Dass der FC Bayern eine absolute Top-Adresse ist, hat er 2023 einmal mehr bewiesen: Mit Harry Kane, Pernille Harder und Serge Ibaka wurde jedes der drei Profiteams mit einem internationalen Ausnahmeathleten verstärkt. Ein Trio aus der nächsten Dimension. Was geben solche Figuren ihren Mannschaften – und dem ganzen Club?
Zack, zack, zack – im Stakkato schnellt der Oberkörper nach oben. Sit-up um Sit-up geht es rauf und runter, schon beim Zuschauen schmerzen einem die Bauchmuskeln, oder besser gesagt die Körperregionen, wo man Bauchmuskeln haben müsste. Die Teamkollegen werfen kurz vor dem Spielstart noch ein paar letzte Körbe, um warm zu werden. Serge Ibaka liegt auf dem Hallenboden und sit-upt sich unaufhörlich in Schwung.
„Natürlich ist es alles ein Mannschaftssport – es geht weiter nur im Team, dafür steht unser Club. Aber diese drei lenken noch einmal mehr Aufmerksamkeit auf den FC Bayern.”
Herbert Hainer, Präsident des FC Bayern
Es ist Saisonauftakt der FC Bayern Basketballer – und ein besonderer: Das Spiel gegen Syntainics MBC findet auf einem Glasboden statt, über den Videos und Lichteffekte tanzen. Der voll besetzte BMW Park vibriert vor Bässen, die den Menschen auch in den obersten Rängen in die Knochen fahren. Ein junger Fan trägt ein Nirvana-Shirt mit dem Aufdruck „Nevermind“, frei übersetzt „Vergiss es“. Vergiss es? Von wegen! Der Abend wird allen lang in Erinnerung bleiben. Auch wegen Neuzugang Serge Ibaka, der erstmals in einem offiziellen Spiel mitmischt. In dieser Partie – sie wird 96:87 gewonnen – ist er zwar noch nicht die zentrale Figur, aber er hinterlässt erste Eindrücke, wozu er fähig ist. Harry Kane bei den Fußballern, Pernille Harder im Frauenteam des FC Bayern und Serge Ibaka bei den Basketballern: In allen drei Profiteams hat der Verein in diesem Sommer die nächste Stufe gezündet.
„Natürlich ist es alles ein Mannschaftssport – es geht weiter nur im Team, dafür steht unser Club“, sagt Herbert Hainer. Der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende hatte Ibaka gleich am Abend nach dem Medizincheck beim 2:2 gegen Bayer 04 Leverkusen durch die Allianz Arena geführt. „Aber diese drei lenken noch einmal mehr Aufmerksamkeit auf den FC Bayern.“ Der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen erklärt: „Es bereitet uns und unseren Fans eine riesige Freude, diese drei Ausnahmesportler im Bayern-Trikot zu sehen. Alle drei sind Ausdruck und Symbol für den Anspruch an uns selbst. Diesen Club zeichnet ein niemals enden wollender Hunger nach Titeln aus, und diese Transfers sind ein weiterer Beleg dafür.“
„Alle drei sind Ausdruck und Symbol für den Anspruch an uns selbst.”
Jan-Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender
Jan-Christian Dreesen sitzt in seinem Büro. Der Schreibtisch des Vorstandsvorsitzenden ist sauber aufgeräumt, das Smartphone ruht ungewohnt still – und Dreesen reist für das Gespräch mit „51“ in Gedanken noch einmal zurück in den Sommer, als sich die Unterlagen gestapelt haben und das Telefon permanent klingelte oder vibrierte. Seit über zehn Jahren ist er nun im Vorstand des FC Bayern: Harry Kane an die Säbener Straße zu holen war ein Kraftakt wie nie zuvor. Die Verhandlungen zogen sich über Wochen, sie starteten frühmorgens und zogen sich bis tief in die Nacht. „Man muss sich reinbeißen“, sagt Dreesen über solche Deals. „Ich kann ziemlich hartnäckig sein – das ist, glaube ich, eine meiner Stärken“, fügt er schmunzelnd hinzu. „Du brauchst auch mal Nehmerqualitäten, sonst hältst du nicht durch.“ Der Transfer sei ein Gemeinschaftswerk der Entscheidungsträger im Club gewesen, schildert er, „jeder hat seine Qualitäten eingebracht“, ehe Kane endlich an einem Freitag Mitte August weit nach Mitternacht beim FC Bayern unterschrieb. Dreesen fiel um 3:30 Uhr müde ins Bett. Er schlief mit einem inneren Glücksgefühl ein: „Endlich geschafft!“
London wie im Agentenfilm
Jeder Transfer hat seine Geschichte. Die von Pernille Harder beginnt lange vor der finalen Einigung. Bianca Rech, seit diesem Sommer Nachfolgerin von Karin Danner als Abteilungsleiterin der FC Bayern Frauen, hatte schon früh die Fühler nach der dänischen Nationalstürmerin ausgestreckt. Sie hatte gehört, dass Harder gemeinsam mit ihrer Partnerin Magdalena Eriksson, ebenfalls eine Weltklassespielerin beim FC Chelsea, für ein neues Projekt offen wäre. Als der Kontakt konkreter wurde, setzte sich Rech mit ihrem Trainer Alexander Straus in einen Flieger nach London. Das Treffen im Airport-Hotel sei ein bisschen wie in einem Agentenfilm gewesen, erzählt sie mit einem Lächeln; die Spielerinnen wollten möglichst lange Ruhe bei Chelsea wahren, aus Respekt gegenüber ihrem langjährigen Arbeitgeber. Drei Stunden saßen sie zusammen, „beide Spielerinnen wussten schon unglaublich viel über uns“, sagt Rech.
