Logo des FC Bayern Basketball

FC Bayern Basketball - Offizielle Website & Ticketshop

Logo Siegmund
Gordon Herbert ist seit dieser Saison Cheftrainer beim FC Bayern Basketball
© Pahnke

„Es geht nicht mehr um Leben und Tod“

Im Spätsommer, nach Paris 2024, hat Gordon Herbert zwei Tage Urlaub gemacht. Zwei. In Westfinnland, der zweiten Heimat des Westkanadiers. Dann ist er nach München gereist, um mit Arbeit rasch den Olympia-Frust zu verdrängen, den der sehr ehrenvolle vierte Platz in ihm erzeugt hatte.

Von der deutschen Nationalmannschaft zu den Bayern, ein halbes Jahr ist Herbert, 65, jetzt hier. Und was soll man sagen: Der Kanadier mit finnischem Pass hat offenbar eine dritte Heimat gefunden. „München ist für mich die beste Stadt Deutschlands, eine der besten Europas“, schwärmt er, „ich liebe es hier.“ Ein eher persönliches Gespräch mit dem neuen Cheftrainer aus dem neuen MIDSEASON-MAGAZIN des FCBB, das kostenlos bei den Heimspielen in BMW Park und SAP Garden ausliegt.

Gordie, nach einem halben Jahr Bayern, gibt es schon einen Gänsehaut-Moment, an den sich sogar ein Weltmeister-Coach erinnert?

GORDON HERBERT: „Schon, es war wirklich das erste EuroLeague-Spiel im SAP Garden, unser Comeback gegen Real Madrid. Wir waren hinten und haben dann mit der Halle im Rücken noch gewonnen. Alle dachten, das Spiel sei verloren. Das war der Beginn von allem, was wir bisher erlebt haben.“

Es werden am Ende 80, 85, vielleicht sogar 90 Saisonspiele sein. In deiner ersten BBL-Zeit Anfang der 200er und auch vor dem DBB-Job war es noch weit weniger stressig. Wie packst Du das Pensum?

„Ja, damals war es anders, maximal ein Spiel unter der Woche. Der Kalender jetzt ist knallhart, fast unmenschlich. Die 21-Uhr-Spiele mag ich überhaupt nicht, denn eigentlich gehe ich um halbzehn in Bett! Aber ich leide nicht, ich passe auf mich auf. Ich schlafe gut, gehe an die frische Luft. Leiden tue ich nur wegen des Trainings – weil das kaum möglich ist. Vieles muss mit Video-Studium passieren. Ich würde es lieber auf dem Court regeln.“

Wie belohnst Du Dich?

„Puh . . .  Nach einem guten Sieg hab‘ ich manchmal ein Bier und wache dann morgens um halbfünf auf, um mir ein gutes Eishockeyspiel live anzuschauen. Wir haben aber so wenig Zeit, ich bleibe eher zuhause, koche etwas und schaue einen Film; einen, der schon zehn, 20 Jahre alt ist, als die Welt noch weniger Probleme hatte. Und ich lese viel, Romane, jeden Abend vorm Schlafen. Das nimmt meinen Kopf weg vom Basketball. Als junger Coach habe ich 24/7 Basketball gelebt, war nur in der Halle. Ich habe auch jetzt mal schlaflose Nächte, immer noch, wenn wir mal wieder nicht gut verteidigt haben und schlecht waren . . . Aber ich habe gelernt, dass es weiter geht.“

Du bist Kanadier mit Finnland als familiärem Standort und hast nun insgesamt anderthalb Jahrzehnte Jobs in Deutschland. Was von Dir ist kanadisch, was finnisch, was deutsch?

„Man sagt, dass Kanadier den Schweden und Australiern nahekommen: immer easy going, ruhig, sanft. Kanadier sagen oft „sorry“. Das alles bin ich, aber ich habe auch die kanadische Hockey-Mentalität in mir, also Kampfgeist. ehrgeizig sein und sehr physisch, zumindest früher, als ich noch jünger war.“

In Finnland, wo Du geheiratet hast, noch ein Haus besitzt, wo Deine Söhne geboren wurden und Du als Profi wie Coach begannst, gibt es den nicht übersetzbaren Begriff „Sisu“ . . .  

