Seit März ist der Portugiese Francisco De Sá Fardilha (36) Technischer Leiter bei den FC Bayern Frauen. Ein Job, so vielfältig wie sein Lebenslauf. Ein Gespräch über Familie, Erfolgshunger und Diversität.
Das Interview mit Francisco De Sá Fardilha
Bevor wir auf den FC Bayern schauen, sprechen wir über die WM. Was denken Sie über den Fußball, der in Australien und Neuseeland gespielt wurde?
„Dass viele vermeintlich kleine Nationen aufgeholt haben – und dass etablierten Nationen plötzlich droht, nicht nur eingeholt, sondern sogar überholt zu werden. Ich habe jedes Spiel geschaut, das ist mein Job. Grundsätzlich finde ich es gut, dass der Frauenfußball vielfältiger, globaler und auch herausfordernder wird. Man sieht, wie rasant sich der Sport weiterentwickelt – auf und außerhalb des Spielfelds. Fußball bietet Frauen weltweit eine Chance, ihr Leben zu verändern.“
„Man sieht, wie rasant sich der Sport weiterentwickelt – auf und außerhalb des Spielfelds. Fußball bietet Frauen weltweit eine Chance, ihr Leben zu verändern.”
Francisco De Sá Fardilha, Technischer Leiter FC Bayern Frauen
Was ist Ihr Fazit zum deutschen Abschneiden?
„Die WM war ein Weckruf für etablierte Nationen an der Spitze der Weltrangliste: Es wird immer wichtiger, dass man eine klare Identität hat und diese auf dem Platz wiedererkennt. Trotz der enttäuschenden Ergebnisse bei der WM gibt es in Deutschland viele herausragende Spielerinnen, da ist viel Potenzial – in der A-Nationalmannschaft ebenso wie in der Jugend. England hat zum Beispiel vorgemacht, was man aus seinen Möglichkeiten machen kann – bei den Männern wie den Frauen. Es ist ja nicht so, dass die englischen Teams plötzlich gut geworden sind. Dahinter steckt ein klarer Plan, der Schritt für Schritt und auf allen Ebenen umgesetzt wurde.“
Was bedeutet das für Ihre Arbeit hier?
„Als Bianca Rech mit mir darüber sprach, ob ich zu Bayern kommen möchte, fragte ich: Wann kann ich anfangen? Der FC Bayern passt perfekt zu meinen Ansichten, meinen Werten. Für mich und meine Arbeit ist der Rückhalt des Clubs am wichtigsten. Das bietet mir Bayern. Was mir gefällt: Es gibt hier eine Tradition, eine Stabilität, die wir mit Innovation kombinieren – „Mia san mia“ bedeutet, an die eigene Stärke zu glauben, ohne sich Neuem zu verschließen. So müssen wir sein, um unser Niveau zu halten.“
Haben Sie sich umfassend mit der Geschichte des FC Bayern beschäftigt?
„Ja, ich habe alles darüber gelesen, was ich finden konnte. Auch mit der Geschichte der Stadt habe ich mich befasst. Das war mir wichtig. Der FC Bayern wurde nicht als Gewinnerclub geboren, sondern hat sich seinen heutigen Status über viele Jahrzehnte erkämpft. Ich bin sehr vom FC Bayern Museum begeistert. Ich gehe möglichst mit allen Neuzugängen dorthin, damit sie die Dimension des Vereins begreifen. Ich sage den Spielerinnen immer, dass wir im Frauenfußball die Dominanz erlangen wollen, die das Männerteam hat. Daran arbeiten wir. Die Erfolgsgeschichte des Clubs ist eine große Inspiration.“
Sie sind in Frankreich geboren, in Portugal aufgewachsen, haben in Schottland studiert – fühlen Sie sich jetzt bei Bayern zu Hause?