„Sie haben gut vorbereitete Fragen gestellt – und am Ende sind wir mit einem guten Gefühl nach München geflogen.“ Zu Recht: Wenig später kam das Signal, dass man das Duo überzeugt habe. „Wir sind hartnäckig geblieben“, erzählt Rech, „und jetzt sehen wir Tag für Tag, dass sich das auszahlt: Solche Spielerinnen tragen eine Mannschaft weit über den eigentlichen Sport, weit über den Platz hinaus.“
„Solche Spielerinnen tragen eine Mannschaft weit über den eigentlichen Sport, weit über den Platz hinaus.”
Bianca Rech, Abteilungsleiterin der FC Bayern Frauen
Marko Pesic weiß genau, was Bianca Rech meint. Der Geschäftsführer der FC Bayern Basketballer bittet am Handy kurz um Geduld, hinter ihm klappert laut Geschirr – für das Telefonat zum Thema Serge Ibaka verlässt er den Frühstückssaal, am Abend steht das EuroLeague-Spiel in Athen an. Pesic hat 97 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft bestritten, holte EM-Silber, WM-Bronze und unter anderem sechs Deutsche Meisterschaften. Als Entscheidungsträger formt er den FC Bayern seit 2011, um ihn auch im Basketball europaweit zu etablieren. Er sieht Spieler kommen und gehen, seit Jahrzehnten – aber einen Profi wie Ibaka sah er noch nie, jedenfalls nicht in diesem Verein.
„Er trainiert wie kein anderer, wie ein Besessener. Er kommt um 8:30 Uhr in die Halle und geht um 16 Uhr.“ Selbst während eines Spiels sitzt er selten still, sondern hält sich auf Spannung: 2,13 Meter, 120 Kilogramm. „Wenn man seinen Körper anschaut, weiß man, woher die ganzen Muskeln kommen. Serge Ibaka setzt bei uns neue Standards“, sagt Pesic. „So ein Typ zieht die ganze Mannschaft mit – jeder sieht: Wenn Serge Ibaka, ein echter NBA-Champion, der mit James Harden, Kevin Durant oder Russell Westbrook gespielt hat, noch immer jeden Tag alles gibt, mache ich das auch.“
„Er trainiert wie kein anderer, wie ein Besessener. Er kommt um 8:30 Uhr in die Halle und geht um 16 Uhr.”
