© Fotos: Roderick Aichinger
In diesem Sommer feiern Stürmerlegende Giovane Élber und Stadionsprecher Stephan Lehmann runde Geburtstage. Élber wird am 23. Juli 50, Lehmann am 23. Juni 60. Mit dem Clubmagazin „51“ haben die beiden Fanlieblinge im Biergarten schon einmal angestoßen und von Gänsehautmomenten vor großem Publikum erzählt - hier ein Auszug des Gesprächs.
Das Interview mit Stephan Lehmann und Giovane Élber
Stephan, wie dankbar ist man als Stadionsprecher für einen Typen wie Giovane Élber?
Lehmann: „Unendlich dankbar. Etwas Besseres kann dir nicht passieren: Ein Typ, der von der Eckfahne ins Tor schießt oder sich beim Jubeln in einen Teppich einwickelt. Man hat dir immer angemerkt, Giovane, dass du Fußball gespielt hast, weil es aus deinem Innersten herauskam, du hast es immer als Geschenk betrachtet.“
Was war dein Lieblings-Élber-Tor?
Lehmann: „Es war gar nicht eines seiner schönsten Tore, wie das Tor des Jahres 1999 von der Eckfahne gegen Rostock - aber dafür für mich eines der emotionalsten Bayern-Tore überhaupt. Im Estádio Bernabéu in Madrid…“
Élber: „Ah, ich bekomme Gänsehaut…“
Lehmann: „… Halbfinal-Hinspiel in der Champions League 2001: Giovane hat den 1:0-Siegtreffer geschossen, mit links, die Grundlage zum Final-Einzug. Wir haben fast die Tribüne abgerissen vor lauter Freude.“
Élber: „Zwölf Tage zuvor war ich noch am Knie operiert worden. Aber ich wollte unbedingt spielen. Ottmar Hitzfeld meinte: ‚Vielleicht zweite Halbzeit, Giovane. Wir haben noch das Rückspiel.‘ Ich sagte: ‚Trainer, ich habe gut trainiert und bin gut drauf. Lass mich spielen, wie immer!‘ In der zweiten Halbzeit bekomme ich aus dem Nichts den Ball, drehe mich, schieße ihn direkt aufs Tor - und er war drin. Aus 20 Metern im Bernabéu!“
Lehmann: „Und dann hast du dein Knie geküsst (lacht). Ich glaube, Iker Casillas hat nicht damit gerechnet, dass du einfach draufhältst. Du hast ihn überrascht.“
Hört man eigentlich den Stadionsprecher, nachdem man ein Tor erzielt hat?
Élber: „In dem Moment hörst du erst mal gar nichts. Auch nicht den Jubel der Fans. Aber dann kommt: ‚TOOOR! Mit der Nummer neun: Giovane…‘ Das hörst du, das geht dir unter die Haut. Oder auch wenn du vor dem Spiel darauf wartest, auf den Rasen zu dürfen, da hörst du, wie Stephan die Aufstellung ankündigt, und denkst dir: Wahnsinn!“
Lehmann: „1996 habe ich als Stadionsprecher angefangen, 1997 kam Giovane. Wir hatten schöne gemeinsame Jahre im Olympiastadion. Die Allianz Arena wurde erst 2005 eröffnet.“
Élber: „Das Olympiastadion war mein Zuhause. Aber es gab ein Spiel, bei dem ich traurig war, dort ein Tor geschossen zu haben.“
Im November 2003 mit Lyon gegen Bayern?
Élber: „Genau. Und Stephan musste es ansagen: ‚TOR für Olympique Lyonnais! Mit der Nummer neun…‘ Und dann hat das ganze Stadion gerufen: ‚Giovane Élber!‘ Das war Gänsehaut!“
Lehmann: „Dass die Bayern-Fans so reagieren würden, hat mich damals nicht überrascht. Giovane war immer alles: ein begnadeter Fußballer und einer, der abseits des Platzes stehen geblieben ist, wenn er angesprochen wurde, auch wenn er gerade wenig Zeit hatte. Du hast wirklich nie den Eindruck gemacht, dass dir der Fan egal ist.“
Lässt sich der Name Giovane Élber denn gut ins Mikrofon schreien?
Lehmann: „Oh, der Name ist wie eine Welle: GI-O-VA-NE! Und das Élber geht auch gut über die Lippen.“
Nach dem 11. September 2001 formte Giovane beim Torjubel die Friedenstaube. Du hast also auch eine ernste Seite, Giovane?
Élber: „Das war gegen Freiburg, wir haben 1:0 gewonnen. In der Kabine, im Hotel, haben wir nur über die USA geredet - aber wir mussten spielen.“
Lehmann: „Die Welt war in einer kollektiven Schockstarre.“
Élber: „Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf Fußball, aber ich konnte ja auch nicht nichts machen, wenn ich ein Tor schieße. Und dann habe ich eine Friedenstaube gemacht.“
Lehmann: „Solche Momente, in denen auch der Spaßvogel Giovane Élber ganz ernst ist, bleiben einem besonders in Erinnerung. Ähnlich geht es mir mit dem Champions League-Finale 2020 in Lissabon: Pandemie, Geisterspiel - so ein Endspiel ohne Zuschauer! Ich weiß noch, wie wir beide in das leere Rund geschaut haben und uns überlegt haben, was hier normalerweise los wäre.“
Ihr habt dann auf der Tribüne richtig Rabatz gemacht. Die Delegation von Paris hat sich ganz schön gewundert.
Élber: „Nach dem Spiel hatte ich keine Stimme mehr.“
Lehmann: „Wir haben uns gesagt: Jetzt machen wir die Südkurve! Und dann haben wir alles gegeben. Ich habe danach gehört, dass man uns zu Hause am Fernseher sehr gut vernommen hat. ‚Hurra, hurra, die Bayern, die sind da!‘“
Élber: „Wir leben für diesen Verein. Und wir wollten, dass die Spieler hören, dass sie nicht allein sind.“
Giovane, erinnerst du dich noch, wie du zum ersten Mal vor ganz großem Publikum gespielt hast?
Élber: „Das war 1991 mit Brasilien im Finale bei der U19-WM gegen Portugal. 128.000 Zuschauer im alten Estádio da Luz in Lissabon! Ich habe Zeit gebraucht, bis ich im Spiel war - und dann habe ich im Elfmeterschießen verschossen. Wir haben 2:4 verloren. Am liebsten hätte ich ein Loch gegraben und mich versteckt.“
Wie war es für dich, Stephan, zum ersten Mal im Olympiastadion unten auf dem Rasen zu stehen?
Lehmann: „August 1996, 2. Spieltag, Heimspiel gegen VfL Bochum, Endstand 1:1. Ich bin tausend Tode gestorben! Furchtbar! Gigantisch! Ich hatte zwar Routine mit dem Mikrofon, aber trotzdem doppelt und dreifach Angst, einen Fehler zu machen.“
Élber: „Hast du das vorher zu Hause geprobt?"
Lehmann: „Nein. Das geht nicht. Ich wusste, man muss ins kalte Wasser geschmissen werden. Aber ich hatte Glück. Als ich vor dem Spiel als neuer Stadionsprecher vorgestellt wurde, hat mich die Südkurve total herzlich empfangen.“
Élber: „Ich habe gehört, dass du seitdem kein einziges Heimspiel verpasst hast. Wie schafft man das?“
Lehmann: „Mittlerweile stimmt das nicht mehr ganz. Wegen Corona. Im April 2021 musste ich beim Heimspiel gegen Leverkusen aussetzen, ein Geisterspiel. Aber eigentlich habe ich eine robuste Natur. Natürlich ist man mal verschnupft, aber das geht dann schon. Über 26 Jahre habe ich tatsächlich nur ein Spiel verpasst.“
Ihr seid für die Fans beide Legenden. Was bedeutet euch das?
Élber: „So was kann man sich nicht erträumen. Vor Kurzem war ich in Paris und habe Leute getroffen, die noch so lange nach meiner aktiven Zeit ein Foto mit mir machen wollten. Sie erzählen von meinen Toren, meinen weißen Schuhen, von der Bierdusche, die ich 1998 eingeführt habe. Die Fans haben gespürt, dass Fußball kein Beruf für mich war. Es war meine Leidenschaft. Und ich habe versucht, mein Bestes zu geben, damit die Fans nach dem Spiel nach Hause fahren und sagen: Es war schön, den Giovane auf dem Platz zu sehen.“
Lehmann: „Der Begriff Legende bedeutet für mich, dass man einer Sache lange treu geblieben ist, sie durchgezogen hat und nicht gleich das Handtuch wirft, wenn mal etwas nicht so gut läuft. Auf der anderen Seite denke ich mir: Verdammt, ich werde alt (lacht)!“
Élber: „Das Schönste für mich ist, dass mich die Fans in die Jahrhundertelf des FC Bayern gewählt haben. In 100 Jahren haben so viele gute Fußballer beim FC Bayern gespielt - und dann wirst du von den Fans gewählt, neben Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Stefan Effenberg… Das freut mich richtig. Bei uns in Brasilien kommst du nur ins Museum, wenn du stirbst (lacht).“
Ihr sitzt beide hier anlässlich eurer Geburtstage. Was wünscht ihr euch jetzt zu eurem Ehrentag?
Élber: „Ich wünsche mir Gesundheit, das ist alles. Und das Gleiche wünsche ich dem FC Bayern. Dass er ein gesunder Verein bleibt. Das ist die Grundlage, dass der Club weiterhin viele Titel gewinnt.“
Lehmann: „Gesundheit ist wirklich am wichtigsten. Für die Welt wünsche ich mir außerdem Frieden. Und für den FC Bayern, dass er auf jedem Weg, den er auch international beschreitet, nie seine traditionellen Werte und seine Herkunft vernachlässigt. Ein Verein wie der FC Bayern ist mehr als das Streben nach Gewinnmaximierung.“
Im FC Bayern Mitgliedermagazin „51“ spricht Thomas Müller über seine Reise beim FC Bayern und seine Art zu leben:
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