Das Oktoberfest naht – und damit ist auch beim FC Bayern wieder Trachtenzeit. Traditionell posiert die Mannschaft für ein Lederhosen-Shooting, während der Wiesn wird zudem in einem Sondertrikot gespielt. Doch wie und wann begann das alles?
Die graue Vorzeit: Spurenelemente bayerischer Tracht
Es ist ein Fußballfest, als am 13. Juni 1932 die erste Meistermannschaft des FC Bayern vom Finalsieg in Nürnberg heimkehrt. Tausende Menschen säumen die Straßen, auf denen das Team im ersten Fußballkorso der Stadtgeschichte mit Pferdekutschen vom Hauptbahnhof zum Marienplatz zieht. Viele Zuschauer tragen Anzug und Hut, Bayerns Spieler in den Kutschen feinen Zwirn, nur die jungen Begleiter des Trosses haben enge lederne Shorts und weiße Leibchen an. Auffällige bayerische Tracht? Sie ist bei der ersten Meisterfeier des FC Bayern eher die Ausnahme als die Regel. Kein Wunder, denn „als Münchner trug man Tracht damals nur, wenn man aufs Land fuhr“, wie Lea Rodenberg vom Zentrum für Trachtengewand in Benediktbeuern erklärt. In den folgenden Jahrzehnten bleibt das zunächst auch so. Einzig die Alltagslederhose für Schulkinder bekommt ihren festen Platz in Stadt und Alpenvorland. In der Nachkriegszeit ist sie bei Buben das beliebteste Kleidungsstück überhaupt.
„Ich hatte sie als Kind rund um die Uhr an, wie etwa 90 Prozent meiner Klassenkameraden in der ersten und zweiten Klasse auch“, erinnert sich Paul Breitner. Später aber, als er die ersten großen Erfolge als Bayern-Spieler feiert, ist die Lederhose, wie überhaupt die bayerische Tracht, eher keine Outfit-Option für öffentliche Auftritte. „Das Thema Tracht gab es Anfang der 70er Jahre in München nicht“, erinnert sich Breitner. „Man ging auch nicht in Tracht aufs Oktoberfest.“ Wenn Bayern-Stars wie Gerd Müller in der damaligen Zeit die Wiesn besuchen, dann in Anzug und Krawatte. Das Dirndl erlebt um das Olympiajahr 1972 herum einen kleinen Höhenflug. Die Lederhose aber bleibt etwas, das viele – wie Franz Beckenbauer beim Sportlerball 1973 – eher im Fasching tragen als bei festlichen Anlässen. „Der Einzige, der beim FC Bayern auch damals schon im Trachtenanzug unterwegs war“, erinnert sich Paul Breitner, „das war Willi O. Hoffmann – damals noch Schatzmeister.“ Und Hoffmann, der von 1979 bis 1985 Bayern-Präsident war, Uli Hoeneß zum Manager machte und bekannt war als mannschaftsnah und feierfreudig, sollte auch einen wichtigen Teil dazu beitragen, dass das Thema Tracht im Kosmos des FC Bayern bald eine wichtigere Rolle spielen würde.
Der Urknall: Wie alles in der Saison 1979/80 begann
Dass die Mannschaft des FC Bayern 1979 erstmals für ein Teamfoto in Lederhosen vor die Kamera tritt – und die Verbindung zwischen dem FC Bayern und der Lederhose quasi zum Naturgesetz wird – hat mit einem Mann aus der Pfalz zu tun: Udo Scholz, von Beruf Stadionsprecher beim 1. FC Kaiserslautern. Scholz schnappte bei einem Urlaubsaufenthalt im bayerischen Murnau den Satz auf: „Zieht’s dem Buam die Lederhose aus.“ Der Satz gefiel ihm. Und als Scholz auf dem Heimweg im Radio den Song „Yellow Submarine“ von den Beatles hörte, kam ihm die Idee zu einem neuen Fangesang: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus.“ Zu Beginn der Saison 1979/80, so erinnert sich Paul Breitner, schallt der Song aus vielen Fankurven der Republik – und gemeinsam mit Manager Uli Hoeneß und Präsident Hoffmann beschließt der damalige Kapitän Breitner, darauf zu reagieren. Schnell ist ein befreundeter Lederhosenmacher in Freilassing gefunden, der das Bayern-Team mit einer Trachtengarnitur ausstattet, die Präsident Hoffmann gerne stiftet.