„Ich habe auch in Italien und auf den Seychellen gelebt. Vielfalt gefällt mir – auch die Geschichte des FC Bayern war von Anfang an sehr vielfältig: Schon sehr früh gab es einen ausländischen Präsidenten, einen homosexuellen Präsidenten. Wir sind kein Club, der über Vielfalt spricht, weil es gerade en vogue ist. Vielfalt gehört zur DNA des FC Bayern. Ich bin stolz, jetzt ein Teil dieses Clubs zu sein.“
Sie haben vor einigen Wochen auch am „Rot gegen Rassismus“-Workshop des Vereins teilgenommen und den Diversity Mountain besucht. Warum?
„Es ist für mich und die Frauenabteilung selbstverständlich, auch die sozialen Initiativen des FC Bayern zu unterstützen. Deshalb habe ich gerne den Diversity Mountain besucht und habe viel über Projekte wie ‚buntkicktgut‘ gelernt. Auch die Teilnahme am ‚Rot gegen Rassismus‘-Workshop war inspirierend. Es ist vorbildlich, wie nachhaltig sich der Verein mit seinen Mitarbeitenden mit dem Thema Diversität auseinandersetzt.“
Sie haben das „Mia san mia“ schon erwähnt. Was verstehen Sie darunter?
„Wir müssen jeden Tag viele Entscheidungen treffen, sportliche wie wirtschaftliche und strategische. Dieses Motto ist eine Leitlinie und Orientierung. Es hilft uns, unsere Werte im Auge zu behalten, damit der Club bleibt, wie er ist, während er sich gleichzeitig stetig erneuert. Es ist wie in der Zellbiologie. In unserem Körper erneuern sich ständig Zellen, wir sind also jeden Tag anders – und trotzdem bleiben wir derselbe. Das kann man auf den Verein übertragen. Der Club ist jeden Tag der gleiche, erneuert sich aber ständig.“
„Es ist vorbildlich, wie nachhaltig sich der Verein mit seinen Mitarbeitenden mit dem Thema Diversität auseinandersetzt.”
Francisco De Sá Fardilha, Technischer Leiter FC Bayern Frauen
Blicken wir in die Zukunft: Wo sehen Sie die FC Bayern Frauen in fünf Jahren?
„Es wäre mir natürlich am liebsten, wenn wir in den nächsten fünf Jahren die Champions League, fünf deutsche Meisterschaften und fünf DFB-Pokale gewinnen würden. Aber für uns geht es hauptsächlich um die stetige Entwicklung. Denn Erfolg ist eine Konsequenz und nicht das Ziel selbst. Es geht auch um unsere Nachwuchsarbeit, auf die wir großen Wert legen. Wir sind hier in einer sehr bevölkerungsreichen Region in Deutschland. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es noch mehr bayerische Eigengewächse in unsere erste Mannschaft schaffen – da sind wir dann wieder beim Thema DNA. Und noch an einem dritten Punkt kann man Erfolg festmachen: an den Zuschauerzahlen. Der Vorstand unterstützt uns hier sehr, dass wir noch häufiger in der Allianz Arena spielen können.“
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
„Zusammen mit Abteilungsleiterin Bianca Rech und Trainer Alexander Straus bin ich verantwortlich für die Kaderzusammenstellung und das Scouting, aber auch für die Analyse unseres Teams, um dessen Potenzial voll auszuschöpfen. Was mir an meinem Job so gefällt, ist, dass es auch darum geht, Talente zu entwickeln. Mit unserer Nachwuchsstrategie wollen wir Spielerinnen identifizieren, die das Potenzial für den FC Bayern haben, und mit ihnen individuelle Entwicklungspläne ausarbeiten. Ich schaue mir sehr viele Spiele an, zwei bis drei am Tag. Wir haben immer im Auge, was in Deutschland und im Ausland passiert, verfolgen Nationalmannschaften bis in die unteren Juniorenklassen. Bevor wir eine Spielerin verpflichten, möchten wir möglichst viele Informationen über sie haben.“
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Bianca Rech?