. . . eine Art Nationaltugend, das steht für niemals aufgeben, kämpfen, beharrlich sein. Das zeige ich meinem Team. Ich glaube wie die Finnen fest daran, dass man Widerstände annehmen muss anstatt sie als Ausrede zu nutzen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt, sie war selbst eine großartige Athletin in verschiedenen Sportarten.“

Therapie im Haus am Ozean

Und nun arbeitest Du deine 16. Saison in Deutschland, jetzt wieder als Klubtrainer . . .

. . . und hier lersnt du: Wenn du etwas machst, mache es professionell. Deutschland ist da etwas präziser als Kanada oder Finnland . . .

. . . diese Deutschen seien allerdings auch häufig viel zu ernst, heißt es bisweilen . . .

. . . und hier mir sagen mir jetzt Leute, zum Beispiel der Präsident, ich solle mal häufiger lachen, mehr lächeln (lacht laut und lächelt). Dabei habe ich jetzt Frieden in meinem Leben gefunden, es geht beim Coaching nicht mehr um Leben und Tod. Ich habe gelernt, den Moment zu genießen, Spieler zu trainieren, mit ihnen zu sein und besser mit ihnen zu kommunizieren als früher.“

Du hast Dich verändert als Coach und Mensch, das hast Du sehr offen bekannt. 

„Ja, dieser Job enttarnt dich. Du ziehst von Land zu Land, von einem Haus ins nächste Appartement; meist ohne Frau und die Stabilität einer Familie. Ich habe jetzt meinen Sohn Daniel hier als Assistent, das ist speziell. Doch ich habe nicht viel davon gesehen, wie meine (drei) Kinder aufwuchsen. Wegen des Jobs, wegen meines Egoismus. Ich habe meinen Beruf über das Familienleben gestellt, das muss ich leider sagen. Das kommt nicht mehr zurück, aber ich versuche, viel davon nachzuholen. Es ist nie zu spät.“

Zum Beispiel nächsten Sommer, Du könntest Dir ja mal zwei, drei Wochen Urlaub gönnen, nicht nur zwei Tage.

„Ich habe gern mit dem Nationalteam gearbeitet, doch was ich nicht mochte, war, keinen Sommer zu haben. Ich weiß noch nicht, was ich mache, aber es gibt immer noch viel zu tun in meinem Sommerhaus, es ist vier Stunden von Helsinki entfernt, an der Westküste. Der Ort heißt Pyhäma, übersetzt Heiliges Land. Da hacke ich Holz, bin auf dem SUP-Board, fahre Jetski, mache Gartenarbeit. Das ist meine Therapie, in meinem Haus am Ozean. Manchmal kommen die Kinder, Freunde, sonst bin da nur ich.“

Wie hat sich der Chefcoach Herbert gewandelt?

„Früher war ich ziemlich emotional, habe viel geschrien und gefordert. Manchmal bin ich dann nach dem Training heimgegangen und habe in den Spiegel geschaut – was ich da sah, gefiel mir nicht, das war nicht ich. Ich habe Fernseher zertrümmert, bin recht persönlich geworden. Es hat lange gedauert, aber ich habe gelernt, dass man auch ohne Geschrei eine Atmosphäre aus harter Arbeit und Energie erzeugen kann. Ich mag mich selbst jetzt viel mehr. Beim Nationalteam habe ich nur einmal meine Stimme erhoben in drei Jahren, beim Streit mit Dennis (Schröder, in der WM-Zwischenrunde 2023 gegen Slowenien; d.Red.)."

Die Szene war eine wichtige Episode auf dem Weg zum WM-Triumph. Was soll da jetzt noch kommen? Die Final Four-Teilnahme, die Du zwar nicht als Ziel, aber als Vision ausgegeben hast neben der Titelverteidigung?

„Warum nicht. Wir haben die Chance auf das Final Four, wenn wir als Team komplett zusammenkommen. Wenn du als Gruppe stark bist, können sich die Individuen verbessern. Gut möglich, dass wir scheitern. Sind wir schon ein sehr gutes Team? Sicher nicht, nein. Das ist in Ordnung, denn wir können uns noch verbessern. Trotzdem, warum soll das keine Vision sein?“    

Du hattest als Gold-Coach auch andere Optionen. Warum Bayern?

„Ich wollte in Deutschland bleiben, wir haben zudem fünf Nationalspieler hier. Und es war schon immer mein Traum, Bayern zu coachen; wegen dieser Marke, der Stadt, der Kultur hier und wie dieser Klub wächst. Nicht hierherzukommen, war überhaupt keine Option.“

Diesen Artikel teilen