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Das große Abschieds-Interview mit Dr. Müller-Wohlfahrt

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Das große Abschieds-Interview mit Dr. Müller-Wohlfahrt

Über 40 Jahre war Dr. Hans Wilhelm Müller-Wohlfahrt der Arzt, dem die Bayern vertrauen. Beckenbauer, Matthäus, Robben – der „Mull“ hat sie alle fitgemacht. Nun sagte der weltweit renommierte Sportorthopäde Servus beim Rekordmeister, dem Vereinsmagazin „51“ gab er zuvor noch ein ausführliches Interview.

Das Interview mit Dr. Hans Wilhelm Müller-Wohlfahrt

Herr Müller-Wohlfahrt, Sie fingen im April 1977 beim FC Bayern an – erinnern Sie sich noch an den ersten Arbeitstag?
„Sehr gut sogar. Ich war etwas spät dran. Mit dem Auto von Berlin nach München, da kann man sich schon mal verschätzen. Ich renne die Treppen hoch zum Konferenzraum, da warten sie schon alle auf mich: Präsident Wilhelm Neudecker, Manager Robert Schwan, Trainer Dettmar Cramer. Ich bin ziemlich abgehetzt, und dann geht es ratzfatz. Schwan: ‘Wir suchen einen Arzt wie Sie, wollen Sie das machen?‘ Antwort: Ja. Handschlag. Ich war der neue Bayern-Arzt. Cramer nimmt mich an der Schulter: ‘Doc, lassen Sie uns gleich anfangen!‘ Das war mein Kaltstart beim FC Bayern. Mir gefiel das: Nur keine Zeit verlieren.“

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Uli Hoeneß kam bei jedem Spieler mit und drängte, was los sei, wie lange es dauert – Sie mussten tasten, was das Zeug hält.
„So ging das über Jahre! Aber schon Neudecker stand in der Kabine neben mir und stellte diese Fragen. Im Kommando-Ton. Und wehe, ich war unsicher. Wenn du keine klaren Aussagen getätigt hast, warst du unten durch. Andererseits: Ich weiß noch genau, wie Gyula Lorant einmal Branko Oblak nach einem Zehenbruch den Gips abnehmen und trainieren ließ: ‘Wir haben früher den Meniskus reingekloppt und sind weitergelaufen – du läufst jetzt!‘ Damals informierten mich Kiebitze. Ich sprang im Arztkittel ins Auto und zog den Oblak vom Platz. In der folgenden Krisensitzung sagte Neudecker dann: ‘Bei uns wird gemacht, was der Doc sagt.‘“ 

Bedeutete das nicht auch ungeheuren Druck?
Druckgefühl kenne ich eigentlich nicht. Ich nehme Herausforderungen gerne an. Uli Hoeneß hat mich gefordert wie kein anderer. Er hat mich gefordert und gefördert. Wenn ich behandelt habe, stand er immer daneben und stellte seine Fragen. So entstand tiefes Vertrauen. Für mich das Wichtigste: Er hat meine Entscheidungen stets akzeptiert.“

40 Jahre Hans Wilhelm Müller-Wohlfahrt beim FC Bayern in Bildern:

Es gibt viele Anekdoten, wie er Sie immer wieder aus dem Urlaub zurückbeorderte – einmal sogar von einer versteckten Karibik-Insel…
„Damals sind wir oft nach Frankreich in Urlaub – und immer wieder musste ich für ein paar Tage zurück nach München. Franz rief ja als DFB-Teamchef auch oft an: ‘Mull, wir brauchen dich!‘ Das kann so nicht weitergehen, sagte ich zu meiner Frau. Also flogen wir nach Antigua, und sagten niemandem, wo wir sind. Wir waren einfach weg. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie Uli herausgefunden hat, wo wir stecken. Aber eines nachts raschelt es unter der Tür. Ich dachte zuerst, ein Tier oder so. Es war ein Fax: ‘Mull, Du musst kommen!‘ Das war, als es gegen Köln und Christoph Daum um die Meisterschaft ging. Das ganze Land war unter Hochspannung. Ich konnte nicht anders, als zurückzufliegen. Ich musste. Dieser verdammte Gehorsam, dieses verdammte Pflichtgefühl. Meine Frau blieb mit den Kindern auf Antigua, und ich saß in Köln auf der Bank.“

Wie verfolgen Sie ein Bayern-Spiel: Immer das Auge auf dem Ball, immer auf dem Sprung?
„Das ist mein ureigenes Vergnügen. Mit Langeweile kann ich nicht gut umgehen. Ich brauche Spannung, ich genieße Aufregung. Liegt ein Spieler am Boden, bin ich schon da. Bevor ich ihn erreiche, rufe ich: Wo tut's weh? So kann ich gleich in medias res gehen.“

Sie haben im Laufe der Jahre so viele Namen bekommen: Dr. Radarfinger, der Muskelflüsterer, die „Sunday Times“ nannte Sie „Dr. Feelgood“ – welcher gefällt Ihnen am besten?
Dr. Feelgood. Das stammte von Linford Christie. Wenn du bei Müller-Wohlfahrt aus der Praxis herauskommst, fühlst du dich schon wie ein Sieger, sagte er. Das machte die Runde.“

Neben den Spielern des FC Bayern behandelte Dr. Müller-Wohlfahrt noch viele weitere prominente Patienten. Zum Abschied bedanken sich U2-Sänger Bono, Box-Legende Wladimir Klitschko und 100-Meter-Weltrekordhalter Usain Bolt bei Mull:

Sie haben die größten Sportler der Welt behandelt – welche Leistung hat Ihnen persönlich am meisten imponiert?
„Ich glaube, der 100-Meter-Weltrekord von Usain wird ewig Bestand haben. Und ich behaupte: Er hat nicht ganz durchgezogen und hätte noch schneller sein können. 9,58 Sekunden. Da kommt keiner mehr hin. Zumal die Kontrollen strenger geworden sind. Usain war ein erklärter Doping-Gegner, und bei ihm lege ich meine Hand ins Feuer: Er war blitzsauber. Sportlern sieht man Doping oft an; vor allem an der Nackenmuskulatur, und Doping lässt sich auch an der Muskelbeschaffenheit bei einem Tastbefund erkennen. Ich kann gut beobachten. Ich weiß, dass Usain sauber war.“

Ohne den Bayern-Job, sagten Sie mal, käme eine große Leere – haben Sie Angst?
„Nein. Ich habe noch eine Reihe von Ideen, werde an einem Wissenschaftsprogramm der Universität Rechts der Isar mitarbeiten und unter anderem ein Computerprogramm zur Muskeldiagnostik unter Nutzung der künstlichen Intelligenz der Computer entwickeln. Wir werden eine große Anzahl von Kernspinbildern verletzter Muskel einscannen und – entsprechend zugeordnet – meine Tastbefunde und Diagnosen eingeben, so dass der Computer schließlich imstande ist, selbstständig in meinem Sinne Diagnosen zu stellen. Es ist ein großer Wunsch, mein Wissen an junge Ärzte weiterzugeben und mit meinem neuen Sportorthopädieteam neue Projekte anzupacken.“

Die ungekürzte Fassung könnt ihr im aktuellen 51 lesen. Hier findet ihr außerdem unter anderem Interviews mit FCB-Präsident Herbert Hainer und Jérôme Boateng.

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