Hallo, Herr Nachbar! Dieter Reiter hat es vom Rathaus zur FC Bayern World nicht weit. Man ist sich generell nah, denn der Oberbürgermeister drückt den „Roten“ seit jeher die Daumen. Am 19. Mai feiert er seinen 65. Geburtstag – wir wünschen alles Gute!
Das Interview mit Oberbürgermeister Dieter Reiter
Dieter Reiter wartet am Fischbrunnen vor dem Rathaus. Es ist noch ruhig auf dem Marienplatz, bis zehn Uhr dauert es, ehe die Stadt richtig erwacht ist. Der Münchner Oberbürgermeister schlendert entspannt vom Rathaus zur „FC Bayern World“, die 2021 ums Eck eröffnet wurde. Wie ist der deutsche Rekordmeister so als Nachbar? Reiter schmunzelt: „Ach, das läuft sehr harmonisch – da gibt’s keine Beschwerden.“ Immer öfter fragen ihn Leute nach dem Weg, berichtet er, es hat sich herumgesprochen, dass der FCB im Stadtzentrum eine Anlaufstelle hat. „Ich werde zunehmend darauf angesprochen – noch nicht so oft wie auf die Frage, wo das Hofbräuhaus ist, aber der FC Bayern holt auf.“
Herr Oberbürgermeister, Sie sind von klein auf Fan des FC Bayern – Ihr Vater war ein Roter, Ihre Brüder beide Blaue. Was gefällt Ihnen generell am Fußball?
„Ich war als Fünfjähriger das erste Mal im Grünwalder Stadion, mit meinem Vater, und als ich Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier gesehen habe, war es um mich geschehen: einmal Bayer, immer Bayer! Da meine Brüder 60er sind, waren Derbys bei uns immer eine spannende Sache, wie man sich denken kann (schmunzelt). Die ‚Sportschau‘ war zu Hause jeden Samstag Pflicht, Tickets fürs Stadion konnten wir uns nicht so oft leisten. Fußball ist generell ein Sport, der sowohl physisch als auch mental alles abfordert, wenn man erfolgreich sein will. Er ist daher auch nie berechenbar – wie man an der spannenden Bundesliga-Saison derzeit deutlich sieht.“
Haben Sie ein besonderes Stadionerlebnis im Kopf?
„Unvergessen ist das 11:1 im Jahr 1971 über Borussia Dortmund. Heute fallen die Siege nicht mehr so hoch aus.“
„Im Ausland fallen ständig zwei Begriffe: FC Bayern und Oktoberfest”
Oberbürgermeister Dieter Reiter
Am Eingang der „FC Bayern World“ empfängt Michael Herzinger den Oberbürgermeister – der erkundigt sich sofort, wie die Geschäfte laufen. Seit der Pandemie steigt der Umsatz beständig, erklärt der Store-Manager, während Dieter Reiter für ein Foto zu einer Wand gelotst wird, auf der Franz Beckenbauer verewigt ist. Mit Jahrgang ’58 war für ihn als jungen Kerl „Kaiserzeit“, erzählt Reiter, zu Beckenbauer schauten sie damals auf. „Ich mag sie alle gern, zum Beispiel den ,Bulle‘ Roth, den hab ich erst neulich beim 4:2 gegen Dortmund getroffen.“
Hier beim Bild des „Kaisers“ steht auch sein Leitspruch „Geht’s raus und spielt’s Fußball! “… Was verbindet Sie mit Beckenbauer – und wünschten Sie sich manchmal, Sie könnten Ihre Arbeit auch auf so eine einfache Formel runterbrechen?
„(lacht) Schön wär’s. Mit Franz Beckenbauer verbindet mich leider lediglich der Zustand des Trikots nach dem Spiel – meines war auch immer noch sehr weiß, und ich war froh, die Freiheit zu haben, nicht viel laufen zu müssen. Ich habe immer gern gespielt, aber leider nie gut. ‚Intuition statt Grätschen‘ war damals mein Motto. Als Oberbürgermeister lautet es jetzt: ‚Machen statt Reden!‘“
Sie haben früher ja auch Libero gespielt – wie wichtig ist Ihnen Freiheit, freie Gestaltung?
„Freie Gestaltung ist in meinem Arbeitsalltag, was das Zeitmanagement betrifft, nur sehr begrenzt möglich. Umso mehr freut es mich, wenn wir Projekte einfach mal ausprobieren, egal in welchen Bereichen. Das bringt oft ganz unvorhergesehene und gute Ergebnisse. Und die Möglichkeiten eines Oberbürgermeisters, Dinge mal ‚frei‘ gestalten zu können, gibt es durchaus.“
Welche Position auf dem Spielfeld käme der des Oberbürgermeisters am nächsten?