„Bianca hat als Nachfolgerin von Karin Danner den Gesamtüberblick. Sie ist in alle sportlichen Entscheidungen eingebunden, wir arbeiten hier sehr eng zusammen. Bianca ist eine der angesehensten Persönlichkeiten im internationalen Frauenfußball, die unter anderem auch in der ECA eine große Rolle spielt. Ein paar Monate habe ich hier auch noch Karin Danner erlebt – eine echte Legende. Nur ein Beispiel: Ich habe das Champions League-Spiel auswärts gegen Real Sociedad gemeinsam mit Karin geschaut und sie war so leidenschaftlich! Da habe ich schnell gespürt, dass ich bei Bayern genau am richtigen Ort bin. Weil wir alle hier die gleiche Leidenschaft teilen, den gleichen Anspruch haben.“
Sie haben einen Doktortitel. Hilft der akademische Hintergrund bei der Arbeit hier?
„Ich habe Theorie und Praxis schon immer gut verbinden können, sehe mich als einen „Prakademiker“ (lacht). Auch mit meiner Doktorarbeit wollte ich praktische Fragen beantworten. Es ging darum, dass uns im Fußball Kreativität fehlt. Ich wollte verstehen, wie wir das ändern können. Kreativität ist keine Zauberei – sie kann stimuliert werden durch die richtigen Einflüsse. Es geht darum, das zu fördern, was man mitbringt und weniger das, was einem fehlt. Ich konnte beobachten, wie sich Spieler, die für ihre besonderen Eigenschaften geholt wurden, in Akademien unbeabsichtigt homogenisiert haben. Deswegen ist es so wichtig, den Spielern Raum und Möglichkeit zu geben, sich auszuprobieren.“
„Kreativität ist keine Zauberei – sie kann stimuliert werden durch die richtigen Einflüsse. Es geht darum, das zu fördern, was man mitbringt und weniger das, was einem fehlt.”
Francisco De Sá Fardilha, Technischer Leiter FC Bayern Frauen
Sind kreative Spielerinnen etwas, was mehr denn je gesucht wird?
„Es geht nicht nur um Spielerinnen, die gut dribbeln können und eine individuelle Magie besitzen. Man kann auch als Team im Kollektiv kreativ sein. Unsere Mannschaft hat das in der vergangenen Saison oft gut gemacht. Es hat mir immer gefallen, wenn die gegnerischen Trainer vor dem Spiel gesagt haben, wie schwer es ist, gegen uns zu spielen. Weil wir so flexibel waren. Um diese Kreativität zu ermöglichen, muss man den Spielerinnen Verantwortung und Vertrauen geben. Im normalen Leben ist es genauso. Wenn man Kinder hat, möchte man am liebsten immer alles kontrollieren und ihnen sagen, was sie tun sollen. Aber wie sollen sie so irgendwann eigene Entscheidungen treffen und Lösungen finden?“
Wie kreativ muss man als Technischer Leiter sein, um ein Team zu verstärken, das gerade Deutscher Meister wurde?
„Wir sind sehr offen und gleichzeitig sehr sorgfältig bei der Auswahl neuer Spielerinnen. Egal, ob sie von einem großen oder kleinen Club, einem großen oder kleinen Land kommen, in den Gesprächen muss man einen Erfolgshunger spüren. Den Anspruch, den ich an die Spielerinnen und Trainer habe, habe ich auch an mich selbst. Ich versuche, Beständigkeit zu vermitteln. Und Spaß, das ist auch wichtig. Man darf sich selbst nicht zu ernst nehmen. Wir müssen wissen, dass wir auch Fehler machen werden.“
Jetzt kommen Pernille Harder und Magdalena Eriksson – internationale Top-Spielerinnen: Ist das der nächste, notwendige Schritt?
