
Die kommende Saison 2020/21 wird – wann auch immer sie beginnt – eine Jubiläumssaison: Die Bayern-Basketballer stehen dann vor ihrer zehnten BBL-Spielzeit – und vor ihrem zehnten Jahr in ihrem Wohnzimmer, dem Audi Dome. Möglich machten diese neue Erfolgsgeschichte im FCB, neben einigen Schlüsselfiguren, die Mitglieder des Gesamtvereins: Bei einer Befragung votierten sie mit großer Mehrheit für die Professionalisierung der Sparte Basketball – vor genau zehn Jahren.
Der langgezogene Gebäudekomplex des FC Bayern an der Säbener Straße lag in Dunkelheit, es war schon später Abend im Mai 2010. Nur in einem Büro im zweiten Stock brannte noch Licht. Acht Personen saßen hier um einen großen Tisch, bei Pizza und Bier – und zwischen Tausenden Briefen. Sie öffneten Umschlag für Umschlag, führten Strichlisten. Unermüdlich. Alles für den Basketball beim FCB. Allerdings entschied ihre Handarbeit nicht über einen erfolgreichen Wurf, ein Dribbling oder einen Steal – es ging um die Zukunft der ganzen Abteilung.
Die Gegenwart im Mai 2010 hieß: Zweitliga-Mittelmaß. Die ProA-Saison hatten die Bayern gerade abgeschlossen. 14 Siege und 16 Niederlagen bedeuteten Platz acht in der 16er Liga. Die Heimspiele wurden in der Städtischen Sporthalle an der Säbener Straße ausgetragen, „die Säbener Hölle“, wie Thomas Henkel die damalige Heimat mit dem Charme einer Schulsporthalle nennt. Er schmunzelt.
Der heute 55-Jährige aus Gräfelfing war damals einer der wenigen Jahreskarten-Besitzer bei den FCB-Basketballern. „Ich glaube, da gingen maximal 500 Leute rein“, erinnert er sich, „das waren Hardcore-Basketball-Fans, Leute mit extremem Interesse am Basketball.“ So wie er.
Henkel hatte selbst Basketball gespielt, „aber nur unterklassig“. In den 90er Jahren lebte er in den USA und besuchte regelmäßig Spiele des NBA-Teams Golden State Warriors. Zurück in München habe er dann geschaut, wo es den hochklassigsten Basketball zu sehen gibt. „Und das war beim FC Bayern, in der ProA, in der Säbener Hölle. Es war damals wie ein mittelmäßiges College-Spiel.“ Er lächelt. „Das waren die harmlosen Anfänge.“
Titel, Tradition – und Skepsis
Einer, den man auch damals schon oft bei den Heimspielen sah, war Bernd Rauch. Der Ehrenvizepräsident des FC Bayern war von 2002 bis 2012 als 2. Vizepräsident für alle Breitensportabteilungen des Vereins zuständig. „Wenn wir 200 oder 350 Zuschauer hatten, waren wir glücklich“, erinnert sich der heute 77-Jährige.
Bernd Rauch ist ein Mann voller Energie und Sport-Begeisterung. Seine Aufgaben im Zuge von Bau und Inbetriebnahme der Allianz Arena – erst als Sonderbevollmächtigter der Klubs, dann als Sprecher der Geschäftsführung (2004-05) – hatte er erfolgreich abgeschlossen. Jetzt hatte er eine neue FCB-Mission: in einer weiteren Abteilung neben Fußball Leistungssport zu ermöglichen. „Mir war immer klar: Ohne Leistungssport kein Breitensport, ohne Schweinsteiger gibt es kein Kind, das ihm nacheifern will. Deswegen habe ich gesagt: Lasst uns doch noch in einer Abteilung Spitzensport betreiben. Unsere Basketballer schienen mir für diesen Schritt am geeignetsten.“
Basketball beim FC Bayern hatte damals schon eine mehr als 50-jährige Tradition. 1954 und 1955 hatten die FCB-Korbjäger zwei Deutsche Meisterschaften gewonnen, 1968 den Pokal. Und die beiden ältesten Jugendteams (U19, U16) spielten beide auf Bundesliga-Niveau. Rauch legte los.