Ende November 1979, kurz vor dem Abflug zu einem Auswärtsspiel in Düsseldorf, posiert das Bayern-Team schließlich heimlich in einer abgelegenen Ecke des Flughafens München-Riem für das erste Mannschaftsfoto in Lederhosen – und wechselt noch vor dem Abflug wieder das Outfit. „Am nächsten Tag“, sagt Breitner, „haben wir dann im Hotel unsere Tracht angezogen und sind so ins Stadion eingelaufen. Es gab Riesenjubel, eine echte Überraschung.“ Die Aktion wird bei ein paar weiteren Auswärtsspielen wiederholt. Breitner: „Die Leute fanden es super, dass wir auf das Lederhosen-Schmählied so souverän und humorvoll geantwortet haben.“ Ein Erfolg wird auch der Aufruf von Präsident Hoffmann, am 31. Mai 1980 die erste Meisterschaft nach sechs Jahren auf bayerische Art zu feiern. Im Olympiastadion laufen die Spieler in Lederhosen ein, auch mancher Fan trägt Tracht. Und bald darauf stehen Breitner, Rummenigge und Co. auf dem Rathausbalkon und feiern im Sommer 1980 erstmals in Lederhosen die Meisterschaft. Es wird nicht das letzte Mal bleiben.
Modische Experimente: Die verrückten 80er und 90er
Augenthaler, Breitner, Pflügler – Anfang der 80er Jahre stehen nur wenige gebürtige Bayern im Team der Roten: „Der Rest sind Preißn“, schreibt der Münchner Boulevard angesichts der ersten Lederhosen-Fotos der Profis. Aber was macht das schon? Der FC Bayern ist ein Verein für jeden, unabhängig von der Herkunft. Egal, ob Bayer, Preuße, Franzose oder Brasilianer: Wer sich mit den Werten des Vereins identifizieren kann, ist herzlich eingeladen dazuzugehören. Das gilt für Spieler wie für Fans. Und zum Zeichen dieser gefühlten Zugehörigkeit wird nun, neben dem roten-weißen Trikot, zunehmend auch die Lederhose. Der Belgier Jean-Marie Pfaff, der 1982 nach München wechselt, präsentiert sich gerne und oft in Tracht.
Der Waliser Mark Hughes, der 1987 kommt, schlüpft ebenfalls hinein. Bilder von Bayern-Neuzugängen in Lederhose zu veröffentlichen, wird zur vielleicht pointiertesten Form der Transfermeldung: In einer Sprache, die jeder sofort versteht, sagen die Bilder der Welt „er spielt jetzt für den FC Bayern“ und den Fans „er identifiziert sich mit uns“. Ein Hingucker sind die Motive natürlich auch. Und viele Profis lieben das bayerische Traditionsgewand. „Das Allerbeste für mich war immer, dass auch die Spieler, die wir eingekauft haben, immer als Erstes gefragt haben, ob und wann sie auch ihre Lederhose bekommen“, sagt Paul Breitner. „Und das ist ja auch so geblieben: wie sich Spieler wie Giovane Élber, Franck Ribéry oder Luca Toni über ihre Lederhose gefreut haben und sie noch heute mit Stolz tragen – die Tracht war für die wie ein Ritterschlag.“
In ästhetischer Hinsicht trägt die Zuwendung des FC Bayern zur Lederhose aber auch einige fragwürdige Blüten in den 80er und 90er Jahren. Eine Folge der (Trachten-) Mode der damaligen Zeit, in der man vor wenig zurückschreckt. Über einen Wiesn-Besucher im „Antilopentrachtenlederkostüm“ amüsiert sich Gerhard Polt 1985. Von Bayern-Profis in diesem Aufzug ist nichts überliefert, aber experimentierfreudig sind auch sie. Gut gelaunt tragen sie beim Wiesn-Besuch die luftigen weißen Hemden aus Sackleinen, die die Landhausmode Mitte der 90er hervorbringt, oder lassen die Oberbekleidung gleich ganz weg, wie es die Brasilianer Paulo Sergio und Giovane Élber bei einem Fototermin tun. Die 80er und 90er sind in Sachen Mode und Tracht, so scheint es, Jahre des Experimentierens beim FC Bayern: Man spielt mit den (Trachten-)Moden der Zeit – und feiert auf dem Rathausbalkon mal in Lederhose, mal in Anzug, mal in Ballonseide.