„Ja. Diese Spielerinnen kommen zu uns, weil sie von unserem Projekt und von der Art, wie wir Fußball spielen, überzeugt sind. Weil sie spüren, dass man es bei Bayern mit dem Frauenfußball ernst meint. Und das kann ich nur bestätigen. Ich habe noch nie einen Präsidenten wie Herbert Hainer gesehen, der so viele Spiele der Frauen besucht.“
Hainer hat den WM-Teilnehmerinnen auch regelmäßig Nachrichten geschickt.
„Ja, genau wie vor unserem entscheidenden Spiel in der Meisterschaft vergangene Saison. Wir haben viele Nachrichten aus dem ganzen Club bekommen. Die Spielerinnen spüren, dass man sich im Verein für sie interessiert. Neben Herbert Hainer haben auch Jan-Christian Dreesen, Michael Diederich oder Uli Hoeneß immer ein offenes Ohr für die Frauenabteilung. Es wird oft von Familie gesprochen, und bei vielen Clubs ist das Marketing – aber hier beim FC Bayern ist es wirklich eine Familie. Das spürt man.“
Wie baut man ein Erfolgsteam?
„Es geht darum, Puzzlestücke richtig zusammenzufügen. Wir brauchen Top-Spielerinnen von herausragender spielerischer Qualität auf dem Platz und ebenfalls mit Führungsmentalität. Aber wir suchen auch immer Spielerinnen, die ein bisschen unter dem Radar sind und das Potenzial haben, in unserem Umfeld noch zu wachsen. Zum Beispiel Sam Kerr oder Inès Belloumou, die wir diesen Sommer verpflichtet haben. Wichtig ist uns Stabilität im Team, dass Spielerinnen lange bei uns bleiben. Das hat den FC Bayern immer ausgezeichnet.“
Stimmt es, dass Sie selbst einen Trainerschein im Futsal haben?
„Ja, und ich habe auch eine Schiedsrichter-Lizenz. Als Spieler und als Trainer war ich sehr temperamentvoll gegenüber den Unparteiischen, deswegen wollte ich dann auch mal die andere Perspektive kennenlernen. Ich habe außerdem zwei Jahre Jura studiert, habe einen Abschluss in Journalismus, in Filmwissenschaft, in Sportpsychologie und als Trainer. Rettungsschwimmer war ich auch mal und habe in der Gastronomie gearbeitet. Jetzt bei Bayern kommen mir all mein Wissen und meine unterschiedlichen Erfahrungen zugute. Am Ende ist mir die Grundeinstellung das Wichtigste, immer sein Bestes zu geben. Egal, was man tut.“
„Wichtig ist uns Stabilität im Team, dass Spielerinnen lange bei uns bleiben. Das hat den FC Bayern immer ausgezeichnet.”
Francisco De Sá Fardilha, Technischer Leiter FC Bayern Frauen
Sie haben sich informiert über den FC Bayern, bevor Sie hierhergekommen sind. Jetzt sind Sie seit sechs Monaten hier. Hat Sie etwas überrascht?
„Die Freundlichkeit der Menschen hier. Von außen wirkte der FC Bayern auf mich wie eine gut geölte Maschine, die unter Hochdruck läuft. Ich bin in Porto aufgewachsen, der FC Porto war mein Club – und ich hatte immer Angst vor dem FC Bayern, trotz 1987 und Rabah Madjer. Aber jetzt bin ich Teil des FC Bayern, und von innen fühlt es sich ganz anders an, viel wärmer. Man geht hier sehr konstruktiv und wertschätzend miteinander um. Und natürlich dreht sich alles beim FC Bayern ums Gewinnen. Unsere Meisterschaft im Sommer war fantastisch, jetzt geht es darum, es wieder zu schaffen, wieder und immer wieder. Glauben Sie mir: Ich werde nie müde zu gewinnen. Das muss man in der DNA haben, wenn man hier arbeitet.“
Illustrationen: Studio MUTI
Das Interview ist Teil der neuen September-Ausgabe des FC Bayern-Mitgliedermagazins „51“.
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