser spielen können. Barcelona kam gut in die zweite Hälfte, wir haben sie zu einfachen Punkten kommen lassen, was wir in der ersten Hälfte nicht zugelassen haben. Das dritte Viertel war der Knackpunkt. Die Atmosphäre war toll und definitiv ein Vorteil für das Heimteam."
Marko Pesic, Geschäftsführer FC Bayern Basketball: "Glückwunsch an Barcelona für diese großartige Leistung heute. Wir sind natürlich jetzt alle riesig enttäuscht, aber von ganzem Herzen Glückwunsch an die Trainer, an das Team für diesen Charakter, diese Einstellung, niemals aufzugeben. Man hat gesehen, was Heimvorteil bedeutet, dafür spielt man die reguläre Saison. Dazu kam dann die individuelle Klasse von Mirotic und Laprovittola, aber großen Respekt an das gesamte Team. Im ersten Spiel waren wir in einem Viertel nicht da, ansonsten waren wir immer da. Der Charakter der Mannschaft ist, dass sie nie aufgibt. Man kann nur großen Respekt haben vor diesen Jungs."
Sarunas Jasikevicius, Chefcoach Barcelona: "Glückwunsch an Coach Trinchieri. Ich bin froh, dass wir eine gute Beziehung zueinander haben. Er weiß definitiv mehr über Wein als ich. Möglicherweise weiß er auch mehr über Basketball als ich. Ich bin froh, so einen Gegner zu haben. Das macht mich zu einem besseren Coach. Wir haben die Rotation stark gekürzt. Wir haben über unsere Ausgangssituation in den letzten 48 Stunden mit dem gesamten Team geredet. Denn es sah nicht gut für uns aus. Es war wichtig, dass wir heute nicht in Foulprobleme gekommen sind. Denn in der ersten Halbzeit war es wieder verdammt eng. Jeder, der Euroleague spielt weiß, wie schwer es ist, in das Final Four zu kommen. Jetzt haben wir es geschafft und müssen regenerieren, um in unserer besten Form nach Belgrad zu fahren."
Das Spiel:
Nick Weiler-Babb, Nihad Djedovic, Valdimir Lucic, Augustine Rubit und Leon Radosevic begannen das historische Spiel im ausverkauften Palau Blaugrana. Barcelona war direkt anzumerken, dass sie konzentrierter auftreten wollten als noch in Spiel vier. Gerade der frisch in die Starting Five gerückte Brandon Davies stellte die Bayern-Defense vor eine schwere Aufgabe. Aber die Münchner ließen sich davon nicht im Ansatz irritieren und kamen über ihre Guards Weiler-Babb und Ognjen Jaramaz perfekt in die Partie (9:9/ 5.Minute). Und dann kam Othello Hunter mit einer Machtdemonstration von der Bank. Nach einem Zauberanspiel von Lucic flog der erfahrene Center über Roland Smits hinweg und vollendete einen 11:0-Lauf (15:9). Nun war es am Team von Sarunas Jasikevicius zu antworten, was sie nach einer wutschnaubenden Auszeit des Litauer Chefcoaches auch taten. Wie die komplette Playoff-Serie blieb auch das erste Viertel somit auf Augenhöhe (19:18).
Auch im zweiten Viertel war bei den Gästen keine Spur von Nervosität zu spüren. Vielmehr bedurfte Nikola Mirotic ein wenig Glück, um seinen wackeligen Dreier über den Ring reinrollen zu lassen. Das Trinchieri-Team blieb dagegen aufmerksam und nutzte drei Steals für einfache Punkte von Andreas Obst, Weiler-Babb und Lucic (27:24/16.). Mit viel Einsatz und cleverem Doppeln entnervten die Bayern ihren Gegner, was sich an der erneut ausbaufähigen Wurfquote Barcas widerspiegelte (38 Prozent in der ersten Halbzeit). Zan Mark Sisko hievte währenddessen die Offensive auf seine Schultern und brachte zwei Floater über den 20 Zentimeter größeren Sertac Sanli unter. Ein wahnsinniger Dreier über das Brett von Jaramaz setzte den Schlusspunkt auf eine erneut herausragende erste Hälfte (37:31).
Barca dreht in Viertel drei auf – Bayern kämpft bis zum Schluss
Einen ersten verstohlenen Blick auf das mögliche Final Four verschleierten die Hausherren gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit mit einem 7:0-Lauf – Auszeit Trinchieri. Ein schier unmöglicher Dreier von Jaramaz, dem der Ball schon fast verloren ging, bremste den Titelfavoriten ein wenig (42:43/24.). Doch die Katalanen waren nun kaum aufzuhalten und ließen kaum noch einen einfachen Wurf zu. Spielmacher Nicolas Laprovittola drehte komplett durch, versenkte zwei extrem schwere Dreier und brachte es im Alleingang auf 13 Punkte im dritten Viertel. Mit viel Mühe und wilden Treffern von Obst und Deshaun Thomas mühten sich die Gäste, irgendwie in Schlagdistanz zu bleiben. Das dritte Viertel ging mit 29:15 dennoch klar an Barcelona (52:60).
Im Schlussviertel stimmte die Defensive der Münchner wieder. Mehr als zwei Minuten brauchte es, bis Mirotic einen Dreier versenkte. Das Problem blieb die eigene Offensive. Viele Angriffe endeten mit dem Ablauf der Schussuhr und einem schweren Abschluss. Hunter fand unter dem Korb die Antwort und brachte Jasikevicius zum Rasen und einem technischen Foul (55:63/33.). Zum unpassendsten Zeitpunkt fand Aufbauspieler Nick Calathes seinen Touch und behielt das feine Auge für Brandon Davies. Wieder war es Hunter, der die Hoffnung mit einem Monsterblock und zwei Dreiern am Leben hielt (65:74/34.). Doch langsam lief den Gästen die Zeit davon. Mit all der Erfahrung drehte Barca an der Uhr, bevor die Lösung wieder Laprovittola hieß. Mit seinem Dreier setzte der erfahrene Spielmacher den Deckel auf die bis zum Schluss hart umkämpfte Serie (72:81).
Fotos: Stickel, Eirich, Molina