Hoeneß lässt sich von Rauch „breitschlagen“
Als erstes galt es, Uli Hoeneß für das Projekt zu gewinnen. Der damalige Vereinspräsident war Basketball-Fan, „schon als Schüler“, wie er selbst sagt. Doch Rauch musste mehr als einmal Überzeugungsarbeit leisten. Schließlich ging es um Geld, um den Aufbau eines bundesligareifen Teams. Irgendwann habe er sich „breitschlagen lassen“, erzählt Hoeneß. „Ich habe ihm gesagt: Ich mache mit, aber nur wenn die Mitglieder Basketball haben wollen.“ Rauch erinnert sich: „Eigentlich war ein weiterer Leistungssport beim FC Bayern nicht gewollt. Deswegen wollte Hoeneß die Mitglieder befragen. Man musste das mit ihnen abstimmen.“
2010 hatte der Verein rund 160.000 Mitglieder. Ob sie den Basketball unterstützen würden? Rauch war einerseits „misstrauisch, ob das gutgeht“. Andererseits hatte er beim Bau der Allianz Arena die Erfahrung gemacht, dass ein positives Votum der Basis einem Projekt Flügel verleihen kann. „Nach dem erfolgreichen Stadion-Bürgerentscheid hatten wir gar keine Probleme mehr mit Genehmigungen“, erzählt er.
Einen solchen Rückenwind erhoffte sich Rauch nun für den Basketball. Mithilfe der TU Braunschweig wurden fünf „wichtige Fragen“ formuliert, wie es auf dem Fragebogen hieß. Denn die Meinung der Mitglieder sei bei der Entscheidungsfindung „der alles entscheidende Faktor“. Es ging um das generelle Basketball-Interesse der Mitglieder; um ihre Bereitschaft, Spiele zu besuchen; um Auswirkungen auf das Image des Vereins. Den Kern der Befragung bildeten zwei Punkte: „Unterstützen Sie prinzipiell die Idee, dass der FC Bayern ein Spitzenbasketball-Team in München etabliert?“ Und: „Stimmen Sie zu, dass der FC Bayern München e.V. das Projekt mit einer Anschubfinanzierung unterstützt, um es erfolgreich zu starten?“
23.000 Bögen kommen zurück, mit gut 75 Prozent Zustimmung
Der Fragebogen wurde zusammen mit einem frankierten Rückumschlag dem „Bayern-Magazin“ beigelegt, das damals zum Bundesliga-Heimspiel gegen den VfL Bochum (1. Mai 2010) an die Mitglieder verschickt wurde. Jetzt hieß es warten.
„Am Montag habe ich im Büro angerufen, ob schon was da ist. Nein. Auch am Dienstag nichts. Am Mittwoch nichts“, erinnert sich Rauch. Die Nervosität wuchs. Auch zu wenig Resonanz würde ein Scheitern der Befragung bedeuten. „Was ich in diesen Tagen nicht wusste: Die Poststelle hatte die Briefe gesammelt – und am Freitag kamen die ersten Kuverts. In der nächsten Woche dann Kisten, Kisten, Kisten.“
Sofort begann man mit der Auswertung. Tage- und nächtelang wurde gezählt, die Tendenz war schnell klar. „Es war ein Freudentaumel, wir haben uns in den Armen gelegen. Alle Ampeln waren auf grün“, erzählt Rauch. Mehr als 23.000 Mitglieder hatten sich an der Befragung beteiligt, über 75 Prozent stimmten für das Projekt. „Ein sensationelles Ergebnis! Uli Hoeneß war genauso erleichtert wie wir. Und dann hat er diesen Satz gesagt, der mich unheimlich motiviert hat: ‚Wenn wir es machen, dann machen wir es richtig.‘ Für mich und alle, die mitgewirkt haben, war das eine Riesenmotivation.“
Bauermann, Hamann, Greene, Hall, Nadjfeij und eine neue Halle
Hoeneß erinnert sich, dass er „überrascht von der klaren Zustimmung“ gewesen sei. Er hatte mit einem engen Ergebnis gerechnet. „Weil wir ein Fußballverein sind. Aber Basketball schien den Fans zu gefallen.“ Auch Thomas Henkel stimmte für das Projekt. Natürlich. „Mir war dabei klar: Wenn man das will, braucht man eine Anschubfinanzierung. Hilfe zur Selbsthilfe. Und ganz wichtig war auch, dass Uli Hoeneß mit seiner Person Sponsoren für den Basketball aktiviert hat, die man sonst nicht bekommen hätte.“
Was nun folgte, war das, was sich Rauch erhofft hatte: Das Projekt entwickelte eine Eigendynamik, die kaum mehr zu bremsen war. Die Bayern gewannen Dirk Bauermann, damals Trainer der Nationalmannschaft und erfolgreichster deutsche Coach überhaupt. Ihm folgten Nationalspieler wie Steffen Hamann und Demond Greene, dazu gestandene Erstligaspieler wie Darius Hall, Artur Kolodziejski und Aleksandar Nadjfeij. Und auch eine neue Halle – die „Säbener Hölle“ war endgültig zu klein geworden für die roten Ambitionen – wurde gefunden: die Eissporthalle auf dem Olympiagelände mit rund 3.500 Plätzen.