„Der Sechser wahrscheinlich. In diesem Amt muss man ziemlich viel abwehren, um das Schlimmste zu verhindern – aber gleichzeitig schnell und mutig nach vorn spielen und durchaus das eine oder andere Tor schießen.“
Wenn Sie einen Tag mit Präsident Herbert Hainer die Ämter tauschen würden – was würde dann passieren, in der Stadt und beim FC Bayern?
„Herbert Hainer hat ja Erfahrung beim Lenken großer Unternehmen, also könnte er auch die Stadt locker einen Tag leiten. Nachdem bei uns die Prozesse eher länger dauern, wäre ein Tag ohnehin kein Problem – ob das nach seinem Geschmack wäre, weiß ich allerdings nicht (lacht)! Als Bayern-Präsident wäre ich sicher der Typ Uli Hoeneß: Ich mache aus meiner Stimmung selten ein Geheimnis. Und nach Niederlagen wäre ich impulsiv.“
„Als Bayern-Präsident wäre ich sicher der Typ Uli Hoeneß: Ich mache aus meiner Stimmung selten ein Geheimnis. Und nach Niederlagen wäre ich impulsiv.”
Oberbürgermeister Dieter Reiter
Reiters Blick geht vom Fenster der „FC Bayern World“ über die Stadt. Man fühlt da einfach Verbundenheit, meint er. Heimat, dafür steht der FC Bayern, und das strahlt auch München aus. Auf Auslandsreisen kann er schwer sagen, ob er öfter auf das Oktoberfest oder den deutschen Rekordmeister angesprochen wird. Zwischendurch gab es ja sogar mal ein Trikot mit dem Münchner Kindl im Kragen.
Dem FC Bayern war es wichtig, mit der „FC Bayern World“ im Herzen der Stadt präsent zu sein – das dürfte auch nach dem Geschmack des Oberbürgermeisters sein, oder?
„Auf jeden Fall. Die Renovierung der Fassade ist absolut gelungen und passt sehr gut zum historischen Stadtbild. Und die Fans freuen sich, jetzt auch einen echten Flagship-Store an so zentraler Stelle zu haben.“
Was macht den FC Bayern zu einem Faktor der Stadt?
„Der FC Bayern ist ein sehr wichtiger Sympathie- und Werbeträger der Stadt. Wenn Sie Menschen am anderen Ende der Welt fragen, ob sie München kennen, dann fallen ständig zwei Begriffe: Oktoberfest und der FC Bayern. Sport verbindet die Menschen und überwindet Barrieren.“
Der Club möchte einen gesellschaftlichen Teil zum städtischen Leben beitragen: Herbert Hainer war beim Gedenkradeln für die Opfer bei Olympia 1972, im Rathaus beim Gedenken der im Dritten Reich verschleppten Sinti und Roma – Sie haben bei „Rot gegen Rassismus“ mitgemacht: Macht Sie das stolz, dass es Doppelpässe über den Fußball hinaus gibt?
„Es freut mich sehr und es ist extrem wichtig, dass wir alle gemeinsam – Politik, Sport und Gesellschaft – gegen Rassismus und für ein tolerantes und weltoffenes Miteinander eintreten. Und es ist gut, dass „mein“ Verein hier deutlich Position bezieht. Wir alle müssen Zivilcourage zeigen, indem wir entschlossen gegen Rassismus und Diskriminierung eintreten – und gerade sportliche Vorbilder spielen da eine herausragende Rolle. Wenn ich sehe, dass mein Idol jede Form von Rassismus scharf verurteilt, wird das einfach anders aufgenommen, als wenn die Politik das sagt.“
Mit dem Aufzug geht es aufs Dach ins exklusive Penthouse des DO & CO Hotels München. Vor dem Eingang der Suite muss Reiter kurz warten, bis ihm die Schlüsselkarte gereicht wird. Es gibt also doch noch Türen in der Stadt, die auch für den Oberbürgermeister verschlossen sind, muss Reiter schmunzeln. Draußen auf der Terrasse streben die Türme der Frauenkirche in die Höhe – das Wetter spielt extra fürs Fotoshooting mit; die Tage davor hat es durchgeregnet.
Was sind Ihre kuriosesten Erlebnisse bei Meisterfeiern?
