Der Händedruck erzählt wortlos von seinem Wesen, denn man überlebt ihn erstaunlicherweise schmerzfrei, obwohl die Hände von Desmond Yiamu ziemlich kräftig und groß ausschauen. Aber abseits des Courts ist er eben ein zurückhaltender junger Mann von jetzt 17 Jahren, für den alles noch neu ist, immer noch. Dabei ist es nun schon zwei Jahre und zwei Monate her, dass er mit seiner Familie hastig die Heimat verließ. Weil Russland diese Heimat überfiel: Desmond Yiamu stammt aus Charkiw, Ukraine.
Mit der FC-Bayern-U19 beim Top4
Wenn am Wochenende die besten deutschen Nachwuchsteams bei der Top4-Endrunde in der Berliner Sömmeringhalle um die Deutsche Meisterschaft kämpfen (U16, U19 und erstmals auch bei der weiblichen U18), bieten viele Hauptdarsteller Stoff für interessante Geschichten. Doch wohl keine ist so bewegend wie jene, die der Big Man der FCBB-U19 erzählen kann.
Elf Tage nach dem Beginn des Angriffskriegs, am 7. März 2022, packte Familie Yiamu ein paar Habseligkeiten zusammen und verließ Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Denn Ende Februar, so haben es die internationalen Beobachter festgehalten, hatten die Russen damit begonnen, tatsächlich auch Wohnhäuser, Schulen und Kindergärten mit Raketen zu beschießen.
„Wir mussten einfach fliehen“, sagt Desmond. Was er mitnahm? „Meine Basketballschuhe, Trikots und ein paar Klamotten.“
Flucht aus der ukrainischen Heimat
Mit dem Zug machten sich die Yiamus, die Eltern, sein älterer Bruder und Desmond, auf nach Deutschland. Eine Nacht in Ungarn und dann über Berlin nach München, dort lebte bereits ein Bruder des Vaters. Im Wohnheim an der Neuherbergstraße kamen sie unter. Ein ganzes Jahr haben sie dort gelebt. Inzwischen haben sie endlich eine Wohnung.
Familie Yiamu hat afrikanische Wurzeln, sie stammt aus Nigeria. Doch die Eltern lebten schon länger als drei Jahrzehnte in der Ukraine. Der Beruf hatte den Vater dorthin gebracht. Desmond wurde in Charkiw geboren. Der Dad Architekt, die Mutter Rechtsanwältin, die Universitätsstadt im Nordosten des Landes war ihr Zuhause. Und auch der Ort, wo Desmond mit Basketball begann, im Alter von zwölf Jahren.
Das bot sich irgendwie an: Er maß damals bereits 1 Meter 91.
In der U16 des BC Polytechnic und bei den Männern in der dritten Liga spielte er in Charkiw. In München checkte er dann ebenfalls bei der U16 ein, zunächst als Gastspieler bei einem Turnier der FCBB-Jugend in Italien. Leicht war’s nicht, erinnert sich Desmond, mittlerweile recht sicher auf Englisch: „Ich habe nichts verstanden, auch die Verhaltensregeln in Deutschland kannte ich ja nicht.“
München soll das Zuhause bleiben
Diese Saison lieferte der athletische Power Forward von inzwischen zwei Metern in der U19 der Bayern-Basketballer 11,6 Punkte pro Spiel und 6,6 Rebounds. Am Samstag (16.30 Uhr) trifft er mit seinem Team im Berliner NBBL-Halbfinale auf den großen Favoriten Vechta. Auch in der zweiten Mannschaft, die als jüngstes Team überhaupt die ProB-Playoffs schaffte, etablierte sich Desmond als Starter (6,4 PpS, 4,3 RpS).
„Desmond hat zum Glück mit seiner Familie in München wieder eine gewisse Normalität in seinem Leben herstellen können“, sagt Federico Perego, U19-Coach bei den Bayern. „Alle hier und natürlich vor allem seine Team-Mates haben ihm sehr dabei geholfen, das ist super. Aber nicht nur in der Kommunikation, sondern auch als Spieler hat er einen großen Schritt gemacht. Mit seinem Instinkt und viel Training ist er einer unserer wichtigsten Spieler im NBBL-Team und auch in der ProB. Wir werden ihn auch in der Zukunft unterstützen, dass er der bestmögliche Spieler wird, der er sein kann.“
Das trifft sich gut, denn Desmond hat Ehrgeiz und für einen Vierer/Fünfer ist er sehr beweglich. „Ich möchte hochkommen und mich weiter verbessern, hier bei Bayern gefällt es mir sehr“, sagt er. Die Familie will hierbleiben, „ich auch, unbedingt“, selbst wenn der unselige Krieg beendet sein sollte. M ünchen ist jetzt sein Zuhause.
Topscorer der ukrainischen U18
Der Vater arbeitet wieder in seinem Beruf und sein Jüngster lernt nach dem Abschluss der elften Klasse weiter Deutsch. „München ist sehr schön, ich habe hier Freunde gefunden“, erzählt er, „und in Deutschland geht es viel ruhiger zu als in der Ukraine, da sind alle immer sehr hektisch“. Immer schon, ergänzt er, schon in Zeiten des Friedens.
Der Kontakt in die Ukraine ist allerdings weitgehend abgerissen. Bei den Events des Nationalteams wie vorigen Sommer bei der U18-B-EM in Portugal (16,8 PpS, 8,1 RpS) trifft er natürlich ein paar Freunde wieder. Andere spielen in der ukrainischen Liga, sie umfasst zehn Teams. Doch das, was er über seine Freunde von dort hört, lässt ihn nur den Kopf schütteln.
„Manchmal“, sagt Desmond leise, „manchmal müssen sie das Training oder das Punktspiel unterbrechen und runter in den Keller.“ Weil Raketen fliegen.