Allerdings: Es war halt eine Eissporthalle. „Beim Eishockey kommen alle mit dicken Jacken und Schals – im Basketball nicht. Da brauchen wir 16 Grad plus auf dem Parkett“, erzählt Rauch. „Wir haben dann acht Löcher ins Dach gebohrt und warme Luft hineingeblasen.“ Es gab jetzt kein Problem mehr, das nicht gelöst wurde.
„Wie auf einer Welle“ sei man durch die folgende Aufstiegssaison geritten, erinnert sich Rauch. Und, ganz wichtig: Die Fans strömten in die Halle. „Das war nicht selbstverständlich“, meint Thomas Henkel, „aus 500 Fans macht man eigentlich nicht über Nacht 5.000, gerade nicht in München. In Städten wie Göttingen oder Bamberg ist Basketball die sportliche Attraktion – in München ist die Konkurrenz stark.“
Doch auch Fußballfans entdeckten den Basketball nun für sich. „Die mussten erstmal die Gesänge lernen und was Defense bedeutet“, erzählt Henkel. Sieben Spieltage vor Saisonende stand der Aufstieg fest. In der folgenden Bundesliga-Saison (2011/12), dann schon in der sanierten Rudi-Sedlmayer-Halle, setzte sich die Entwicklung fort. Es sei damals „die schönste Zeit“ als Fan gewesen, meint Henkel, „diese Zeit als Underdog. Wie man da mitgefiebert und gejubelt hat, wenn irgendjemand geschlagen wurde, vielleicht sogar Bamberg oder Alba.“
Finanziell auf eigenen Beinen
Mit der Deutschen Meisterschaft 2014, der ersten nach 59 Jahren, fand schließlich eine Entwicklung ihren vorläufigen Abschluss, die nur vier Jahre zuvor mit einem Fragebogen im „Bayern-Magazin“ begonnen hatte. Weitere Titel folgten. Die Abteilung wuchs auf inzwischen rund 50 MitarbeiterInnen an, gespielt wird im Audi Dome, und in ein paar Jahren wird der FC Bayern Basketball mit dem SAP Garden noch in eine ganz andere Dimension vordringen.
„Das Fundament“ für diese riesige Entwicklung sei die Mitgliederbefragung 2010, sagt Marko Pesic, der 2011 als Sportdirektor zu den Bayern stieß und seit 2013 Geschäftsführer ist. „Ich weiß noch genau, wie ich mit Bernd Rauch das erste Mal über das Projekt FC Bayern Basketball gesprochen habe. Er sagte zwei Sätze, die für mich und unsere ganze Arbeit bis heute entscheidend sind: ‚Unsere Mitglieder bestimmen, was wir machen.‘ Und: ‚So eine Abteilung muss auf eigenen Beinen stehen.‘ Das ist der beste Weg, um zu erklären, was wir sind und wie wir funktionieren.“
„Basketball war eine großartige Idee“
Nach der Anschubfinanzierung erreichten die Basketballer in kürzester Zeit finanzielle Unabhängigkeit vom Gesamtverein, darauf legen sie großen Wert. „Viele Leute denken, gerade in Corona-Zeiten würde uns die AG doch sicher Geld zuschießen. Aber das ist nicht so“, betont Pesic, „die Entscheidungen, die vor nun zehn Jahren getroffen wurden, prägen uns heute noch. Und das ist gut so.“
Wenn Uli Hoeneß zurückdenkt, dann gibt er schon zu, dass es anfangs „ein gewisses wirtschaftliches Risiko“ gegeben habe. „Es war ja nicht vorherzusehen, dass es so eine Erfolgsgeschichte werden würde.“ Reizt es ihn da nicht, noch eine weitere Abteilung auf Spitzenniveau zu heben? „Nein“, betont Hoeneß, „Fußball und Basketball – mehr Profisport verträgt so ein Verein nicht.“
Auch heute noch sitzt er so oft wie möglich bei Heimspielen in der Halle, wie Bernd Rauch, der erzählt: „Wenn wir uns dort begegnen, sehen wir uns an und lächeln. Basketball war eine großartige Idee.“
Autor dieser Story ist NIKO HEINDL für die aktuelle Mai-Ausgabe des FCB-Vereinsmagazins „51“.
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