„Ich freue mich jedes Jahr, mit dem FC Bayern auf dem Balkon zu stehen und mit den Fans auf dem Marienplatz zu feiern. Als Fan war ich früher auch ein-, zweimal unten in der Menge – jetzt genieße ich den Perspektivwechsel. Arjen Robben hat mir mal diesen Hut in Form eines Fußballs aufgesetzt, den er ab und zu dabeihatte, aber generell halte ich mich da immer lieber im Hintergrund: Es ist die Bühne der Meister. Besonders gut gefallen hat mir jedes Mal, wenn die Frauenmannschaft nach dem Gewinn ihrer Meisterschaft auf dem Balkon war. Die Spielerinnen und Spieler in Tracht – das sind Bilder, die um die Welt gehen.“
Sie sind seit 2017 auch Mitglied im Verwaltungsbeirat. Was ist da Ihre Aufgabe?
„Wir treten zweimal im Jahr zusammen, und wir versuchen, unseren Teil beizutragen, indem wir das Präsidium beraten. Sportlich und allgemein bei allen Themen, die dem Verein wichtig sind. Den Vorsitz führt Edmund Stoiber – Sie können sich nicht vorstellen, wie leidenschaftlich er in der Allianz Arena bei den Spielen mitgeht.“
Ehe es wieder zurück ins Rathaus geht, entdeckt Reiter noch den edlen Kickertisch aus Glas und Holz: Für ein Spielchen habe er kurz Zeit, da könne der Termin schon noch etwas in die Verlängerung gehen, sagt er. Während seines Studiums hat er viel gespielt – und tatsächlich gewinnt er das Spiel nicht nur mühelos im Rekordtempo, sondern beantwortet nebenbei noch weitere Fragen.
Wenn Sie die Ablösesummen im Fußball sehen und auf Ihren Haushalt hochrechnen … was denkt man da als Oberbürgermeister?
„Das sind große Summen … aber das bin ich ja durchaus von städtischen Projekten gewöhnt. Ob allerdings solche Ablösesummen dem Sport auf Dauer zuträglich sind, bezweifle ich.“
Wie teuer ist zum Beispiel der neue Gasteig – und wie steht das dann in Relation zu einem Erling Haaland?
„Die Sanierung des Gasteigs wird mehr als eine halbe Milliarde Euro kosten – aber es ist ja nicht nur eine Philharmonie, sondern darin sind auch unsere Stadtbibliothek und die Volkshochschule. Ganz allgemein kann man natürlich fragen, ob Fußballspieler so viel verdienen müssen. Als Neymar für 222 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain gewechselt ist, entsprach das damals dem Doppelten des städtischen Kulturhaushalts für ein Jahr – und man könnte damit beispielsweise alle Bezirkssportanlagen der Stadt sanieren. Es ist schwer darstellbar, dass ein einzelner Fußballer so viel wert sein soll.“
„Die Fans können stolz sein, dass der FC Bayern ohne Mäzenatentum und Fremdinvestoren für Top-Niveau steht.”
Oberbürgermeister Dieter Reiter
Zum Abschluss steht ein letztes Motiv mit der Figur von Thomas Müller im Store an. „So ruhig wie hier habe ich ihn ja noch nie erlebt“, witzelt Reiter und legt den Arm um das Müller-Duplikat. In einer Reihe sind dahinter Figuren von Alphonso Davies und Benjamin Pavard postiert. Der Kommentar des Oberbürgermeisters mit einem Augenzwinkern: „Zum Glück sind sie auf dem Feld nicht so statisch.“
Weil wir gerade von den großen Summen im Fußball gesprochen haben: Ist ein Thomas Müller als Botschafter der Stadt mit Geld nicht aufzuwiegen?
„Zunächst können die Fans stolz sein, dass der FC Bayern ohne Mäzenatentum und Fremdinvestoren für Top-Niveau steht. Und Thomas Müller ist als Botschafter tatsächlich unbezahlbar: sympathisch, erfolgreich, konstant und verlässlich – wie die Stadt.“
Was wünschen Sie sich vom FC Bayern zu Ihrem 65. Geburtstag?
„Viel sportlichen Erfolg, wirtschaftlich weiterhin solides Handeln – und insgesamt, dass der FC Bayern auch in Zukunft ein so positiver Imageträger für München bleibt.“
© Bilder: Daniel Delang
Der deutsche Rekordmeister unterstützt die Kampagne „Nicht alle Helden tragen Trikots. Der Sport sagt Danke“:
Themen dieses Artikels