Ein Jahr „Rot gegen Rassismus“ – wie kann der FC Bayern seine Initiative weiterentwickeln? Präsident Herbert Hainer tauschte sich mit den Experten Jennifer Danquah und Sascha Chaimowicz sowie Viviane Asseyi, Serge Gnabry und Demond Greene aus. Ein offener Dialog, selbstkritisch, lernorientiert und konstruktiv.
Sascha Chaimowicz: Sie sind gefeierte Trainer und Sportler*innen. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Leben mit Rassismus gemacht?
Asseyi: „Ich danke Gott, dass ich persönlich bisher tatsächlich noch nie mit diesem Thema konfrontiert wurde. Aber ich kenne viele, denen es passiert ist. So eine Situation wünsche ich niemandem. Meine Einstellung ist: Natürlich ist jeder Mensch verschieden – aber wir sind dennoch alle Menschen. Ich denke, jeder kann jedem helfen. Wir können nicht jeden Menschen verändern – aber wir können viele Dinge umsetzen, um eine Veränderung in der Gesellschaft zu erreichen, um die Mentalität und die Einstellung der Menschen zu ändern. Da müssen wir alle zusammenhelfen.“
Greene: „Ich persönlich habe da zum Glück bisher auch keine Erfahrungen gemacht – zumindest nicht auf dem Basketball-Court. Privat habe ich hingegen eine Geschichte, die mich bis heute beschäftigt: Es ist schon gut 20 Jahre her, als einmal in der Fußgängerzone ein Junge von vielleicht sechs, sieben Jahren zu seiner Mutter sagte: ‚Schau mal, da ist ein N*!‘ Ich war in dem Moment so baff, dass ich gar nicht reagieren konnte. Oft kommt Rassismus von den Eltern, da muss man ansetzen, finde ich, und zum Beispiel in den Schulen und Sportvereinen entgegenwirken.“
Gnabry: „Das ist interessant, weil ich persönlich auch eigentlich eher in der Jugend mal ein paar negative Erlebnisse hatte – aber ich habe das damals gar nicht so an mich herangelassen. Im Laufe der Jahre wird einem das Thema Rassismus bewusster. Als bei unserem Länderspiel gegen Serbien Leroy Sané und Ilkay Gündogan beleidigt wurden, hat uns das als Mannschaft getroffen und mich sehr mitgenommen. Ich denke, es ist immer hilfreich, wenn Menschen versuchen, sich mal in die Lage des Betroffenen zu versetzen – dann merkt man schnell, wie nah dem anderen das geht. Näher, als viele denken.“
Chaimowicz: Frau Danquah, es gibt Menschen, die sich fragen, was sie eigentlich noch sagen dürfen und was nicht. Wo beginnt Rassismus?
Danquah: „Es gibt unterschiedliche Ebenen von Rassismus: die strukturelle, die institutionelle und die individuelle, die auch den sogenannten Alltagsrassismus beschreibt. Die Frage ‚Woher kommst du?‘ oder das Kompliment gegenüber einer Schwarzen Person ‚Du sprichst aber gut Deutsch‘ sind Beispiele aus dem Alltag: Das angeführte Kompliment suggeriert, dass Schwarze Menschen nicht gleichzeitig deutsch und somit der deutschen Sprache nicht fehlerfrei mächtig sein können. Es existieren auch unterschiedliche Grade von rassistischen Handlungen. Offen rassistische Gewalttaten gegen nicht weiß gelesene Menschen sind sicher ein anderer Grad, als in bestimmten Situationen die Frage zu stellen, wo jemand herkommt. Aber beidem liegt die gleiche Struktur zugrunde.“
Hainer: „Ich möchte da mal nachhaken: Wenn ich jemanden frage, wo er herkommt, ist das bei mir ehrliches Interesse an der Person und an ihrer Herkunft.“
Danquah: „Es kommt tatsächlich auch immer auf den Kontext dieser Frage an. Wenn wir schon lange im Gespräch sind und sie in den Austausch passt, kann es in Ordnung sein. Wenn es aber gleich die erste Frage ist, wirkt es anders. Wessen Stammbaum muss denn hier unbedingt in Erfahrung gebracht werden – und warum eigentlich?“
Chaimowicz: Herr Hainer, manche vertreten die Ansicht, dass sich Sportler*innen auf ihren Sport konzentrieren sollten, statt sich politisch zu positionieren. Wie sehen Sie es als Präsident, dass sich Ihre Sportler öffentlich zu dieser Thematik äußern?
