




Der Steilpass war drei Stunden vorher bereits aus der Bismarckstraße in Leverkusen bis in die Allianz Arena geflogen: Das torlose Unentschieden von Meister Bayer 04 gegen Union Berlin schaufelte noch einmal ein paar Extraladungen Kohle in das ohnehin schon glutheiße Feuer dieses traditionsreichen Aufeinandertreffens zwischen Bayern München und Borussia Dortmund. Ausgerechnet in der 137. Auflage des Klassikers seit Bundesliga-Gründung hatte der Tabellenführer die Möglichkeit, sechs Spieltage vor Saisonende seinem härtesten Verfolger auf acht Punkte zu enteilen: Beim 2:2 (0:0) war der FC Bayern dann auch lange Zeit drückend überlegen, er verpasste es aber, aus seinen zahlreichen Chancen mehr als zwei Treffer zu machen.
Dortmund fast so eiskalt wie Inter Mailand
Eiskalt hingegen erwies sich wie zuletzt schon Inter Mailand nun auch Borussia Dortmund, das aus nur drei Schüssen aufs Bayern-Tor zwei Treffer machte. Dennoch aber war Cheftrainer Vincent Kompany überzeugt davon, wenn auch nicht mit einem Heimsieg über den BVB, so aber mit einem drangvollen und mutigen Offensiv- sowie einem leidenschaftlichen Defensiv-Auftritt viel Mut und Selbstvertrauen für das anstehende Viertelfinal-Rückspiel am Mittwoch bei Inter Mailand gesammelt zu haben: „Wir haben trotz der vielen Rückschläge nun in zwei Spielen gegen zwei starke Gegner fast 50 Torschüsse erarbeitet“, unterstrich Kompany. Zu den 20 Versuchen vom Dienstag in der Champions League gegen Inter, kamen am Samstagabend satte 28 Torversuche gegen Borussia Dortmund hinzu – immerhin ebenfalls Viertelfinalist in der Champions League. „Daraus“, so der Cheftrainer, „kann man Kraft schöpfen.“ Glaube und Mentalität, die wichtigsten Tugenden gerade in der derzeit nicht optimalen Personalsituation, seien sowieso vorhanden, das habe ja jeder sehen können, so Vincent Kompany.
Der durfte sich zudem freuen: Mit Aleksandar Pavlović und Kingsley Coman kehrten zwei zuletzt angeschlagen fehlende Spieler in den Kader und später auch aufs Spielfeld zurück. Beide bieten mehr Alternativen vor dem Kräftemessen mit Inter Mailand am Mittwoch im Giuseppe-Meazza-Stadion.
Überlegenheit, Aggressivität, Tordrang

Mut darf dann vor allem die Überlegenheit, die Aggressivität und der Offensivdrang machen, den der FC Bayern gegen Borussia Dortmund von Beginn an an den Tag legte. „Ich würde sagen, in der ersten Halbzeit haben wir ordentlich verteidigt, nach vorne aber wenig auf die Reihe bekommen. Wenn wir mal den Ball hatten, waren wir ihn oft schnell wieder los“, gestand Dortmunds Nationalspieler Waldemar Anton. Und wirklich: Der FC Bayern bestimmte Tempo, Schlagzahl und Spielrichtung dieser Partie. Auch die Hereinnahme von Thomas Müller wirkte sich in der Anfangsphase erfrischend auf die Münchner Offensive aus: Nahezu an jeder Angriffssituation war der 35-Jährige beteiligt.
„Jeden Spieler, den ich auf den Platz schicke, der genießt volles Vertrauen“, unterstrich Chefcoach Kompany seine Entscheidung, anstelle von Raphaël Guerreiro am Dienstagabend gegen Inter am Samstagabend gegen Dortmund auf Thomas Müller zu setzen: „Thomas hat begonnen und er hat es gut gemacht. Ebenso Serge Gnabry oder Guerreiro, die reinkamen. Aber auch Michael Olise – wir könnten alle aufzählen“, so der Trainer: „Und wir brauchen das auch im Moment, dieses Vertrauen ins gesamte Team.“

