Herbert Hainer hat ein bewegtes erstes Kapitel seiner Amtszeit hinter sich. Der Aufsichtsratschef und Präsident des FC Bayern zieht ein Double-Fazit und sagt, welchen Weg der Verein in einer Welt anvisiert, die sich schneller denn je dreht. Das ausführliche Interview gibt es in unserem Mitgliedermagazin „51“.
Das Interview mit Herbert Hainer
Herr Hainer, Bayern-Präsident, das klingt für viele wie ein Kindheitstraum – aber hält das dem Praxistest stand? Wie fühlt es sich an, im Brennglas der Öffentlichkeit, unter Alphatieren dieses Vereins?
„Inzwischen habe ich mich an die Emotionen und die Öffentlichkeit gewöhnt, in der der FC Bayern steht. Auch nach sechs Monaten ist es für einen fußballverrückten Menschen wie mich, der diesen Klub schon immer geliebt hat, weiter ein unheimlich tolles Gefühl. Es ist eine spannende Aufgabe – aber es ist auch: Viel Arbeit. Das darf man nicht unterschätzen. Der Corona-Krise begegnet der gesamte Verein insgesamt sehr gut; da agiert der Vorstand um Karl-Heinz Rummenigge im Verbund mit dem Präsidium und Aufsichtsrat sehr handlungsstark und sehr agil, die Basketball GmbH mit Marko Pešić an der Spitze arbeitet sehr verantwortungsbewusst und alle Mitarbeiter ziehen super im Sinne des FC Bayern mit.“
Wer ist Ihr Spieler der Saison?
„Es ist bei dieser tollen Mannschaft schwer, einen hervorzuheben. Sie waren alle sensationell. Aber die Entwicklung von Alphonso Davies hat mir ausgesprochen viel Freude bereitet. Vor etwas mehr als einem Jahr kannte Alphonso Davies noch kein Mensch, inzwischen begeistert er unsere Fans auf der ganzen Welt. Ein echter Ankommer: Er ist sportlich absolut spitze und mit seiner jungen, frischen Art auf dem besten Weg zu einem Sympathieträger. Der Junge macht uns einfach Spaß.“
Richtig hochgeschaltet hat die Zweite Mannschaft nach der Corona-Pause der Dritten Liga…
„Diese Entwicklung ist sensationell. Dass wir Meister der Dritten Liga wurden, dafür verdient Trainer Sebastian Hoeneß mit seinem Team allergrößten Respekt. Immer mehr Talente klopfen bei den Profis an, unsere Jugendarbeit wird mehr und mehr zum Quell von jungen Spielern – endlich, wo David Alaba der Letzte war, der vor über zehn Jahren den Sprung geschafft hat. Da muss man Hasan Salihamidžić ein Riesenkompliment machen, der unsere Nachwuchsarbeit zusammen mit Jochen Sauer, dem Leiter des FC Bayern Campus, neu ausgerichtet hat.“
Insgesamt fünf Talente des FC Bayern Campus feierten diese Saison ihr Debüt in der Bundesliga. Wir stellen sie vor:
Wie hat Ihnen die Saison der FCB-Frauen gefallen?
„Wir sind mit der Entwicklung sehr zufrieden. Es ist unser klares Ziel, den VfL Wolfsburg von der Spitze zu stoßen und die Nummer 1 im deutschen Frauenfußball zu werden. Um das zu erreichen, wird viel in Bewegung gesetzt, und wir konnten bereits einige namhafte Neuzugänge für die kommende Saison vermelden. Ich werde jetzt auch die Champions League genau verfolgen – sollte unsere Mannschaft das Finale erreichen, bin ich in San Sebastián dabei.“
Sie sind ein Fan des mündigen Spielers – ist dieser Typ in Zeiten, in denen gesellschaftspolitische Themen stärker als früher in den Sport hineinspielen, mehr in Mode denn je?
„Ich bin der Meinung, dass wir speziell in der Corona-Zeit viele positive Beispiele gesehen haben und möchte da stellvertretend Joshua Kimmich und Leon Goretzka nennen. Sie haben mit „WeKickCorona“ die Initiative ergriffen und äußern sich darüber hinaus bei vielen gesellschaftspolitischen Fragen in vorbildlicher Form. Der Sport übernimmt mehr Verantwortung in sozialen Fragen, und das ist wichtig und richtig in unserer Zeit.“
Inwieweit ist eine Initiative wie „Rot gegen Rassismus“ ein gutes Beispiel, wie man sich als Verein mit den Spielern meinungsbildend einsetzt?
