Fußball – und dann? Mit einem neuen Mentoring-Programm unterstützt der FC Bayern seine Spielerinnen dabei, die Weichen für die Karriere nach der Karriere zu stellen. Das Vereinsmagazin „51“ war beim Kick-off dabei.
Nach zwei Stunden voller Gespräche macht sich im Clubheim *1900 am FC Bayern Campus leicht verlegenes Schweigen breit. Es ist um persönliches Fazit gebeten worden, aber niemand will so recht das Wort ergreifen. Bis das Mikrofon bei Glódís Perla Viggósdóttir landet. Die Kapitänin der FC Bayern Frauen steht auf und sagt mit kräftiger Stimme: „Ich bin total begeistert. Das hier ist etwas Besonderes.“ Der folgende Applaus zeigt, dass sie genau die richtigen Worte gefunden hat.
Es ist Mitte Januar, die FC Bayern Frauen starten eine knappe Woche später in die zweite Saisonhälfte, aber an diesem Nachmittag steht die zweite Karriere im Mittelpunkt, die Zukunft jenseits des Rasens. Der FC Bayern hat sich auf die Fahnen geschrieben, seine Spielerinnen bei dieser wichtigen Weichenstellung nicht alleinzulassen. Mit dem neuen Mentoring-Programm „EmpowerHer“ gibt man den Spielerinnen die Möglichkeit, schon jetzt, während ihrer Fußballkarriere, über das Spielfeld hinauszublicken.
28 potenzielle Mentorinnen und Mentoren sind am Campus zusammengekommen und treffen im Rahmen einer Kick-off-Veranstaltung erstmals auf die Spielerinnen. Es ist ein Kennenlernen, ein gegenseitiges Beschnuppern, bei dem das Eis schnell gebrochen ist. Über das ganze Clubheim verteilt sitzt man zusammen, spricht, hört zu, lacht zusammen. „Es war nicht steif oder langweilig, wie man vielleicht vorher gedacht hat“, berichtet Verteidigerin Carolin Simon. „Es hat total Spaß gemacht, die Zeit ist verflogen.“
Der Platz abseits des Rasens
Auch Bianca Rech ist angetan von der Art und Weise, wie „EmpowerHer“ zum Leben erwacht ist. Für die Abteilungsleiterin der FCB-Frauen ist das Programm „eine Herzensangelegenheit“. Die 43-Jährige hat selbst in der Bundesliga gespielt, lief 20-mal für die deutsche Nationalmannschaft auf. Doch als sie mit dem Fußball Schluss machte, sei das „ein schwerer Moment“ gewesen, erzählt sie. „Weil ich selber gar nicht einschätzen konnte: Wer bin ich eigentlich außerhalb dieses Spielfelds?“ Trotz einer abgeschlossenen Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation, trotz eines Diploms in Sportökonomie wusste sie nicht, wo ihr Platz außerhalb des Rasens ist. Und dieses Fragezeichen sei heute sogar noch größer als früher, sagt Rech: „Mich freut natürlich die rasende Entwicklung des Frauenfußballs, aber ich sehe auch die Schattenseite: Bei der Dichte der Spiele und des Trainings bleibt nicht mehr so viel Zeit wie früher, um sich selbst zu erfinden. Genau dafür wollen wir den Spielerinnen eine Plattform bieten. Sie sollen sich suchen, sich entdecken, eine Identität entwickeln.“ Mentorinnen und Mentoren stehen ihnen in diesem Prozess als Ratgeber, Sparringspartner und Türöffner zur Seite.
Wer bin ich? Was sind meine Interessen? Was habe ich, was andere nicht haben? Diese Fragen stehen am Anfang, wenn man sich mit der Karriere nach der Karriere beschäftige, sagt Rebecca Smith in ihrer Keynote. Die Amerikanerin, die unter anderem für Frankfurt und Wolfsburg in der Bundesliga spielte, ist heute Beraterin für Vereine, Verbände und Spielerinnen. „Wer weiß heute schon, was er später mal machen will?“, fragt sie in die Runde. Niemand meldet sich. „So war es auch bei mir“, erzählt Smith und schildert ihren Karriereweg, bei dem ihr Mentoren immer wieder weiterhalfen.
Michael Diederich muss man den Nutzen von Mentoring nicht erst erklären. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des FC Bayern ist schon lange selbst als Mentor aktiv. „Erfahrungen weitergeben zu können, sich mit jemandem austauschen zu können, empfand ich immer als sehr bereichernd“, sagt er. Als die Idee zu einem solchen Programm auf einem Business Circle der FCB-Frauen in der Allianz Arena Mitte letzten Jahres aufkam, war Diederich daher sofort begeistert: „Wir haben als Verein auch eine Verantwortung über das Spielfeld hinaus. Daher finde ich dieses Projekt so großartig.“ Ohne Umschweife sei man an die Umsetzung gegangen. „Es brauchte kein großes Gremium, keine große Abstimmung. Wir haben an dem Tag in der Allianz Arena entschieden, dass wir das machen – und heute sitzen wir hier.“
Im Clubheim am Campus hat inzwischen das Kennenlernen zwischen Spielerinnen, Mentorinnen und Mentoren begonnen. In wechselnden Gruppen kommt man immer wieder neu ins Gespräch. „Der Geräuschpegel spricht für sich“, stellt Diederich zufrieden fest, „man spürt eine große Offenheit auf beiden Seiten. Davon lebt ein Mentoring. Du musst dich darauf einlassen, dann ist es eine große Sache.“ Wer künftig mit wem in einen intensiven Austausch gehen wird, ist noch offen. Jeder Spielerin wird in den folgenden Wochen ein persönlicher Mentoringpartner zugeteilt, entsprechend ihrer Interessen und Wünsche.