Marko Pesic, Geschäftsführer des FC Bayern Basketball, über Serge Ibaka
Während Dreesen mit dem FCB-Transferausschuss Wochen an der Realisierung des Harry-Kane-Deals saß und Bianca Rech das Duo bei Chelsea lange im Auge hatte, wurde bei den Basketballern alles binnen zwei Wochen abgewickelt. Pesic erinnert sich gern, wie Kaderplaner Daniele Baiesi in einem Meeting sagte, Serge Ibaka erwäge einen Wechsel aus den USA nach Europa. „Ich dachte, kommt, lasst uns über realistische Sachen reden. Aber unser neuer Coach Pablo Laso, der schon mit ihm gearbeitet hatte, schrieb ihm gleich eine Nachricht – und Ibaka antwortete schnell.“
Am Tag danach hatten sie ein Freundschaftsspiel gegen Straßburg. Ibaka bat, ihm davon ein Video zu schicken. „Da wurde ich stutzig“, sagt Pesic, „wenn er sich ein Spiel von uns anschaut, könnte es ja echt was werden.“ Nur wenige Gespräche später sagte Ibaka zu. „Pablo hat eine wichtige Rolle gespielt“, meint Pesic. „Serge ist es wichtig, mit Menschen zu arbeiten, denen er vertraut. Unser Plus war außerdem, dass er früher schon ein paarmal bei unseren Ärzten in Behandlung gewesen ist – auch unsere Halle kannte er, da hat er ab und zu für sich trainiert. Und vor allem konnten wir ihm vermitteln: Wir sind ein Club, der etwas vorhat.“
Respekt aus aller Welt
Die Perspektive, die ein Verein bietet, spielt oft eine entscheidende Rolle. Dreesen erinnert daran, dass Harry Kane für Tottenham eine Ikone sei, der seine ganze Profikarriere bisher ausschließlich für die Spurs gespielt hat. Eine Identifikationsfigur, wie sie sich jeder Club wünscht. Da muss man schon überzeugend sein, will man ihn holen, und entsprechend erreichten Dreesen nach der Verpflichtung viele Mails voller Anerkennung, dass der FC Bayern diesen Transfer realisieren konnte. „Da war viel Respekt der internationalen Konkurrenz für unseren Club spürbar, dass uns das gelungen ist“, so der Vorstandsvorsitzende.
Bei Pesic war es im Fall Ibaka noch ausgeprägter. „Die meisten konnten es gar nicht glauben – alle fragten: Wie habt ihr das geschafft? Und was habt ihr ihm bezahlt?“ Die Antwort fiel Pesic leicht: „Wir bezahlen ihm einfach genau das, was wir für diese Position budgetiert haben. Geld hat für ihn bei diesem Wechsel keine übergeordnete Rolle gespielt.“ Bianca Rech muss grinsen, wenn sie an die Reaktionen der Konkurrenz denkt, als alles publik wurde. Der Plan, alles möglichst lange geheim zu halten, war aufgegangen, so gab es über Monate viele Gerüchte. „Alle wussten, die Verträge laufen aus, daher wurde spekuliert: Paris, Lyon, Real Madrid – vom FC Bayern wurde höchstens geflüstert, weil uns keiner zugetraut hat, dass wir dieses Paket schnüren“, erzählt die FCB-Abteilungsleiterin. „Ein bisschen mussten wir damals während der ganzen Spekulationen schon schmunzeln – wir wussten ja bereits, in welchem Trikot die beiden ab dem Sommer auflaufen würden.“
„Da war viel Respekt der internationalen Konkurrenz für unseren Club spürbar, dass uns das gelungen ist.”
Jan-Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender
Dreesen scrollt in seinem Handy noch einmal zurück in den August – zum endlosen Nachrichtenaustausch mit Daniel Levy, seinem Pendant bei Tottenham. Einmal ging er ins Bett und dachte, jetzt ist der Durchbruch gelungen. Am Morgen war sein erster Griff zum Handy, und da leuchtete um 7 Uhr früh das Display auf: alles wieder offen. War es das im Nachhinein alles wert? In jedem Fall, sagt Dreesen, „wir waren uns einig, dass wir keine zweite Saison ohne Nummer 9 wollen“. Alternativen hatte man auch auf dem Schirm, „aber Kane liefert seit Jahren stabil, ist Kapitän der englischen Nationalmannschaft und Rekordtorschütze im Nationalteam – daher war er Priorität“.
Kritischen Stimmen, die fürchten, der FC Bayern werde ab jetzt wie alle anderen Clubs im Transferwahnsinn gefangen sein, tritt der Vorstandschef entschlossen entgegen: „Nein, das wäre der falsche Weg. Wir gehen seit jeher vernünftig mit unseren Ressourcen um und werden das auch weiter so beibehalten. Wir arbeiten beim FC Bayern hart für unser Geld – entsprechend überlegen wir uns genau, wie wir es investieren.“ Kane sei, so Dreesen, „eine Dimension, die wir noch vor wenigen Jahren nicht in Erwägung gezogen hätten. Wir konnten es uns leisten. Aber werden wir so etwas jedes Jahr machen? Sicher nicht!“ Dreesen beendet die Nachlese seiner Handynachrichten und schaut auf. „Wissen Sie, für was große Transfers auch immer ein Stück weit stehen?“, fragt er und antwortet selbst: „Für Neustart. Für Aufbruchstimmung.“ Blick nach vorne.