Vertrauen ins gesamte Bayern-Team
Dortmunds Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hatten hingegen in Barcelona sichtlich gelitten. Der BVB wirkte bis zur plötzlichen, völlig unerwarteten Führung kurz nach der Pause sichtlich angeknockt. Schwarzgelb hatte aufgrund der Entschlossenheit und der Präsenz der Bayern Mühe, in die Zweikämpfe zu finden und wurde so immer verunsicherter. Tief eingeschnürt von einem druckvollen und dominanten Heimteam lag die Führung für den FC Bayern in der Luft. Sie fiel aber aus ganz unterschiedlichen Gründen und trotz 60 Prozent Ballbesitz einfach nicht: Mal rutschten Angreifer beim Schuss noch weg, dann wurden gleich zuhauf Versuche von der Dortmunder Defensive geblockt oder in aussichtsreichen Kopfballpositionen zu ungenau gezielt. „Das Spiel hatte ein verrücktes Ende. Wir haben das Spiel dominiert, hätten eigentlich zur Pause führen müssen, aber haben zu viele Chancen verschwendet“, ärgerte sich Torjäger Harry Kane.
Die allerbeste Tormöglichkeit der Bayern in Hälfte eins war aus einem Ballverlust von Minjae Kim entstanden, der das Spielgerät wuchtig dem Dortmunder Balldieb Ryerson gleich wieder vom Fuß grätschte. Harry Kane beantwortete die Kim-Grätsche mit einem eigenen Tackling und verlängerte den Ball so bis zu Michael Olise. Der auffällige Angreifer scheiterte aber aus spitzem Winkel an Dortmunds Kobel. Die Szene aber dürfte als Anschauungsunterricht in Sachen Entschlossenheit, Kampf und Leidenschaft gelten – die wie schon gegen Inter auch das einzige Problem des Bayern-Spiels offenbarte: eine unzureichende Chancenverwertung.
„Alles in allem war es eine gute Performance“, meinte Kane trotzdem: „Wir müssen einfach entschlossener im letzten Drittel agieren.“ Mitspieler Joshua Kimmich fand: „Wir machen es uns zu schwer, weil wir nicht effizient genug sind. Wir hatten wieder eine Vielzahl an guten Chancen, vor allem in der ersten Halbzeit.“ Ein frühes Tor, so der Nationalspieler, hätte alles entscheidend erleichtert: „Durch frühe Tore kommt man dann eher in einen Flow. Das hat man in der Champions League gesehen. Da haben wir es auch verpasst, ein frühes Tor zu machen, das hätte uns sicherlich geholfen. Dementsprechend bleiben die Spiele offen und das macht sie intensiv.“
Entscheidende Impulse kommen von der Bank
Die entscheidenden Impulse gaben dann zwei Einwechselspieler: Raphaël Guerreiro erzielte nach Vorarbeit vom agilen Serge Gnabry und Thomas Müller, der eine flache Hereingabe mustergültig ablegte, das 1:1. Gnabry selbst gelang per sehenswertem Sololauf, als er erst Julian Brandt davonlief und dann wie auf dem Verkehrsübungsplatz Dortmunds Innenverteidigung wie Hütchen umkurvte, die 2:1-Führung. Der FC Bayern hatte das völlig überraschende 0:1 durch Maximilian Beier so in nur vier Minuten gedreht. „Wir haben gut auf den Rückstand reagiert“, fand Harry Kane. „Die Einwechselspieler hatten einen guten Einfluss auf das Spiel. Wir sind enttäuscht, dass wir noch ein Gegentor hinnehmen mussten.“ Wie schon gegen Inter fiel noch ein Gegentreffer unnötig und aus dem Nichts durch einen Abstauber von Waldemar Anton.

Das Problem ist erkannt
„Wir wollen immer gewinnen“, unterstrich Kompany nach Spielschluss der intensiven Begegnung. „Das ist uns diesmal nicht gelungen, daher bleibt immer das Gefühl, dass es besser sein könnte.“ Joshua Kimmich sieht das Problem in der Effizienz: „Wir betreiben einen sehr großen Aufwand, erarbeiten uns viele Chancen – nutzen diese aber nicht. Während der Gegner dann mit den ersten beiden Halbchancen das Tor macht.“
Das Problem hat der FC Bayern erkannt: „Wir waren in allen Spielen besser und haben es nicht geschafft zu gewinnen. Das ist das, was mich momentan am meisten ärgert“, so Kimmich: „Ich habe immer das Gefühl, dass wir die bessere Mannschaft sind, dass sich das aber nicht auf das Ergebnis niederschlägt.“ Thomas Müller analysierte: „Wir haben uns viele Chancen erarbeitet, die uns am Mittwoch weiterhelfen sollen.“ Es bleibt trotz des Unentschiedens gegen Dortmund ein gutes, ein positives Gefühl, das Rückenwind gibt. Das soll ein Steilpass werden für Mittwoch im Giuseppe-Meazza-Stadion: „Es ist nicht so, dass wir ein Wunder brauchen“, sagte Kimmich: „Wir müssen nur ein Spiel gewinnen. Mit diesem Mindset sollten wir ins Spiel gehen.“
Die Stimmen zum Klassiker gegen Dortmund gibt es hier:
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