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Joshua Kimmich, FC Bayern, Borussia Dortmund
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90 Minuten für die Ewigkeit - Bayern gegen Dortmund

Am Samstag empfängt der FC Bayern zum absoluten Bundesliga-Topspiel Borussia Dortmund. In der Vergangenheit entschied sich nicht selten der Kampf um die deutsche Meisterschaft im ewig jungen Duell zwischen rot-weiß und schwarz-gelb.

Es ist der 4. Dezember 2021 Leon Goretzka steht nach langen 90 Minuten gegen Borussia Dortmund im Spielertunnel. Die dicke Winterjacke hat er sofort nach Abpfiff drübergezogen, zu groß das Risiko, sich kurz vor der Winterpause noch zu erkälten. Wie wichtig war dieser Sieg, wird er gefragt. „Heute“, antwortet er, „ging es auch um die Vormachtstellung in Deutschland.“

Mit 3:2 hatten die Münchner soeben in Dortmund gewonnen. Aus einer engen 1-Punkte-Führung an der Tabellenspitze wird ein gemütliches 4-Punkte-Polster. Bis zum Saisonende wird kein anderer Verein mehr an der Tabellenspitze stehen als der FCB. Drops gelutscht, hätte Felix Magath gesagt.
Am 23. April machte der FCB ausgerechnet im Heimspiel gegen Dortmund die 10. Meisterschaft fix – es war der achte Pflichtspielsieg in Serie gegen den BVB. Im Hinspiel der laufenden Saison mussten sich die Bayern beim BVB nach einer 2:0-Führung durch einen Last-Minute-Gegentreffer mit einem Remis zufriedengeben.

Mehr als ein Spiel

Eine Bundesliga-Saison besteht aus 34 Spielen. 34 mal 90 Minuten macht: 3060 Minuten. Insbesondere in Momenten, in denen es auf dem Platz nicht rund läuft, ist das auch gut so. Dann sagt man sich: Die Saison ist ja noch lange, die Formkurve wird noch gedreht.
Und trotzdem: Spielzeiten werden öfter als man denkt in einem einzigen Spiel entschieden. Weil das Duell zwischen Tabellenführer und Tabellenzweitem am vorletzten Spieltag stattfindet. Weil Meister und Herausforderer im ersten Spiel der Rückrunde ein Zeichen setzen müssen. Weil ein Sieg gegen den ärgsten Konkurrenten auch schon im Februar das Momentum auf die eigene Seite zwingen kann.

Thomas Müller, FC Bayern, Mats Hummels, Borussia Dortmund

Kopf an Kopf: Mats Hummels und Thomas Müller beim hart umkämpften 3:2-Auswärtssieg des FCB in Dortmund 2021.

Das gilt besonders für das Duell FCB gegen BVB. Die beiden deutschen Superclubs haben den höchsten Zuschauerschnitt in Europa und gemeinsam 24 der letzten 28 Meisterschaften gewonnen (19 davon gingen nach München).

Ein Spiel dauert 90 Minuten, sagte Sepp Herberger einst. Und in keiner deutschen Fußballrivalität waren 90 Minuten öfter entscheidender für den Ausgang der Meisterschaft als zwischen dem FC Bayern München und der Borussia aus Dortmund.

Joshua Kimmich, FC Bayern, Marco Reus, Borussia Dortmund

An die Schmerzgrenze: Kimmich räumt Reus ab. Der FCB gewinnt 2019 mit 5:0 – und dreht die Saison.

2019: Das Spiel nach dem Patzer

Die Dominanz der Bayern im vergangenen Bundesliga-Jahrzehnt ist Legende. Noch nie hat eine Mannschaft in den europäischen Top-5-Ligen zehn Meisterschaften am Stück geholt. Dabei vergisst man gerne, dass der eine oder andere Titel durchaus am seidenen Faden hing. Im April 2019 hätte Dortmund die Geschichte umschreiben können.
Die Saison 2018/19 war ein Kopf-an-Kopf-Rennen, von Anfang bis Ende. Selten trennten mehr als drei Punkte beide Teams in der Tabelle. Man siegte im Gleichschritt, man patzte im Gleichschritt. Bis zum 27. Spieltag: Die Bayern spielen gegen Freiburg nur unentschieden, Dortmund gewinnt zeitgleich in Wolfsburg – und übernimmt die Tabellenspitze. Eine Woche später kommt es zum direkten Duell. Ein Sieg für die Schwarz-Gelben und die Meisterschaft wäre wohl entschieden.

Doch die Dortmunder können das Momentum nicht greifen. Sie werden in der Allianz Arena überrollt, am Ende steht es 5:0. Bayern übernimmt wieder die Tabellenspitze, doch nach dem Spiel will niemand von einer gewonnenen Meisterschaft reden. Robert Lewandowski sagt: „Wir liegen nur einen Punkt vor Dortmund, es wird ein schwieriger Weg.“ Der damalige Trainer Niko Kovac fügt hinzu: „Es sind noch sehr schwere Spiele für beide Mannschaften, von daher möchte ich nicht darüber reden, dass schon alles entschieden ist.“ 
Doch die Niederlage zieht den Dortmundern die Zähne. Die Bayern holen Meisterschaft Nummer 7 in Serie. 