Klare Ansagen auch in der Reha
Harry Kane hat von Beginn an überzeugt mit Toren und Vorlagen, Serge Ibaka steigert sich von Spiel zu Spiel – Pernille Harder verletzte sich nach starkem Einstand am Knie. Doch auch in der Reha sieht Bianca Rech, was für eine außergewöhnliche Spielerin die Dänin ist. „Gleich am ersten Tag nach der Diagnose hat sie klare Vorstellungen für die Arbeit am Comeback gehabt – sie überlässt da nichts dem Zufall“, erzählt sie. „Pi“, so nennen sie Harder im Kolleginnenkreis, „wird keine Zeit verlieren. Sie kennt ihren Körper genau und weiß, was zu tun ist.“ Magdalena Eriksson wurde unterdessen umgehend in den Mannschaftsrat gewählt – auch das spricht dafür, wie schnell sich die beiden im Team etabliert haben. „Wir wussten, dass wir solche Charaktere brauchen, wenn wir den nächsten großen Schritt in unserer Entwicklung machen wollen.“ Pesic meint, er könne Vergleichen zwischen Kane und Ibaka nicht viel abgewinnen – „aber in einem Punkt ist da schon eine Parallele“, sagt er. „Bei der internationalen Aufmerksamkeit des FC Bayern bedeuten solche Neuzugänge natürlich eine andere Ebene.“
„Wir wussten, dass wir solche Charaktere brauchen, wenn wir den nächsten großen Schritt in unserer Entwicklung machen wollen.”
Bianca Rech, Abteilungsleiterin der FC Bayern Frauen
Als Harry Kane endlich im Flieger von England nach München saß, verfolgten in der Summe rund 100.000 Menschen die Flugroute auf Flightradar24. Dreesen sagt mit einem Schmunzeln, er habe gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt – und er selbst saß damals auch nicht am Bildschirm: Für ihn zählte nur, dass der Brite bayerischen Boden betritt. Bis spät nachts standen Fans im Dunklen vor dem FCB-Hauptquartier an der Säbener Straße, irgendwann, zwischen Medizinchecks und Vertragsunterzeichnung, winkte Kane durch ein Fenster nach draußen – für den Vorstandsvorsitzenden war es ein besonderer Abend, weil man schon da spürte, was dieser Neuzugang für den Club und die Fans bedeutet. Der ganze Transfer habe nur klappen können, weil Kane über all die Wochen felsenfest zu seiner Zusage stand, erzählt Dreesen – und gerade diese Bodenständigkeit habe ihnen in München so imponiert: „Harry ist keiner dieser Typen, die sich über das Team stellen, im Gegenteil. Er gibt alles, damit jeder seine Qualitäten ausspielen kann. Und wir sollten nicht nur über ihn reden: Leroy Sané spielt ungemein stark, Minjae Kim ist der erhoffte Stabilisator in der Abwehr – man könnte noch viel mehr aufzählen.“ Die Fans dürfen gespannt sein, was mit diesem Team alles möglich ist.
„Harry ist keiner dieser Typen, die sich über das Team stellen, im Gegenteil. Er gibt alles, damit jeder seine Qualitäten ausspielen kann.”
Jan-Christian Dreesen, Vorstandsvorsitzender
Marko Pesic erklärt, auch die Basketballer hätten sich vor Ibakas Verpflichtung genau erkundigt, welchen Typ sie da nach München lotsen wollen. Und Bianca Rech meint, es sei entscheidend vor einem Transfer, dass man ein Gespür füreinander entwickelt, wie es in ihrem Fall beim Geheimtreffen im Londoner Airport-Hotel gewesen ist. Auch bei Kane habe sie ein gutes Gefühl. „Mir gefällt diese Ruhe, diese Professionalität, diese Persönlichkeit ohne Allüren“, sagt sie, „Harry Kane passt zu 100 Prozent zum FC Bayern.“ Zu Serge Ibaka könne sie noch nichts Konkretes sagen, gesteht sie, dafür weiß sie über ihn noch zu wenig – und betont dabei das „noch“: Sie hat sich fest vorgenommen, sobald es geht, einmal ein Spiel im BMW Park zu besuchen. Solche Athleten will man nicht verpassen – im Fußball wie im Basketball des FC Bayern.
© Illustrationen: Scott McRoy
Die ausführliche Story gibt es in der November-Ausgabe des FC Bayern-Mitgliedermagazins „51“:
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