„Tracht zu tragen schafft ein Gefühl der Gemeinschaft zwischen Fans, Spielern und Verein. Genau wie ein Trikot!”
Lea Rodenberg, Kostümhistorikerin
Ein echter Klassiker: Der souveräne und stylische Umgang mit der Tracht
Gegen Ende der 90er Jahre beginnt, ausgehend vom Oktoberfest, wo junge Leute plötzlich Dirndl und Lederhose wiederentdecken, ein Trend zur Tracht, „der im Grunde bis heute anhält“, wie die Kostümhistorikerin Lea Rodenberg sagt. Beim FC Bayern bekommt das Lederhosen-Shooting in den Nullerjahren seinen festen Platz im Jahreskalender. Genauso wie der Oktoberfest-Besuch der Mannschaft in der neuesten Trachtenmode. Und von 2003 an tragen die Bayern-Profis auf dem Rathausbalkon stets Lederhose, wenn sie die Meisterschale in die Höhe recken. Oder Dirndl, wenn die Frauen ebenfalls die Meisterschaft feiern. Auch auf den Stadionrängen ändert sich etwas: Lederhose und Dirndl sind dort – nicht nur zur Oktoberfest- Zeit – immer häufiger zu sehen.
Genauso wie in der ganzen Stadt. Warum die Tracht in den vergangenen Jahrzehnten so einen Aufschwung erlebte? Mit der Mode, so vermutet die Volkskundlerin Simone Egger in ihrem Buch „Phänomen Wiesntracht“, werde die „Heimat beschworen in Anbetracht oder auf Grund einer stets globaler werdenden Welt“. Fest steht: Mit dem Aufschwung der Tracht hat sich auch der Umgang mit den Kleidungsstücken verändert und ist immer „selbstverständlicher“ geworden, wie Michael Alten vom Trachtenausstatter des FC Bayern „Beckert“ sagt. Aber auch souveräner und – zumindest aus heutiger Perspektive – stilvoller. Die Lederhose als „normales“ Kleidungsstück, mit Sneakers und T-Shirt kombiniert, im Alltag zu tragen, ist in München heute nicht unüblich.
Und auch die Bayern-Profis – der Spielerrat spricht übrigens immer ein Wörtchen mit bei der Auswahl des Wiesn-Outifts der Mannschaft – zeigen, wie schick und elegant man damit aussehen kann. „Ich halte die Tradition, dass unsere Spieler Lederhosen tragen, auch nach fast 44 Jahren immer noch für eine der größten Ideen, die der FC Bayern außerhalb des Spielfelds umgesetzt hat“, sagt Paul Breitner. „Ich finde das so würdig, es passt einfach zu uns und ist ein Alleinstellungsmerkmal in der ganzen Welt.“ Und es ist mehr als ein Symbol mit Außenwirkung. „Tracht zu tragen, das schafft Gemeinschaft“, sagt Expertin Lea Rodenberg, „zwischen Fans, Verein und Spielern. Genau wie ein Trikot.“ Oder wie es Breitner auf den Punkt bringt: „Ich kenne Fußballer, die seit Jahrzehnten wieder aus München weg sind, sich aber nach wie vor regelmäßig Weißbier nach Hause liefern lassen, auf Festen ihre Tracht tragen und das bayerische Lebensgefühl verinnerlicht haben. Das ist herrlich und einzigartig.“
Dieser Artikel ist Teil der September-Ausgabe des FC Bayern-Mitgliedermagazins „51“.
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