Hainer: „Ich finde es vorbildlich und wichtig. Leider nimmt Rassismus in unserer Gesellschaft zu, dafür habe ich null Verständnis. Wir wollen mit ‚Rot gegen Rassismus‘ und mit dieser Gesprächsrunde ein Bewusstsein in unserer Gesellschaft schaffen und zeigen, dass an oberster Stelle stehen muss, dass alle Menschen gleich sind. Ich finde es großartig, wenn unsere Sportler und Sportlerinnen den Mut haben, sich zu äußern, und ich bin ihnen dafür sehr dankbar.“
Chaimowicz: Frau Asseyi, Sie sind in Frankreich aufgewachsen und kamen im vergangenen Sommer nach Deutschland. Wird dort anders über Rassismus gesprochen als hier?
Asseyi: „In meinen Augen ist ein großer Unterschied, dass die Deutschen mehr über dieses Thema sprechen. In Frankreich gibt es auch Kampagnen, aber oft nur, wenn etwas in dieser Richtung passiert ist. In Deutschland wird konstanter darüber gesprochen. Das finde ich gut, denn wenn wir aufhören, über etwas zu reden, gerät es in Vergessenheit. So eine Gesprächsrunde wie heute ist ein gutes Beispiel, um das Thema in den Köpfen zu etablieren. Der FC Bayern ist da ein tolles Vorbild für alle Vereine auf der ganzen Welt.“
Chaimowicz: Herr Hainer, kommt so ein Anstoß vielleicht auch aus der Historie des FC Bayern?
Hainer: „Absolut. Der Kampf gegen Diskriminierung ist in unserer DNA verankert, und das muss er auch sein. Wir hatten mit unserem jüdischen Präsidenten Kurt Landauer und seinem Vorgänger Angelo Knorr, der wegen seiner Homosexualität verhaftet wurde, zwei prägende Figuren in unserer Klubhistorie, die verfolgt und stigmatisiert wurden. Wenn Viviane gerade sagt, dass wir in Deutschland generell mehr über Themen wie Rassismus sprechen, hängt das meiner Meinung nach auch mit unserer Vergangenheit zusammen. Das ist wichtig, denn wir alle haben die Verantwortung, dass sich die Verbrechen der Nazizeit nicht wiederholen. Das muss im täglichen Bewusstsein der Menschen sein. Da sehen wir uns als FC Bayern auch in der Verantwortung.“
Chaimowicz: Welche Ziele streben Sie mit „Rot gegen Rassismus“ an?
Hainer: „Wir wollen eine Haltung kreieren, dass viele Aspekte, die Frau Danquah gerade angesprochen hat, noch mehr ins Bewusstsein der Menschen einziehen – bei uns im Verein, bei unseren Fans und in der gesamten Gesellschaft. Ausgrenzungen dürfen nicht toleriert werden.“
Chaimowicz: Frau Danquah, verändert so eine Initiative etwas?
Danquah: „Solidarisierung in der Gesellschaft ist sehr wichtig. Dass man aufsteht und sagt: ‚So geht es nicht mehr!‘ Daher ist es wichtig, Haltung zu zeigen. Da der FC Bayern auf der ganzen Welt eine hohe Aufmerksamkeit genießt, ist es ein sehr starkes Zeichen, wenn er seine Ressourcen für dieses Thema einsetzt. Nach dem Motto: ‚Wir sind als Verein geschlossen gegen Rassismus!‘ Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, den Blick nach innen zu richten: Wie können wir unsere Strukturen optimieren, was können wir tun, um Rassismus auch im Inneren des Vereins zu begegnen? Da sollte man zweigleisig fahren: Die Wirkung nach außen und die nach innen schließen sich ja nicht aus.“
Hainer: „Das ist ein sehr interessanter Punkt, den Sie da ansprechen. Wir hatten ja leider auch das Thema bei uns am Campus. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass man immer wieder genau hinschauen muss und nicht alles als gegeben hinnehmen darf. Es muss darum gehen, die Menschen zu bewegen, dass ihre Haltung intrinsisch aus ihnen kommt. Keiner ist davor gefeit, dass mal etwas passiert. Wir müssen uns mit diesem Diskurs permanent auseinandersetzen.“
Chaimowicz: Welche Lehren zieht der Verein aus der Geschichte am Campus?