„Ich bin sehr glücklich, dass der FC Bayern mit dieser Initiative ein klares Zeichen gesetzt hat – im Übrigen schon Monate vor dem schockierenden Tod von George Floyd in den USA. Ich freue mich sehr, wie unsere Spieler bei dieser Aktion mitziehen und dass sie auch noch die „Black Lives Matter“-Bewegung integriert haben. Die Haltung des FC Bayern ist eindeutig, unsere Wertvorstellungen sollen den Fans auf der ganzen Welt ersichtlich sein: Bei uns gibt es keinen Millimeter Raum für Rassismus.“
2020 hat den Fußball mehr denn je aus seiner Blase geholt – plötzlich spielen Donald Trumps Politik und eine Pandemie aus China eine Rolle. Wie sehr darf/soll/muss ein Verein in der heutigen Zeit politisieren?
„Der FC Bayern muss sicher nicht zu jedem politischen und gesellschaftlichen Aspekt seine Meinung beisteuern. Aber es gibt bestimmte Punkte wie Menschenrechte, Diskriminierung, Rassismus, Intoleranz, bei denen ich schon glaube, dass wir als FC Bayern mit unserer Strahlkraft eine Verantwortung haben, klarzumachen, für welche Werte wir stehen. Das ist keine aufgesetzte politische Facette, sondern eine Frage der Grundhaltung eines Vereins.“
Werfen wir einen Blick voraus in eine Welt, die sich schneller dreht als je zuvor: Alte Werte, bewährte Methoden und neue Ideen – wo ist der Weg des FC Bayern?
„Der FC Bayern war in den vergangenen Jahrzehnten immer ein Vorreiter im Fußball, und es ist unsere Aufgabe, dass er auch in Zukunft weiter vorangehen wird. Die Welt verändert sich. Digitalisierung, Medialisierung und Internationalisierung sind Schlagworte im Umfeld dieser enormen Dynamik. Zudem sind auch die Werte und deren Wahrnehmung einem starken Wandel unterzogen. Vieles wird zu Recht hinterfragt, es geht immer mehr um Themen wie Verantwortung, Nachhaltigkeit, Ökologie oder auch Transparenz. Wir müssen und wir werden den FC Bayern für diese Anforderungen ausrichten. Daher haben wir unter der Leitung von Oliver Kahn zusammen mit unseren Mitarbeitern und mit Experten einen Prozess angestoßen, der sich mit der mittel- und langfristigen Zukunft des FC Bayern auseinandersetzt.“
Wie schafft man es, dass sich der FC Bayern neu erfindet, sich einer bewegten Welt anpasst, sie weiter mitdiktiert – und gleichzeitig der FC Bayern bleibt?
„Wir sehen uns drei grundsätzlichen Herausforderungen gegenübergestellt: 1. Wie schaffen wir es, sportlich als internationaler Top-Klub etabliert zu bleiben? 2. Wie stellen wir uns für dieses Ziel wirtschaftlich auf, und zwar entsprechend der bisherigen Bayern-Philosophie, stets finanzielle Vernunft walten zu lassen? Und 3. die soziale Frage: Wie bleiben wir greifbar, wie nehmen wir unsere Rolle in der Gesellschaft wahr, wie werden wir den Fans gerecht, so dass wir auch in zehn Jahren noch eine ausverkaufte Allianz Arena haben. Wie schaffen wir es, dass der FC Bayern weiterhin attraktiv bleibt? Es braucht da heutzutage klare Strukturen und Inhalte, die alle mittragen.“
Ist der FC Bayern heute mehr denn je ein „role model“ für Europa?
„Ich denke schon. Dieser Verein wird unheimlich bewundert – auf der ganzen Welt. Weil er viele Dinge federführend richtig macht, sportlich wie wirtschaftlich. Es gibt nur sehr wenige Vereine, die sich in der Gesamtbilanz mit uns messen können. Und gerade in diesen Corona-Zeiten bekommen wir aus der ganzen Welt viel positives Feedback, wie schön es ist, dass wir nie die Menschen aus den Augen verlieren, denen es nicht so gut geht. Sie sehen hier einen glücklichen Präsidenten vor sich. Ich bin froh, diesem Verein dienen zu dürfen.“
Die ungekürzte Fassung könnt ihr im aktuellen 51 lesen. Hier findet ihr außerdem unter anderem ein Interview mit Jérôme Boateng und einen Rückblick auf die lange Karriere von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt beim FCB:
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