Für „EmpowerHer“ hat der Verein zahlreiche Führungspersönlichkeiten gewonnen. Sie kommen unter anderem von MAN, Allianz, SAP, Viessmann und Airbus. Und sie kommen gerne. „Als wir das Programm vorgestellt haben, gab es nicht eine Person, die gesagt hat: Da sind wir nicht dabei“, erzählt Diederich. „Ganz im Gegenteil. Ich habe in den letzten Wochen viele E-Mails bekommen mit der Frage: Wann geht es endlich los?“ Denn ein funktionierendes Mentoring ist keine Einbahnstraße. Nicht nur die Spielerinnen profitieren davon, sondern auch die Mentorinnen und Mentoren. Sportlerinnen hätten Attribute und Fähigkeiten, die jedem Unternehmen zugutekämen, findet Bianca Rech. Das neue Programm schlage eine Brücke zwischen Sport und Business, schaffe eine Nähe, von der beide Seiten nur profitieren könnten.
Das Kreuz mit der Karriere
Klara Bühl jedenfalls freut sich auf die Möglichkeiten, die „EmpowerHer“ bietet. „Wie lernt man sonst Personen aus der Wirtschaft kennen? Wie bekommt man sonst Tipps und Erfahrungen? Ich finde dieses Programm sehr spannend. Das muss man nutzen“, sagt die 23-jährige Nationalspielerin, die neben dem Fußball Medienmanagement studiert. Auch wenn ihr Fokus momentan voll auf dem Sport liege, habe sie die Karriere danach „im Hinterkopf. Es tut gut zu wissen, einen ersten Schritt für die Zeit danach zu machen. In den nächsten Jahren werde ich mich weiter umschauen, wohin es einmal gehen könnte.“ So halten es im Grunde alle Spielerinnen beim FC Bayern. Viele studieren nebenbei oder machen eine Ausbildung, Stürmerin Jovana Damnjanović hat sich gerade mit einer Kaffeerösterei selbstständig gemacht. Eine Zwangspause nach einem Kreuzbandriss hat sie für diesen Schritt genutzt. Überhaupt sind Verletzungen natürlich ein triftiger Grund, sich mit der eigenen Zukunft abseits des Fußballplatzes zu beschäftigen.
„Es tut gut zu wissen, einen ersten Schritt für die Zeit danach zu machen. In den nächsten Jahren werde ich mich weiter umschauen, wohin es einmal gehen könnte.”
Klara Bühl über das Mentoring-Programm EmpowerHer
Auch Bianca Rech hatte als Spielerin schon in jungen Jahren zwei Kreuzbandrisse. „Da war für mich klar, dass der Weg morgen zu Ende sein kann. Ich hätte mir damals sehr gewünscht, dass es Möglichkeiten im Verein gegeben hätte. Aber ich war allein auf weiter Flur.“ Auch Carolin Simon muss seit Monaten verletzt pausieren. Gedanken über ein Leben ohne Fußball habe sie sich aber sowieso schon immer gemacht, erzählt die 31-Jährige. „Es war mir von Anfang an wichtig, etwas nebenher zu machen.“ Heute kann sie einiges vorweisen: Abitur, eine Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau, eine Lizenz als Ernährungsberaterin, ein Sportjournalismus- und Marketingstudium. Wo genau ihre Zukunft liegt, das weiß Simon noch nicht. „Ich sage wahrscheinlich das, was die meisten Spielerinnen sagen: dass ich mir vorstellen kann, in der Sportbranche zu bleiben. Auch weil es die einzige Branche ist, die wir wirklich kennen“, meint sie, „deswegen ist das Mentoring-Programm eine super Möglichkeit, andere Einblicke zu bekommen. Ich finde das richtig cool.“
Next step: Beziehung aufbauen
Interesse und Neugier an „EmpowerHer“ sind also da, auf beiden Seiten. Nun müssen sich Paare finden, die sich über Treffen und Gespräche noch besser kennenlernen. Mentoring sei kein Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern funktioniere über eine echte persönliche Beziehung auf Augenhöhe, betont Bianca Rech: „Es muss auch menschlich passen.“ Sie selbst hat das in den vergangenen Jahren mit Karin Danner, ihrer Vorgängerin als Abteilungsleiterin, genau so gelebt, auch wenn es kein explizites Mentoring war. „Sie hat mich in meiner jetzigen Rolle aufgezogen.“ Rech wünscht den Spielerinnen nun eine ähnliche Erfahrung. „Wir wollen ihnen nichts aufdoktern. Aber ich weiß, dass die Mentorinnen und Mentoren voller Elan sind, und ich würde mir wünschen, dass die Spielerinnen diese Chance beim Schopfe packen.“ Diederich wendet sich direkt an die versammelte Mannschaft: „Wir können nur den Impuls setzen. Es zum Leben bringen müsst ihr.“ Kommenden September wird eine erste Bilanz gezogen. „Wenn dann beide Seiten sagen, das sollten wir unbedingt weitermachen, dann wäre das ein Riesenerfolg“, meint der stellvertretende Vorstandsvorsitzende. Den Auftakt fand Giulia Gwinn jedenfalls schon mal „sehr inspirierend“. Nicht nur sie hat Lust auf mehr bekommen, auch wenn die Beschäftigung mit sich selbst vielleicht manchmal mühsam ist. „Man muss mutig sein, raus aus seiner Komfortzone“, nimmt die 24-Jährige vom Kick-off mit. Kapitänin Viggósdóttir hat vorgemacht, wie es geht, als sie das Mikrofon ergriff.
Fotos: Matthias Ziegler
Die April-Ausgabe des Clubmagazins 51:
Themen dieses Artikels