Hainer: „Wir müssen noch genauer darstellen, für welche Werte wir als Verein stehen – auch nach innen. Da fasse ich mich an der eigenen Nase. Wir können noch viele Dinge optimieren. Wir haben inzwischen einen Handlungsleitfaden für unsere Trainer und Trainerinnen verteilt, der unsere Werte klar zum Ausdruck bringt. Zudem haben wir einiges erarbeitet, unter anderem Workshops zum Thema Rassismus mit externen Beratern – und darum sind wir auch sehr interessiert an Ihren Ratschlägen, Frau Danquah. Wir wollen diese Haltung bei uns integrieren, dass sie von selbst heraus wirkt, denn sie kann ja nicht von oben verordnet werden. Jeder muss selbst einen Sensor haben, um bei einem Vorfall aufzustehen und zu sagen: ‚Das ist nicht richtig, was du gerade gesagt oder getan hast, da widersprichst du meiner innersten Überzeugung.‘“
Chaimowicz: Serge Gnabry, wie fühlt sich das an, wenn sich der eigene Verein dem Thema Rassismus so widmet, was geht Ihnen da durch den Kopf?
Gnabry: „Ich empfinde es als ein sehr schönes Zeichen, wenn sich dein eigener Verein so für Diversität einsetzt. In unserer Kabine haben wir Spieler aus vielen unterschiedlichen Kulturen, wir halten zusammen, egal, wo einer herkommt. Wie der FC Bayern in seiner ganzen Struktur, mit all seinen Mitarbeitern bei ‚Rot gegen Rassismus‘ vorgeht, gibt ein gutes Gefühl. Ich finde es schön und wichtig, dass der Verein bei diesem Thema so ein Bewusstsein schaffen möchte.“
Chaimowicz: Herr Hainer, können Sie sich eine Satzungsänderung vorstellen?
Hainer: „Ja, definitiv. Die ist sogar schon vorbereitet. Uns ist es wichtig, Diskriminierung keinen Millimeter Spielraum zu lassen, deshalb haben wir in unserer Satzungskommission eine umfassende und detaillierte Formulierung aufgestellt, die sich in aller Konsequenz gegen Rassismus richtet. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass dieser Passus auf der nächsten Jahreshauptversammlung von unseren Mitgliedern verabschiedet wird. Ich finde es wichtig, dass wir mit ‚Rot gegen Rassismus‘ Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken – daher wollen wir diese Initiative stetig mit Inhalten befüllen und insgesamt als Verein in dieser Sache die nächsten Schritte machen. Es geht darum, Rassismus nie aus den Augen zu verlieren. Wir sind fest gewillt, uns diesem Thema weiterhin zu stellen.“
Das ausführliche Gespräch gibt es in der März-Ausgabe des FC Bayern Mitgliedermagazins 51.
Sascha Chaimowicz, Moderator und Autor, ist 1984 in München geboren worden. Nach seiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule arbeitete er zunächst für die Zeitschrift „NEON“. 2016 wechselte er zum „Zeit Magazin“, wo er seit 2020 als Chefredakteur fungiert.
Jennifer Danquah forscht und promoviert an der Universität Würzburg an der Schnittstelle von Erwachsenenbildung und Rassismuskritik. Darüber hinaus bietet die 27-Jährige rassismuskritische Seminare und Workshops an.
Fotos: Dirk Bruniecki
Anlässlich der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ möchte der FC Bayern seine Aktion Rot gegen Rassismus inhaltlich weiterentwickeln:
Alle Infos zur Aktion Rot gegen Rassismus:
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