Arjen Robben, Sebastian Kehl, FC Bayern, Borussia Dortmund

Sie sind entwischt: Arjen Robben und der FCB verlieren 0:1 beim BVB – und den Titel.

Einige Jahre zuvor war das Rennen um die Meisterschaft mindestens genauso spannend. Nach der Dortmunder Meisterschaft 2011 setzte man in München alles daran, die Schale zurückzuholen. Im Frühling 2012 war klar: Es kommt auf diese 90 Minuten im Signal Iduna Park an.

2012: Der Anfang vom Ende

Dass viel auf dem Spiel stand, das merkte man von der ersten Minute an. Zögerliches Spiel, wenig Risiko, keine richtigen Torgelegenheiten. Dortmund weiß, dass Bayern riskieren muss. Doch die Bayern haben Angst, von den schnellen Dortmundern um Shinji Kagawa ausgekontert zu werden. 

In der 77. Minute eine erste Vorentscheidung: Lewandowski, damals noch in Schwarz-Geld, trifft zur Dortmunder Führung. Viele Teams würden aufgeben, das Tuch hinwerfen. Doch die Bayern kämpfen noch, zeigen Charakter – und holen einen Elfmeter heraus. Trifft Arjen Robben, bleibt die Saison spannend und die Bayern im Rennen. Doch Robben vergibt. Dortmund zieht in der Tabelle davon und wird tatsächlich Meister, zum zweiten Mal in Folge.

Für die Bayern ist es der Beginn von fünf Wochen Schmerz. Und ein Beweis dafür, wie 90 Minuten hängenbleiben können in den Köpfen der Spieler. Wie ein Spiel nicht nur Einfluss auf die Meisterschaft, sondern auch das Momentum in anderen Wettbewerben haben kann. Einen Monat nach dem verschossenen Robben-Elfmeter schlägt Dortmund die Bayern im Pokalfinale mit 5:2 deutlich. Nur eine Woche später bricht Chelsea uns im Finale Dahoam die Herzen. Wer weiß, was in der Saison noch möglich gewesen wäre, mit der breiten Brust eines gewonnenen Topspiels.

Sammy Kuffour, Jan Koller, FC Bayern, Borussia Dortmund

In höchsten Höhen: 2002 wäre die spektakuläre Aufholjagd des FCB um Sammy Kuffour und Stefan Effenberg fast belohnt worden.

Nach den wilden 90ern in der Bundesliga zeichnete sich Anfang des neuen Jahrtausends erstmals eine neue Ära der Bayern-Dominanz ab. Sieben Meisterschaften in zehn Jahren würden es werden zwischen 1999 und 2008. Doch es hätten auch acht sein können – hätte es nicht diese vermaledeiten 90 Minuten am 22. Spieltag der Saison 2001/02 gegeben.

2002: Die verpasste Chance

Nach einem denkbar schlechten Start in die Rückrunde liegen die Bayern nach 21 Spielen neun Punkte hinter dem Tabellenführer aus Dortmund. Weil aber der BVB sich mit Leverkusen an der Spitze zofft, sind Ausrutscher durchaus denkbar. Und wie könnte man eine Aufholjagd besser starten als mit einem Sieg gegen den Favoriten auf die Meisterschaft? 
Ein Treffer von Giovane Elber im Olympiastadion reicht allerdings dafür nicht. Die Bayern kommen nicht über ein Remis hinaus. Und Fußballdeutschland? Verabschiedet den FCB offiziell aus dem Meisterrennen. 
Ein Irrtum, wie sich zu Saisonende herausstellt. In einer der spannendsten Spielzeiten der Bundesliga-Geschichte patzen Dortmund und Leverkusen um die Wette, während die Bayern-Formkurve plötzlich nach oben schießt.
Am Ende trennen die Bayern nur zwei Punkte von Meister Dortmund. Die zwei Punkte, die man beim Unentschieden gegen den BVB liegen ließ?

Und 2023? 

90 Minuten zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund können die Meisterschaft entscheiden. Manchmal brechen 90 Minuten den Glauben einer Mannschaft, noch zurückzukommen. Manchmal sind 90 Minuten der Ansporn, den es für ein starkes Finish der Saison braucht. Manchmal sind gute 90 Minuten der Schalter, der umgelegt werden muss, um die Saison zu starten. Vor dem erneuten Duell am 26. Spieltag trennt die beiden Mannschaften einmal mehr nur ein einziger Punkt. Nach den 90 Minuten wird die Meisterschaft nicht entschieden sein. Doch wer weiß?

Vielleicht starten die Bayern mit einem Sieg unter dem neuen Cheftrainer Thomas Tuchel in die nunmehr entscheidende Phase der Saison.

Vielleicht erweist sich die Allianz Arena für den BVB einmal mehr als kein sonderlich gutes Pflaster im Kampf um den Meistertitel - am Samstagabend wissen wir mehr!

Die Fakten zum Duell gegen den BVB: